3. Kapitel

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„Und in diesem Chaos war keine Spur von deinem Vater zu finden?", fragt Astrid ungläubig. „Laut der Polizei, nein, doch ich habe Kratzspuren im Holz gefunden. Allerdings scheint dies nichts zu bedeuten", antworte ich ebenfalls erstaunt und weise auf die Stelle wo ich die Spuren gefunden habe hin. Astrid wandert durch das Chaos zu der Stelle auf die ich zeige. So wie ich vor einigen Stunden in die Hocke gegangen bin, um die Spuren aus der Nähe zu betrachten, kniet sich auch Astrid auf den Boden. Gedankenversunken streicht sie über die splitternden Kratzer. Nach einigen Sekunden stemmt sie sich wieder hoch, und kommentiert es mit einem Achselzucken. Anscheinend sieht auch sie darin keine Spur darauf, was mit meinem Vater geschehen sein könnte. Um auf ein anderes Thema zu kommen zeige ich auf ein umgefallenes Regal. „Hilf mir doch mal dieses Regal aufzustellen", fordere ich Astrid auf. Sofort legt sie den Stapel Bücher beiseite und eilt zu mir zu Hilfe. Am oberen Ende greifen wir in den Leerraum des Regals und stemmen dieses gegen die Wand, an die es hingehört. „Wo gehören diese Bücher hin?", fragt sie kurz darauf und deutet auf den Stapel, den sie vorhin abgelegt hatte. Ich überlege kurz. „In dieses...", sage ich und deute auf ein Regal vor dem Schaufenster. Nickend stapft sie durch die noch am Boden liegenden Bücher und sortiert den Stapel ein. Nach und nach sammle ich einen weiteren Stoß zusammen und ordne diese in das Regal ein, welches wir gerade aufgestellt haben. Eine Weile räumen wir schweigsam die Bücher auf. Keiner von uns hat dem anderen etwas zu erzählen. Einerseits genieße ich die Stille, die den Raum erfüllt. Andererseits ist es aufbauend zu wissen, dass ich mich an Astrid wenden kann, sobald ich jemanden zum Reden brauche. Allein ihre Anwesenheit spendet mir Trost. In Gedanken schweife ich ab und überlege was hier passiert sein könnte. Besonders die Krallenspuren geben mir zu denken.

 „Hey Tori! Sieh dir das an!", unterbricht Astrid die Stille und reißt mich somit aus meinen Gedanken. Ruckartig drehe ich mich zu ihr um. Sie hält ein zerknittertes, leicht verstaubtes Blatt in der Hand. Ich lege die Stirn in Falten. Im ersten Moment ist mir schleierhaft, was an einem Stück Papier so interessant sein soll. Mir kommt die Idee, dass es wohl ein Kassenbeleg ist, der vielleicht dem letzen Kunden gehört, der meinen Vater gesehen hat. Womöglich sogar, dem Entführer. Als ich näher trete, kann ich jedoch erkennen, dass es ein schwarz-weiß Bild mit einem weißen Rand ist. Darauf sind meine Eltern zusehen. Meine Mutter strahlt in die Kamera, während mein Vater mit seiner halbmondförmigen Brille, die er noch heute trägt, eher skeptisch drein schaut. Das Bild muss ziemlich alt sein, da von dein Furchen im Gesicht meines Vaters noch keine Spuren zu sehen sind. Doch schon damals war sein Blick trüb, als wäre er nicht in diesem Augenblick, sondern mit den Gedanken ganz wo anders. Auch der typische Blick über den Rand seiner Brille scheint noch der selbe zu sein. Bei dem Anblick schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Meine Eltern wirken so glücklich und verliebt. Auch mein Vater wirkt nicht so abwesend und verloren. Zum Ersten Mal sehe ich eine Fotografie meiner Mutter. Ich hatte sie ganz anders in Erinnerung. Ihre Grübchen stechen mir entgegen und erinnern mich an meine eigenen. Die welligen Haare fallen ihr ins Gesicht und verdecken ihre linke Gesichtshälfte, was sie aber noch hübscher macht. Mit zwei Fingern streiche ich über das Foto. „Du siehts deiner Mutter so ähnlich", sagt Astrid seufzend. Ich betrachte die Fotografie genauer. Neben dem Gesicht meines Vaters, am rechten Bildrand, ist ein weiteres Gesicht zu erkennen. „Ist das dein Vater?", frage ich sie erstaunt. Astrid nimmt mir das Bild aus der Hand und betrachtet es lange. Erst runzelt sie rätselnd die Stirn. „Unsere Eltern waren wohl befreundet", stellt sie verwundert fest. Ich kann nur nicken. 

„Lass uns weiter aufräumen", unterbreche ich unser erneutes Schweigen, nehme ihr das Bild aus der Hand und lasse es im Geldfach der Ringkasse verschwinden. Astrid tritt auf den Tresen zu und stapelt einige Bücher aufeinander, um diese einzuräumen. „Hat dein Vater eigentlich die Leitung zu dem Fall meines Vaters?", frage ich und hoffe, dass es nich zu aufdringlich war. „Mmmh.", gibt Astrid von sich. „Ich habe ihn seit Vorgestern nicht mehr gesehen oder gesprochen. Allerdings arbeitet er nur so viel, wenn ein Fall vorliegt. Also nehme ich an, dass er die Leitung hat", schließt sie ab. Ein erleichterter Seufzer entfährt mir. Ihr Vater ist der beste Polizist den ich kenne. Somit stehen die Chancen hoch, dass mein Dad schnell gefunden wird. Aus der Werkstatt schnappe ich mir einen Handfeger und einen großen Besen. Astrid drücke ich den Handfeger in die Hand. Anschließend ziehe ich einen Mülleimer heran. „Lass uns noch den gröbsten Dreck beiseite fegen", sage ich, während ich anfange am Boden liegende Glasscherben und Staub zusammen zu fegen. Astrid wartet bis ich den ersten Haufen Dreck zusammengeschoben habe, dann kehrt sie den Haufen auf die Schaufel, nur um diesen in den Eimer zu befördern. Aus Versehen kehrt sie sich selbst etwas Dreck ins Gesicht und fängt an zu husten. Sicherheitshalber reiche ich ihr ein Glas Wasser. Dankend nimmt sie es an. Ich schaue auf die Uhr. „Wolltest du nicht auf eine Party gehen?", frage ich Astrid. Ihr Blick folgt dem meinem. „Aber erst in zwei Stunden und du wirst mitkommen", antwortet sie und fügt hinzu: „Was ziehst du an?" Ich überlege. „Keine Ahnung.", antworte ich schulterzuckend. „Dann sollten wir uns mal an die Arbeit machen", entgegnet Astrid und klatscht begeistert in die Hände. Zustimmend nicke ich, da ich wahrscheinlich keine andere Wahl habe, als mich von ihr einkleiden zu lassen und wir gehen die Treppe hoch zu meinem Zimmer.

A mysterious MidsummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt