01 | Erste Begegnung

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Dass ich im Dunkeln nach Hause gehen musste gefiel mir gar nicht. Ich hatte panische Angst vor der Dunkelheit, was aber niemand wusste. Der Abend bei meiner besten Freundin hatte länger gedauert, als gedacht.

Ich ging die dunklen Straßen entlang und versuchte, meine Angst zu unterdrücken. Plötzlich hörte ich ein Geräusch aus einer Seitengasse. An der Ecke blieb ich stehen und lugte in die Gasse. Das einzige, was ich sah, war immer wieder das aufblitzen blauer Kugeln, die durch die Luft flogen.

Vorsichtig wagte ich mich weiter in die Gasse hinein und dort stand im schwachen Schein einer Laterne eine Gruppe Jungs, alle in schwarz gekleidet. Sie hatten Motorradhelme auf und machten anscheinend Zielübungen mit etwas, das scheinbar eine Art blaue Seifenblasen, mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel gegen die Wand schleuderte, vor der sie standen.

Nach einer Weile wagte ich mich weiter vor, um genauer zu sehen, was sie da mitten in der Nacht trieben. Durch meine Neugierde, war meine Angst vor der Dunkelheit wie weggeblasen.

Bei jedem Treffer, auf eines der aufgemalten weißen Kreuze, gröhlten sie und der Schütze bekam ein High five. Wegen den Helmen konnte ich ihr Alter nicht einschätzen, aber ich glaubte, dass sie nicht viel älter als ich sein konnten.

Unbemerkt ging ich noch ein paar Schritte in ihre Richtung und versteckte mich hinter einem, im Weg stehenden, Müllcontainer.

"Was machst du hier?", ertönte es plötzlich hinter mir und ich zuckte zusammen. Langsam drehte ich mich um und sah einen der Schützen direkt vor mir stehen.

Er hatte einen roten Motorradhelm auf, bei dem das Visier heruntergeklappt war. Er trug schwarze, zerfranste Jeans, ein enges schwarzes T-shirt und darüber eine weite, ebenfalls schwarze Jeansjacke.

Obwohl ich eigentlich Angst haben sollte, fühlte ich mich eher ... sicher.

Ich konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, aber er sah unheimlich gut aus.

Er räusperte sich und wiederholte seine Frage: "Was machst du hier?" Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber von der anfänglichen Aggressivität, die in seiner Frage mitschwang, war nur noch Verwirrung übrig.

"Ich ... wollte nur nach Hause gehen."

"Und deshalb beobachtest du uns von hier aus?"

"Ich beobachte euch gar nicht!"

"Soll ich jetzt lachen? Sag die Wahrheit. Wer bist du und was willst du hier?"

"Lilith und den Rest weißt du schon. Wie heißt du?"

"Kimi. Und das war jetzt die Wahrheit?"

Den Namen hatte ich noch nie gehört.

"Ja. Was macht ihr da eigentlich?"

"Willst es auch einmal probieren?"

Verwirrt sah ich ihn an.

"Komm erstmal hinter der Mülltonne vor", er nahm seinen Helm ab, musterte mich kurz und nahm meine Hand.

Er hatte haselnussbraunes Haar und richtige Teddybäraugen.

Eigentlich sollte ich mir eher Sorgen machen, weil eine Gruppe Jungs mitten in der Nacht mit seltsam aussehenden Waffen Zielübungen veranstaltete, aber dieses Gefühl wurde von einem anderen verdrängt. Einem, das ich nicht deuten konnte.

"Magst du auch mal?", wiederholte er seine Frage von vorhin und griff nach seiner Waffe, die er gegen eine Wand gelehnt hatte.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die anderen aufgehört hatten zu schießen und uns jetzt anstarrten.

"Gibt's Ärger, Chef?", fragte einer.

"Nein", erwiderte Kimi nur.

Er war ihr Chef?

"Was macht ihr eigentlich genau?"

"Zielübungen."

"Wofür?"

"Willst du?", bot er mir seine Waffe an und überging so meine Frage.

"Ich kann's ja mal versuchen", meinte ich unsicher und er übergab mir die Waffe.

"Warte, du brauchst einen Helm. Der Rückstoß ist ziemlich heftig."

Ich fand das ganze ziemlich unrealistisch und hatte schon die Vermutung, das alles nur zu träumen.

Kimi setzte mir den Helm auf und stand dabei so nah hinter mir, dass ich seine Beine an meinen und seinen Atem in meinem Nacken spüren konnte. Ich griff auf den Helm und legte dabei unabsichtlich meine Hände direkt auf seine. Er zuckte weg und ging sofort ein paar Schritte zurück.

"Entschuldige", murmelte er und überspielte das ganze, indem er mir die Waffe erklärte.

Als er mir anwies, wie ich sie anlegen sollte, schaffte ich es nicht, sie auf meine Schulter zu hieven, weshalb er sich hinter mich stellte und mir half.

Das Ganze wurde immer unrealistischer. Ich stand hier mitten in der Nacht mit einem wildfremden Typen, der mir zeigte, wie man mit einer Waffe schoss. Aber mich umgab permanent ein Gefühl von Sicherheit. Als würde ich ihn schon kennen. Als wäre er mir nicht fremd.

Er legte mir die Waffe auf die Schulter und richtete meine Hände so, dass zwei Finger meiner rechten Hand am Abzug lagen. Dann zielte er, und drückte meine Finger auf den Abzug. Der Rückstoß war so unerwartet stark, dass ich gegen ihn stieß. Das überrumpelte ihn so, dass wir fast zu Boden fielen.

Lachend strich er sich durch die Haare und meinte: "Ich hab ja gesagt, der Rückstoß ist heftig."

Nach ein paar Minuten, in denen wir uns nur stumm betrachteten, fragte er: "Musst du nicht nach Hause?"

"Ähm ... ja."

Plötzlich hörte ich einen schrillen Schrei. Das letzte, das ich sah, waren seine wunderschönen Teddybäraugen. Dann wurde es dunkel.

KimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt