03 | Sah ich ihn je wieder?

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Es war schon eine Woche seit unserer Begegnung vergangen und ich war mir mittlerweile nicht sicher, ob ich ihn jemals wieder sehen würde. Es fühlte sich schon wie eine Ewigkeit an. Sollte ich noch einmal zu der Stelle gehen, wo ich ihn getroffen hatte? Ich war mir nicht sicher. Vielleicht waren sie doch Kriminelle, wie Mila vermutet hatte. Sie hatte es zwar sicher nicht ernst gemeint, aber ich war mir da nicht so sicher, was sie dort vorhatten. Mitten in der Nacht. Mit Waffen.

Unbewusst hatte ich mich schon längst dazu entschlossen, heute Nacht wieder dort hin zu gehen.

Den ganzen Tag wartete ich ungeduldig, dass es Dunkel wurde. Das hatte ich noch nie getan. Gehofft, dass es bald Dunkel wurde. Ich hatte mich immer gefürchtet. Mich unter meiner Bettdecke versteckt und Angst gehabt, dass die Schatten mir etwas antaten.

Als es endlich dämmerte, zog ich mir etwas unauffälliges an. Dunkle Farben, damit ich in der Schwärze der Nacht nicht so sehr auffiel. In unserer Stadt war es, sobald die Sonne unterging totenstill. Es fuhren keine U-Bahnen, Busse oder Züge mehr. Es war, als wäre es eine Geisterstadt. Nur die spärlichen Lichter, die einzelne Fenster von innen erhellten und die alten Straßenlaternen zeugten von Leben.

Ich zog mir die Kapuze über den Kopf und verließ das Haus. Es dauerte eine Weile, bis ich dort ankam, wo ich Kimi vermutete, doch kein Laut erreichte mein Ohr. Auch als ich die Gasse betrat und mich bis zu dem Platz vorwagte, an dem sie gewesen waren, war nichts als Dunkelheit. Nichteinmal die Straßenlaterne leuchtete. Es war, als wäre nie jemand hier gewesen. An diesem vergessenen Platz.

Enttäuscht wendete ich mich wieder zum Gehen, als ich auf einmal eine Hand auf meiner Schulter spürte. Ich wollte mich umdrehen, doch wer auch immer hinter mir stand, hielt meine Schulter so fest, dass das unmöglich war.

"Komm nie wieder hier her", hörte ich eine tiefe Stimme in mein Ohr flüstern. War das Kimi? Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken. "Nie wieder", wiederholte er und legte seine Stirn an meinen Hinterkopf. Das konnte niemand anders als Kimi sein.

"Warum nicht?", flüsterte ich.

Mit einem Mal begann es zu schütten. Innerhalb weniger Sekunden war ich bis auf die Knochen durchnässt, doch er hielt mich immer noch fest.

"Komm nie wieder. Lauf nach Hause. Dreh dich nicht um", ein letztes Mal spürte ich, wie sein Atem meinen Nacken kitzelte und schon war er so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war.

Sobald er weg war überkam mich auf einmal Angst. Panische Angst. Ich begann zu rennen. Kein einziges Mal drehte ich mich um. Komplett außer Atem versuchte ich den Schlüssel in das Türschloss zu bekommen, aber meine Hand zitterte zu sehr. Als ich es endlich schaffte, versperrte ich die Tür von innen und sprintete in mein Zimmer. In voller Montur warf ich mich in mein Bett und versteckte mich unter der Decke. Ich hatte mir nicht einmal die Schuhe ausgezogen, dass mein Bett und der gesamte Weg in mein Zimmer vollkommen schlammverschmiert waren, war mir zu diesem Zeitpunkt egal. Die Angst vor der Dunkelheit war wieder zurückgekehrt. Ich wusste nicht mehr, was mich dazu gebracht hatte, dort hin zu gehen. Vor Angst kamen mir die Tränen.

Anscheinend war ich eingeschlafen, denn als ich die Augen aufschlug, spürte ich einen Luftzug. Das Fenster war offen. Ich stand auf, um es zu schließen, doch in dem Moment bewegte sich der Vorhang.

"Ist da wer?", wagte ich mich vor. Ich dachte, einen Schatten gesehen zu haben, doch jetzt war nichts mehr da.

Kopfschüttelnd schloss ich das Fenster und drehte das Licht auf. Im Dunkeln wollte ich heute Nacht jedenfalls nicht schlafen, falls ich überhaupt noch schlafen konnte.

Als ich mich wieder hinlegen wollte, bemerkte ich einen Zettel, der mitten auf meinem Bett lag. In einer wunderschönen, schnörkeligen Handschrift stand dort: "Solange du die Kette trägst, kann dir nichts geschehen." War die Kette mit dem weißen Drachen gemeint? Seit ich sie gefunden hatte, hatte ich sie nur beim Duschen abgelegt. Ich hatte sie gehütet wie einen Schatz, obwohl ich nicht einmal wusste, woher sie kam. Aber wichtiger war die Frage: Wie war der Zettel dort hin gekommen und von wem war er? Ich hatte doch hier geschlafen und darauf bin ich sicher nicht gelegen, er hatte keine einzige Falte. Die Handschrift sah aus, wie vor hundert Jahren geschrieben worden war. Wie war der Zettel hier her gekommen?

Ich legte ihn verwirrt auf meinen Schreibtisch und versuchte wieder einzuschlafen.

Nach gefühlt fünf Stunden in denen ich die Decke angestarrt hatte, holte ich mein Tagebuch unter dem Bett hervor. Vielleicht kamen meine Gedanken zumindest etwas zur Ruhe, wenn ich sie aufschrieb.

Heute bin ich wieder zu der Stelle gegangen, an der ich Kimi das erste Mal getroffen habe. Er war nicht da. Aber als ich wieder gehen wollte, hat mich jemand, vielleicht er, an der Schulter gepackt und geflüstert, ich solle nie wieder dort hin gehen und jetzt nach Hause rennen, ohne mich umzudrehen. Er hat dann noch seine Stirn an meinen Hinterkopf gelegt und ist dann auf einmal verschwunden. Als er weg war, war auf einmal auch meine Angst vor der Dunkelheit wieder da. Ich habe so Angst gehabt, dass ich komplett panisch weggerannt bin und mitten in der Nacht bin ich aber wieder aufgewacht, weil das Fenster offen war und dann ist auf meinem Bett ein Zettel gelegen. Darauf stand, dass die Kette mich beschützen würde. Wahrscheinlich ist die Drachenkette gemeint, aber wie ist der Zettel auf mein Bett gekommen? Es ist ja nicht so, als wäre der vorher schon da gelegen. Ich habe Angst.

KimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt