Grabsteintreffen

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Das hier war das vierte Treffen.

Sie trafen sich alle fünf Jahre offiziell an Wanzes Grabstein, die ganze 10c. Manchmal kamen die Familien und Kinder mit, aber immer war da irgendwann ein Zeitpunkt, an dem Schüler und Schülerinnen und der tote Lehrer allein waren.

Elli fror in ihrem Parka, sie war jedes Mal die Erste, während sie auf Oskar und Olli wartete. Die beiden kamen immer ein bisschen später als sie, sie mussten sich um Hannes kümmern und um Lydia, die beide ins Bett gebracht werden mussten. Sie hatte die beiden Kinder mehrmals besuchen dürfen - Ellis Freundschaft zu Oskar war auch nach vierzig Jahren beständig - und sie musste sagen, dass sie die beiden Kinder sehr gern hatte.

Lydia hatte einmal gefragt, weshalb Elli ganz allein war, wieso sie keinen Ehemann und keine Familie hatte. Elli hatte geantwortet, dass Familie nicht automatisch Blutsverwandtschaft war, und die 10c war ihre Familie. Die 10c war die Familie, die Elli sich ausgesucht hatte, auf die sie aufpassen wollte, weil diese Menschen das verdient hatten.

,,Du bist also sowas wie ein autistischer Schutzengel, hab ich Recht?", hatte Lydia gefragt. Elli konnte immer noch nicht nachvollziehen, weshalb ihre irgendwie-Andersartigkeit eine besondere Bezeichnung verdient hatte, aber sie hatte genickt.

Wenn Schutzengel das taten, was Familienmitglieder oder Tote nicht tun konnten, um sich ihre Wünsche zu erfüllen, dann war sie ein Schutzengel, ja.

Wie man sich Wünsche erfülltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt