05 | Eine rätselhafte Überraschung

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Nachdem ich mich von Mila verabschiedet hatte, war ich immer noch verwirrt. Sie hatte anscheinend etwas gemerkt, hatte es aber glücklicherweise nicht angesprochen.

Zuhause warf ich mich wieder ins Bett. Was sollte man sonst machen, wenn man alleine Zuhause ist? Das Fenster war wieder einmal offen. Wenn sie endlich wieder zu Hause waren, musste ich das meinen Eltern unbedingt sagen. Es war wahrscheinlich kaputt.

Als ich wieder einmal nach meinem Tagebuch griff, erwischte es aber nicht gleich, weshalb ich aufstand und nocheinmal nach dem Buch tastete. Das konnte nicht sein! Es war nicht da.

Leicht panisch schob ich die T-shirts und sonstiges Zeug weg, das vor und teilweise unter meinem Bett lag und sah, was ich nicht sah. Es war nicht da. Ich sprang auf und wollte schon beginnen, das ganze Haus zu durchsuchen - ich hatte es ja immer zurückgelegt, oder? - als ich es aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch entdeckte.

Unter meinem letzten Eintrag stand in der selben schnörkeligen Handschrift von letztens geschrieben: "Du brauchst keine Angst zu haben. Du weißt mehr als du zu wissen glaubst."

Was sollte das bedeuten? Wer hatte das geschrieben? Und wie war er in mein Zimmer gekommen?

Ich nahm das Buch vom Tisch und legte mich damit ins Bett. Auf einmal spürte ich einen Luftzug. Das Fenster war schon wieder offen. Wie konnte das sein? Stirnrunzelnd stand ich auf und schloss es erneut. Ich legte mich wieder in mein Bett und wollte gerade damit beginnen, in mein Tagebuch zu schreiben, als ich eine zweite Notiz in dieser alten Handschrift bemerkte. "Du brauchst keine Angst zu haben, denn ich werde dich beschützen. Um jeden Preis."

Ist das vorher schon da gestanden? Nicht, dass ich wüsste.


POV KIMI

Ich lag auf der Couch im Café meiner Eltern. Dort hatte ich zumindest meine Ruhe. Den Raum kannten die wenigsten und wenn jemand kam, verhielt er sich zumindest ruhig. In letzter Zeit war viel passiert. Ich wusste, dass ich sie nicht in Gefahr bringen durfte, wollte.

Am besten, ich hielt mich von ihr fern, aber das konnte ich nicht.

Sie hatten sie gesehen. Jetzt waren sie auch hinter ihr her. Die Schatten waren zurück gekehrt. Sie durften sie nicht finden.

Ich musste sie beschützen. Um jeden Preis. Nur wie? Ich war für sie ein Fremder. Sie wusste nichts über mich. Aber ich alles über sie.

Ich kannte sie, seit sie ein kleines Mädchen war. Unsere Eltern waren befreundet. Ihre Eltern wussten aber nicht von mir. Ich hatte mich immer im Hintergrund gehalten und alles beobachten.

Aber jetzt, waren die Schatten zurückgekehrt.

Langsam merkte ich, wie meine Augenlider schwerer wurden und ich in den Schlaf sank. Ich schlief schlecht, träumte davon, dass sie sie gefunden hatten und ihr jetzt dasselbe antaten, wie mir damals. Das konnte ich nicht zulassen.

Als ich aufwachte, merkte ich, dass jemand meine Hand hielt, mir durchs Haar strich. Ich konnte nichts sehen. Es war stockfinster. Ich merkte, wie sie versuchte, zu verschwinden, aber so leicht wollte ich es ihr nicht machen, weshalb ich ihre hand festhielt.

"Lilith?", fragte ich. Ich war mir sicher, dass sie es war.

Eine Weile wartete ich, ob ich eine Antwort bekommen würde, dann probierte ich es noch einmal: "Lilith?"

"Ja?", ertönte es zögerlich.

"Was machst du hier?", das war eher eine rhetorische Frage, ich wusste schon längst, was sie hier her führte.

"Ich wollte mich hinsetzten, hab aber dich dann da schlafen gesehen und -"

Ich legte meinen Finger auf ihre Lippe, um sie zu stoppen und spürte sofort ihre Verwirrung.

"Shhh ... danke."

Toll, jetzt hatte ich es noch mehr geschafft, sie zu verwirren. Zuerst denken, dann machen.

"Wofür?"

Diese Frage war ja zu erwarten.

"Du weißt wofür."

Das Licht ging wieder an und sie war noch verwirrter. Ich wusste, dass sie mich nicht sehen konnte, wenn es hell war. Warum sie mich schlafend entdeckt hatte, blieb mir jedoch ein Rätsel.

Während sie mit ihrer Freundin Kuchen aß, schlich ich mich hinaus, um nachzusehen, ob sie zu Hause sicher war. Ihre Eltern waren verreist. Sie war schon seit Wochen allein.

Ich sah die Irritation der Menschen, die ich auf meinem Weg unabsichtlich anrempelte. Keiner von ihnen konnte mich sehen.

Bei Lilith's Haus angekommen, kletterte ich flink die Hauswand hinauf und durch das Fenster in ihr Zimmer.

Sie könnten überall sein.

Auf meinem Rundgang durch ihr Haus, fiel mir ihr Tagebuch auf. Sie hatte es unter ihrem Bett versteckt und ich wusste, dass die meisten Menschen geheim hielten, was sie ihrem Tagebuch anvertrauten. Das konnte mich aber nicht davon abhalten, einen Blick hineinzuwerfen.

Ich blätterte bis zum neuesten Eintrag, wo mir sofort ein Satz ins Auge stach. "Ich habe Angst." Sie sollte keine Angst haben.

Was auch immer mich dazu trieb, ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Wie hypnotisiert griff ich nach ihrer Füllfeder und schrieb dazu: "Du brauchst keine Angst zu haben. Du weißt mehr als du zu wissen glaubst."  Was genau ich damit meinte, wusste ich selbst nicht.

Zwar wusste ich, dass sie jeden Augenblick nach Hause kommen konnte, aber ich wollte, konnte sie nicht allein lassen. Sie brauchte mich doch.

Als kleines Kind hatte sie immer panische Angst vor der Dunkelheit. Jedes Mal, wenn ich dann in ihrer Nähe war, entspannte sie sich ein wenig. Ich spürte, dass das heute noch immer so war. Als sie mich das erste Mal sah, in dieser Gasse ... noch bevor ich sie sah, spürte ich ihre Anwesenheit. An diesem Abend war mein Drang sie zu beschützen unbändig. Noch mehr als sonst. An diesem Abend, der ihr Leben für immer verändern sollte. Denn sie hatten sie gesehen. Noch nie hatte ich mich in ihrer Gegenwart gezeigt, weshalb sie immer in Sicherheit war, aber dieser Abend, dieser kleine Fehler, war mir, uns zum Verhängnis geworden.

Die Jungs wussten, dass ich für sie sterben würde, doch an diesem Abend hatten sie es mit eigenen Augen gesehen. Nur knapp war ich dem Tod entronnen. Ich hatte nichts anderes gesehen als sie. Sie, sie, sie.

Wenn wir sonst immer in Schwierigkeiten kamen, hatten meine Jungs oberste Priorität. Wir fünf gegen den Rest der Welt. Ich tat alles, dass ihnen nichts geschah. Doch an diesem Abend war es anders.

KimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt