8. Kapitel

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Ich staune, als wir das Haus erreichen. Das alte Cottage ist umgeben von Feldern und Wiesen. An der Steinwand des Gebäudes ranken sich Rosen entlang, die sich fast über die gesamte Front des Hauses ausgebreitet haben. Der kühle Herbstwind weht den Geruch von Lavendel und Flieder zu uns herüber. Hochgewachsener, blühender Lavendel säumt einen Kiesweg. Doch etwas anderes erregt meine Aufmerksamkeit. Eine schlanke, große Frau in einem schwarzen, eng anliegenden Rock und einer fast schon Hautfarbenen Bluse und High Heels tippt ungeduldig gegen den Türrahmen. Als wir näher kommen, sieht sie mich missbilligend an. „Wer ist das?", fragt sie barsch als Begrüßung. Steif bleibe ich neben Angus stehen und massiere nervös meine Handballen. „Das ist Tori", antwortet Angus ebenso unfreundlich wie die Frau. „Was macht sie hier?", fragt sie knapp. „Sie übernachtet hier", antwortet er eben so kurz angebunden. Mit skeptischen Blick mustert die Frau mich von oben bis unten. Bei meinen Septum bleibt ihr Blick hängen. Eine ihrer extrem dünnen, dunkelbraunen Augen wandert missbilligend in die Höhe, dann wendet sie sich wortlos ab und verschwindet im Haus. „Es tut mir leid. Meine Mutter ist Mädchen gegenüber immer so abweisend", entschuldigt sich Angus bei mir. „Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Du kannst nichts für das Verhalten deiner Mutter", beschwichtige ich ihn. Er lädt mich in das atemberaubende Haus ein und ich folge ihm. 

Das Innere des Cottage ist so pompös eingerichtet, dass mir der Mund offen stehen bleibt. Im Eingang erleuchtet ein wuchtiger Kronleuchter die Eingangshalle. Auf dem vergoldeten Beistelltisch steht eine antik ausgesendete, mit Gold verzierte Uhr, die der sprechenden Uhr aus „die Schöne und das Biest" ähnelt. „Können wir bitte einfach in mein Zimmer gehen?", fragt Angus angespannt. Ihm scheint der Prunk des Hauses unangenehm zu sein. Verständnisvoll nicke ich. Er zieht mich die Marmor Treppe in den ersten Stock rauf. Am Ende des Flures öffnet er die letzte Tür. Dahinter taucht ein, im Vergleich zum Rest des Hauses, schlichtes Zimmer auf. Ein breites Bett steht gegenüber zweier Fenster, die den Blick auf den riesigen Garten freigeben. Vor einem anderen Fenster steht ein schlichter Schreibtisch aus Holz. An den Wänden sind Plakate und Banner von Rugby Teams aufgehängt. Insgesamt könnte man das Zimmer fast schon als das typische Zimmer eines Jungen abstempeln. Zwei Türen führen von dem Raum ab. Hinter der einen verbirgt sich der begehbare Kleiderschrank. Hinter der anderen ist ein schlichtes Bad mit weißen Fliesen. „Ich bin erstaunt", bringe ich hervor. Ein verlegenes Grinsen legt sich auf Angus Lippen. „Im Guten oder schlechten Sinne?", fragt er. „Im Guten auf jeden Fall", entgegne ich hastig. „Setz dich doch", bietet er mir einen Platz auf dem Bett an. Langsam gehe ich auf das Bett zu und lasse mich darauf nieder. Er setzt sich neben mich. „Wollen wir einen Film ansehen?", fragt Angus um die Stimmung aufrecht zu erhalten. Zustimmend nicke ich. Er greift nach seinem Laptop und zieht ihn aufs Bett. Während er einen Film sucht, lasse ich mich auf das Bett fallen. Angus stellt den Computer auf unsere Beine und legt sich neben mich. Seine Arme verschränkt er hinter seinen Kopf. 

