16 | Wo war er?

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POV LILITH

Seit ich am Tag nach der Party in meinem Zimmer aufgewacht war, hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er war einfach verschwunden gewesen. Als wäre er nie dagewesen.

Ich machte mir Sorgen. Wirklich. Seine Stimmungsschwankungen verwirrten mich. Einmal war er super gut drauf, als wäre alles in Ordnung und dann wieder, wie das eine Mal, als ich ihn verwundet und völlig verstört in meinem Bett vorfand.

Natürlich verstand ich, dass er mir nicht sofort seine gesamte Lebensgeschichte erzählen wollte. Wir kannten uns ja noch nicht lange. Aber wenn es ihm genauso ging wie mir ... Er kam mir so vertraut vor. Nicht als würden wir uns erst ein paar Wochen kennen, sondern, als kannten wir uns schon unser ganzes Leben lang. Ich verstand das nicht. Er ... er war so geheimnisvoll und selbstsicher, aber trotzdem verwundbar. Er blieb mir einfach ein Rätsel.

POV KIMI

Nach dieser seltsamen Begegnung hatten wir uns ein anderes Versteck suchen müssen. Tief im Wald. Ich hatte mich entschlossen, eine Zeit lang nicht in ihre Nähe zu kommen. Nicht solange die Gefahr bestand, sie dadurch zu gefährden, wenn sie nicht sogar schon wussten, wo sie sich befand.

In regelmäßigen Abständen schickte ich einen meiner Jungs, um nach ihr zu sehen. Natürlich ohne, dass sie entdeckt wurden.

Ich vermisste sie. Ehrlich. Ich vermisste sie. Noch nie hatte ich auch nur ein Jahr meines Lebens, seit sie geboren war, ohne sie bleiben müssen. Doch jetzt ... nein, ich durfte mich ihr nicht nähern. Nicht, solange wir nicht wussten, wer uns diesen Überraschungsbesuch abgestattet hatte.

Gerade saß ich auf unserem ausgeblichenem, einstmals dunkelgrünem Sofa in einem verlassenem Fabriksgebäude mitten im Wald. Die Fabrik musste schon seit Jahrzehnten leer stehen. Sie war so verwachsen, dass wir zuerst nicht einmal den Eingang gefunden hatten und wenn es regnete, hielt das Dach auch nicht mehr ganz dicht, aber es war besser als nichts.

Jeden Tag saß ich auf diesem Sofa und starrte in die Leere. Hin und wieder kam einer der Jungs vorbei und brachte mir etwas zu essen oder einfach, um mir Gesellschaft zu leisten, doch mit der Zeit ging es mir immer schlechter.

Nach einem Monat hielt Nic meine Schweigsamkeit nicht mehr aus: "Jetzt hör mal zu. Ich schreib dir ja sonst nichts vor, aber so kann das nicht weiter gehen. Du sitzt hier Tag für Tag, starrst in die Leere und das einzige, was du machst ist Essen, schlafen und dich in den Schlaf weinen."

Ich sah ihn etwas geschockt an.

"Ja, glaub nicht, wir wüssten das nicht. Du musst zu ihr. Sag ihr was los ist. Wer du bist und erzähl ihr einfach alles. Du hast sie schon einmal gebraucht und sie war für dich da. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir da nicht etwas mitgeholfen haben-"

"Moment einmal, ihr habt mich zu ihr gebracht?! Ihr könnt von Glück reden, dass sie mich nicht vor die Tür gesetzt hat, als ich einfach so, ohne Erklärung in ihrem Bett lag! Du kannst dir ja nicht vorstellen, wie das ausgesehen haben muss!"

"Jetzt beruhig dich mal. Das hatte schon seinen Grund. Du hast ja gesehen, dass sie dich nicht vor die Tür gesetzt hat. Also: alles gut. Und jetzt: Geh zu ihr! Wir passen schon auf, dass nichts passiert. Sei einfach um drei im Park. Unter dem Baum mit den roten Blättern wird sie auf dich warten. Und wehe, du kneifst", mit diesen Worten war er verschwunden.

Ich verschwand ja selbst sehr gern einfach so, ohne Erklärung aber wenn das andere machten, hatte das schon etwas Nerviges an sich.

Sollte das heißen, sie hatten schon etwas ausgemacht? Was wäre gewesen, wenn ich nicht hätte kommen können? Ok, schlechte Ausrede. Ja, ich vermisste sie und ja, es könnte sein, dass ich schon einmal wegen ihr geheult hatte, aber woher wussten sie das und wie konnten sie einfach so über meinen Kopf Entscheidungen über mein Leben treffen?

Um drei im Park? Wie spät war es?

Ein Blick auf mein Handy verriet mit, dass es schon fünf vor drei war. Zum Park war es zu Fuß eine halbe Stunde! Wie sollte ich das rechtzeitig schaffen?

POV LILITH

Er war ein Freund von Kimi hatte er gesagt. Leo, wenn ich nicht recht erinnerte. Ich hatte ihn noch nie gesehen, geglaubt hatte ich ihm trotzdem. Deshalb saß ich jetzt hier im Park. Unter dem Baum mit den roten Blättern. Er war leicht zu finden gewesen, denn alle anderen Bäume waren noch voll mit grünen Blättern. Nur dieser eine war immer früher dran als die anderen. Jedes Jahr war er ein paar Monate vor den anderen voll strahlend roter Blätter.

Er hatte gesagt, Kimi würde um drei da sein. Es war schon zehn nach. Hatte er sich umentschieden? Wenn er mich nicht mehr sehen wollte, warum auch immer, konnte er es mir doch genauso gut auch sagen.

Das letzte Mal als ich ihn gesehen hatte, war vor zwei Monaten gewesen. Nach der Party.

Zehn Minuten würde ich noch warten. Höchstens. Nicht länger. Obwohl es eigentlich noch Sommer war, wurde es zum Abend hin schon empfindlich kalt.

POV KIMI

Ich war sofort losgerannt. So schnell ich konnte. Aber ich war trotzdem zu langsam. Das wusste ich. Hoffentlich würde sie warten.

Endlich kam der Park in Sicht. Ich war schon ziemlich außer Atem. Nach zwei Monaten ohne wirkliche Bewegung war es nicht gerade einfach so lange ohne Pause zu rennen.

Da war der Baum. Sie stand noch da. Aber sie wandte sich zum gehen. Sie sah mich nicht. Nein, nicht gehen!

"Lilith!", schrie ich, aber meine Stimme war zu leise. Es kam nur ein ersticktes Keuchen heraus.

Gleich wäre ich beim Baum.

"Lilith! Bleib stehen!"

KimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt