. . . ist die enttäuschung,

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14. November 2011

Isaac,

es ist armselig, dass ich inzwischen keine Kontrolle über meine Emotionen mehr habe. Ich weine zu den seltsamsten Zeiten und in den unpassendsten Situationen los. Selbst wenn ich gerade mit einer Arbeit beschäftigt bin, kann ich meine Tränen nicht zurückhalten. Sie fließen über meine Wangen, versperren mir die Sicht, ertränken mich. Ich bin überfordert mit deinem Zustand, unseren Erinnerungen, aber vor allem mit meinem Leben.

Ich habe nach jemandem gesucht, der meinem grauen Leben Halt und Sinn gibt. Als ich dir begegnet bin, habe ich gedacht, dass du dieser Jemand bist, dass ich endlich jemanden gefunden habe, für den es sich zu leben lohnt, dass du meinem Leben eine neue Bedeutung geben würdest. Aber das Traurige ist, dass ich nach wie vor eine Gefangene meines eigenen Lebens bin. Ich bin gefangen in meinem Kopf. Die Gitterstäbe dieses Gefängnis sind so stahlhart, dass ich sie nicht herunterreißen kann.

Isaac, hattest du jemals das Gefühl, dass das Leben, das du lebst, nicht dir gehört? Du hast keine Kontrolle. Alles, was du tust, ist zu beobachten und warten. Jeder um dich herum lebt sein Leben wahrhaftig aus, aber du - du atmest nur.

Dieses Gefühl begleitet mich ständig. Durch die Gitterstäbe beobachte ich die Personen in meiner Umgebung, sehe zu, wie sie ihr Leben führen, wie sie sich fortschreiten. Aber meine Fesseln hindern mich dazu. Stattdessen verstärken sie ihren Griff um meine Gelenke und verursachen unerträgliche Schmerzen. Ich ertrage sie nicht mehr, ich ertrage mich selbst nicht mehr, und jetzt verstehe ich, wieso du mich nicht mehr ertragen hast. Ich bin eine Last. Eine Last, die niemand tragen möchte, weil diese Art von Last zerstörend ist.

Ich fühle mich so, als wäre mein Leben ein Puzzle und einige Teile davon sind verloren gegangen. Angestrengt versuche ich nach diesen Puzzeln zu suchen, aber ich scheitere. Ich habe gedacht, dass du ein Puzzleteil meines Lebens bist. Für eine Weile hatte ich das Gefühl, dass du mein Leben vervollständigen könntest, dass ich mit dir an meiner Seite alle Hindernisse überwinden und aus diesem Gefängnis entfliehen könnte. Aber ich habe mich getäuscht, was mich nicht überrascht.

Du hast mich schon oft genug enttäuscht, oft genug deine Versprechen gebrochen und dich oft genug entschuldigt, obwohl es dir in Wahrheit nie leidgetan hat. Aber ich habe dir jedes Mal verziehen, jedes verdammte Mal und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem ich endlich einsehen muss, dass du dich nie ändern wirst und dass ich dich nie so akzeptieren werde, wie du bist.

Ich will mich nicht mehr vor der schmerzhaften Wahrheit verstecken. Sie tut so unbeschreiblich weh, aber ich möchte lieber die Schmerzen spüren, die eine Wahrheit verursacht, als weiterhin in einer Illusion zu leben, die mich auf Dauer nicht glücklich machen wird.

Die Wahrheit ist, dass du verantwortlich bist, dass ich nichts weiter als Hass gegen mich empfinde, dass ich mir selbst Qualen bereite, weil ich nicht gut genug für dich bin, dass ich mich so fühle, als würde ich keinen Wert besitzen.

Ich liebe dich so sehr, dass ich vollkommen vergessen habe, wie es ist, mich selbst zu lieben. Ich habe mich für dich so sehr verändert, dass ich die Person, zu der ich geworden bin, nicht erkenne, geschweige denn ausstehen kann.

Danke, dass du mir die Kunst des Selbsthasses gelehrt hast, Isaac.

In Liebe,
Vanda

Was Uns BleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt