Sanft strich ich mit dem, in Desinfektionsmittel getunkten, Wattepad über die Wunden und holte immer wieder kleine Steinchen aus seinen Schürfwunden.
Ich wusste zwar nicht, was er mir verheimlichte, aber irgendetwas sagte mir, dass er es mir bald erzählen würde.
Also wenn sein Rücken "halb so schlimm" war, wollte ich eine, seiner Meinung, richtige Verletzung gar nicht erst sehen. Ein Wunder, dass er es überhaupt geschafft hatte, halbwegs zu schlafen.
Nachdem ich angefangen hatte, seine Wunden zu säubern, hatten wir uns sehr bald dazu entschlossen, die Position zu wechseln. Er hatte sich das T-Shirt komplett ausgezogen und lag jetzt mit dem Rücken nach oben auf meinem Bett. Ich saß neben ihm und hatte schon gefühlt eine halbe Packung Wattepads verbraucht.
Sein halber Rücken war schon braun vom Desinfektionsmittel und obwohl es höllisch brennen musste, gab er keinen Mucks von sich. Seitdem ich ihm angewiesen hatte, sich hinzulegen, hatte er kein einziges Wort mehr gesagt. Wenn ich nicht sehen würde, dass er atmete, hätte ich gesagt, er wäre tot, so bewegungslos lag er vor mir.
Jedes Mal, wenn ich mit den Fingern über seine Haut strich, bekam er eine Gänsehaut, als wäre es tiefster Winter.
Als ich fertig war, räumte ich alles wieder zurück ins Badezimmer und wusch mir die braune Flüssigkeit von den Fingern. Wieder in meinem Zimmer angekommen, merkte ich, dass er eingeschlafen war.
Ich ließ ihn schlafen und machte mir erstmal ein Frühstück. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich schon war. Er hatte meinen kompletten Tagesaublauf über den Haufen geworfen.
Nachdem ich etwas gegessen hatte, ging ich erstmal duschen. Vielleicht konnte ich wenigstens so ein bisschen abschalten.
Das erfrischende Wasser prasselte entspannend auf mich herab und ich shampoonierte gerade meine Haare ein, als ich bemerkte, dass ich kein frisches Gewand mitgenommen hatte.
Frisch geduscht und nur in ein viel zu kleines Handtuch gewickelt wanderte ich tropfend in mein Zimmer. Ich hatte vergessen, dass Kimi immer noch in meinem Zimmer war, weshalb ich mich erschrak, als ich die Tür öffnete. Er stand mit dem Rücken zu mir, immer noch oben ohne und beogutachtete meine Bücher.
"Nicht umdrehen", rief ich leicht hysterisch, weshalb er fragte: "Warum?", und sich natürlich umdrehte.
Er musterte mich von oben bis unten, eine Spur zu lange für meinen Geschmack, meinte dann nur: "Ah, ok", und drehte sich wieder um.
"Das nächste Mal könntest du mich vorwarnen, wenn du halbnackt hereinspaziert kommst."
"Haha. Ich hab gesagt, du sollst dich nicht umdrehen."
Seine Antwort war nur ein Lachen.
So schnell ich konnte, schnappte ich mir etwas zum anziehen und als ich "So, jetzt kannst du dich umdrehen" sagte, stand ich in Jogginghose, T-shirt und mit tropfenden Haaren vor ihm.
"Wie geht's deinem Rücken?"
"Ach, halb so schlimm."
"Halb so schlimm? Das hat für mich aber anders ausgesehen."
"Ich will nicht darüber reden, ok?", murmelte er, "Ich weiß, du ... äh ... wir kennen uns nicht so gut, aber kannst du mich umarmen?", fragte er plötzlich den Tränen nahe.
Sein Stimmungsumschwung war zu viel für mich, ich hatte noch nie einen Jungen heulen gesehen.
"Du hast mich die ganze Nacht wie einen Teddybären an dich gedrückt also kommt's auf eine Umarmung mehr oder weniger auch nicht an."
Als ich ihn in meine Arme schloss, begann er leise in meine Schulter zu schluchzen. Was auch immer passiert war, es musste wirklich schlimm gewesen sein, denn er sah nicht so aus, wie der, der wegen jedem bisschen anfängt rumzuheulen. Er sah eher aus wie der, der, wenn er wollte, andere zum heulen brachte.
Er hatte sein Gesicht in meiner Schulter vergraben, weshalb er etwas in die Knie gehen musste, denn er war fast einen Kopf größer als ich. Weil ich merkte, dass er nicht mehr lange so stehen, oder allgemein stehen konnte, dirigierte ich ihn, nochimmer in der Umarmung gefangen, zum Bett, um mich hinzusetzen.
"Sie ... sie sind wieder da", schluchzte er.
"Wer ist wieder da?"
Stille.
"Waren sie das?", ich meinte seine Wunden.
Nach einigen weiteren Schluchzern meinte er fast unverständlich: "Ja."
"Wer sind sie?", versuchte ich es wieder.
Stille.
Er hob seinen Kopf und wischte sich übers Gesicht.
"Können wir uns einen Film anschauen oder so?"
"Ja sicher. Hast du Vorschläge?"
"Einfach irgendwas. Ich brauche Ablenkung."
Ich suchte einen Film heraus und bevor ich ihn einlegte, fragte ich ihn: "Willst du ein frisches T-shirt? Ich kann dir eins bringen, wenn du willst."
"Ich weiß nicht ob das geht", meinte er und deutete auf seine Wunden.
"Wird dir nicht kalt?"
"Ich hab ja dich", meinte er mit einem Zwinkern.
Ich konnte nicht verhindern, dass ich leicht rot wurde. Warum musste ich immer falsch denken? Oder waren seine Aussagen immer so zweideutig? Schnell drehte ich mich um und legte den Film ein.
Wir legten uns aufs Bett und starrten auf den Bildschirm.
Der Film interessierte mich eigentlich gar nicht. Ich hatte nicht darauf geachtet, welchen ich genommen hatte.
Ich merkte, wie sich der Abstand zwischen uns sich zusehends verringerte. Hatte ich mich bewegt? Oder hatte er sich bewegt? Oder wir beide?
Die Werbung war vorbei und der eigentliche Film begann. Sofort wusste ich, dass ich einen gewaltigen Fehler begangen hatte. Es war ein Thriller. Bei so etwas war ich der größte Angsthase.
Ich sah es jetzt schon kommen, dass ich ständig kreischte oder mich vielleicht sogar an Kimi klammerte.
Der Vorspann war glücklicherweise so lang, dass er neben mir einschlief und ich unbemerkt den Fernseher abschalten konnte. Einen Thriller wollte ich mir nun wirklich nicht geben.
Er verschlief so ziemlich den ganzen Tag. Er musste sehr erschöpft sein.
Ich vertieb mir die Zeit mit lesen, mit Mila schreiben, an die Decke starren und hauptsächlich damit, ihn beim Schlafen zu beobachten.
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Kimi
Teen Fiction"Ich beschütze dich. Um jeden Preis", schwor er. Auch wenn das bedeutete, sie verlassen zu müssen. Kimi war ein unsterblicher Dämon, der sich dazu entschieden hatte, gegen das Böse anzukämpfen. Jede Nacht zog er mit seinen Jungs los. Während einigen...