Eine Weile sehen wir uns einfach nur den Film an. Kaum merklich rutsche ich näher an ihn heran. Ich bemerke, wie Angus mich ansieht. Behutsam legt er seinen Arm um mich und zieht mich an sich. Meinerseits lege ich meinen Kopf auf seine Brust und schmiege mich an ihn. Er gibt ein Geräusch von sich, dass wie ein „Mmmmh" klingt. Sein Brustkorb vibriert dabei heftig. Nachdem wir eine Weile den Film angesehen haben, sagt Angus: „Ich habe eine Idee. Ein Bekannter von mir hat mal in Inverness gewohnt. Ich meine mich zu erinnern, dass er mal deinen Vater erwähnt hat..." Erwartungsvoll sieht er mich an. Als ich nichts erwidere, fährt er fort: „Wir könnten ihn besuchen und zu deinem Vater befragen. Allerdings wohnt er nun In Edinburgh." Ich richte mich auf. Widerwillig nimmt Angus seinen Arm von mir. „Würdest du mit mir hinfahren?", frage ich, perplex, dass er es erwähnt. „Wenn du willst sofort", erwidert er. Angetan von der Idee nicke ich. „Aber ich benötige noch Kleidung", sage ich hektisch. „Mach dir da mal keine Gedanken. Außerdem werden wir doch nicht länger als zwei Tage wegfahren. T-Shirts kannst du dir von mir leihen", beschwichtigt er mich. „Und was mache ich mit der Unterwäsche und den Waschsachen", sage ich und raufe mir meine Haare. „Waschsachen kann ich dir leihen. Und Unterwäsche kannst du dir doch etwas von meiner Mutter leihen, oder?", sagt er. Entsetzt sehe ich ihn an. Wie stellt er sich das denn vor? „Das ist doch wohl ein Scherz?", sage ich schockiert. Bevor er antwortet zieht Angus mich wieder an seine muskulöse Brust. „Meinetwegen auch die frisch gewaschene", grinst er. Ich verpasse ihm einen Schlag gegen die Schulter, muss aber auch schmunzeln. „Na gut. überredet", gebe ich mich geschlagen. Während Angus Kleidung in eine Tasche packt, beobachte ich ihn dabei. Seine Oberarm Muskulatur bewegt sich bei jeder Bewegung. Als ich sehe, dass er fertig ist, gehe ich auf ihn zu und frage: „Soll ich dir helfen?" Lachend kommt er auf mich zu, packt mich an den Knien und hebt mich auf das Bett. „Jetzt wo ich fertig bin...", antwortet er lachend. Ich liege auf der Matratze, während Angus seine Arme neben meinen Kopf gestemmt hat. Ich kann nicht anders als mich in seinen graugrünen Augen zu verlieren. Wobei sie in diesem Licht eher grün aussehen. Fasziniert lege ich den Kopf schräg. Bedächtig kommt sein Gesicht meinem immer näher. Kurz bevor seine Lippen auf meine treffen, wird die Zimmertür aufgerissen und seine Mutter steht im Rahmen. „Hast du einen Teil meiner Unterwäsche gesehen?", fragt sie mürrisch. Angus verdreht die Augen und sagt: „Nein. Was soll ich auch mit deiner Unterwäsche?" Kurz bevor seine Mutter wieder das Zimmer verlässt fügt Angus noch hinzu: „Wir werden Frank besuchen." Wortlos knallt sie nur die Tür zu, als hätte sie ihrem Sohn nicht mehr zugehört. „Ist sie immer so?", frage ich misstrauisch. „Nur an Tagen mit G und Mittwochs", sagt er scherzhaft. Obwohl der Witz unlustig war, muss ich trotzdem darüber lachen. „Lass uns gehen", fordert er mich auf. Gemeinsam erheben wir uns vom Bett und verlassen das Haus.

***

Ich klammere mich an Angus, während er die Autobahn nach Edinburgh fährt. Autos rasen an uns vorbei. Dicke schwere Regentropfen klatschen gegen den Motorradhelm und durchweichen meine Kleidung. Das Motorrad rutscht hin und wieder weg und gerät dann fast ins schleudern. Bei der nächsten Raststätte fährt Angus von der Autobahn herunter, stellt die Maschine in ein Untergestell. Er bedeutet mir, abzusteigen. „Bei dem Regen ist es zu gefährlich zu fahren", erklärt er mir auf dem Weg in das Innere der Raststätte. Verständnisvoll nicke ich. „Ich könnte eine heiße Schokolade gebrauchen, möchtest du auch eine, oder einen Kaffe?",frage ich, da ich friere und mich dringend aufwärmen muss. „Ein Kaffe wäre genau das richtige", sagt er. Ich gehe an die Kasse, um unsere Getränke zu bestellen. Während die Bedienung die, hoffentlich heißen, Getränke zubereitet, sehe ich mich um. Angus hat sich an einen der Stehtische gestellt. Außer uns ist noch eine dreiköpfige Gruppe tuschelnder Mädchen, zwei ältere Herren und ein jüngerer Mann in der Raststätte. Insgesamt sieht es hier aus, als wolle man das Ambiente eines amerikanischen Diners nachahmen. „Eine heiße Schokolade und ein Kaffe", reißt mich die Bedienung aus den Gedanken. „Danke, sage ich und bezahle. Mit den Getränken gehe ich zu Angus, bedacht nichts der warmen Flüssigkeiten zu verschütten. Kurz bevor ich bei ihm ankomme sehe ich auf. Eines der Mädchen steht bei ihm und scheint mit ihm zu flirten. Es versetzt mir einen Stich dabei zuzusehen. Ich bin gerade nah genug um einige Gesprächsfetzen zu hören. „Tut mir leid. Ich bin vergeben", sagt Angus. Ein Lächeln macht sich auf meinem Gesicht breit. Als er mich sieht, winkt er mich zu sich. „Danke", sagt er an mich gewandt, schiebt seine Hand in einer meiner hinteren Hosentaschen und drückt ein Kuss auf meine Wange. Das Mädchen ist für einen Augenblick erstarrt, dann wendet sie sich ab und stolziert davon. Ihre Freundinnen sitzen mit weit geöffneten Augen an ihrem Tisch. „Ich dachte, du hast keine Freundin?", spreche ich Angus an. „Habe ich auch nicht, aber meine Begleitung ist um längen attraktiver und witziger als diese Barbie", entgegnet er und drückt mir erneut einen Kuss auf die Wange. Ich merke wie die Hitze in meine Wangen schießt, was Angus zum schmunzeln bringt. Als die Mädchen den Laden verlassen, setzen wir uns an deren Tisch. Dabei zieht Angus mich an sich heran und legt einen Arm um meine Schulter. Schweigend sitzen wir nebeneinander. Ich schlurfe meine heiße Schokolade und lasse meinen Kopf gegen seine Schulter fallen. „Der Regen hat fast aufgehört", durchbricht er die Stille. „Lass uns noch kurz so sitzen bleiben", murmle ich, da ich mich noch nicht aus dieser Umarmung lösen möchte. Bei diesen Worten zieht er mich noch ein Stück an sich heran, wenn das überhaupt noch möglich ist. Als wir unsere Getränke ausgetrunken haben, stehen wir auf und schlendern zu seinem Motorrad. Nun nieselt es nur noch. Langsam fährt Angus aus der Raststätte wieder auf die Autobahn.

Nach knapp zwei Stunden heißt uns ein Ortsschild in Edinburgh willkommen. Wir schlängeln uns einen Weg durch den Verkehr in das Zentrum der Stadt. Vor einem Hotel machen wir halt. „Was machen wir hier?", frage ich verwirrt, da ich dachte, dass Angus in einer Herberge oder ähnlichen ein Zimmer reserviert hat. „Wir wohnen hier. Das Hotel gehört meinem Vater. Er wird sich freuen, wenn sein Sohn vorbeischaut", sagt er überzeugend. Klitsch nass vom Regen betreten wir das Foyer. Pagen mit Gepäckträgern laufen wild durcheinander, um ihre Aufgaben zu erledigen. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann im Anzug plaudert an der Rezeption mit den Mitarbeitern der Mann sieht Angus zum Verwechseln ähnlich. „Hallo Vater", begrüßt Angus ihn. Dieser dreht sich verwirrt um. „Beehrst du deine alten Herren mit deiner Anwesenheit", lacht der Mann und schließt seinen Sohn in die Arme. „Und wer ist deine reizende Begleitung?", fragt er. „Hallo. Ich bin Tori Mckenzie", stelle ich mich selbst vor. „Nett dich kennenzulernen", Angus Vater schüttelt meine Hand. „Was ist der Grund, dass ihr mich besucht?", wendet er sich wieder an seinen Sohn. „Tori's Vater ist verschwunden. Frank kennt ihn noch aus Jugendzeiten und wir hatten die Idee ihn aufzusuchen. Hast du vielleicht ein Zimmer für uns frei?", fragt Angus. Sein Vater überlegt, dreht sich um und spricht einen jungen Rezeptionisten mit den Worten „Joe, welche Zimmer sind denn noch frei?" an. Nach einigen Minuten streckt er uns einen Schlüssel entgegen. „Zimmer 313 im dritten Stock", sagt Angus Vater. Angus nimmt diesen entgegen. „Danke Vater", sagt er. Gemeinsam gehen wir zu den Fahrstühlen. Das Gitter rattert auf und gibt den Weg auf den Innenraum frei. Keine Minute späte sind wir im dritten Stock angekommen. Ein langer Flur erstreckt sich vor uns. Der Teppich ist samtrot und die Türen sind aus edlem Eichenholz. „Dort hinten ist unser Zimmer", sage ich.

A mysterious MidsummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt