. . . sind die erinnerungen,

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20. Jänner 2012

Isaac,

heute habe ich zum ersten Mal seit vier Monaten gemalt; es ist nichts Spektakuläres geworden, aber immerhin etwas. Statt die ganze Nacht wach zu bleiben und im Bett herumzuwälzen bin ich zum Atelier, das ich seit einer Woche miete, gefahren. Am Anfang bin ich planlos dagesessen und habe die weiße Leinwand angestarrt, während ich darauf gewartet habe, dass sie mir selbst etwas vorzeichnet. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie du mich zuerst irritiert angesehen hättest, bevor du in Gelächter ausgebrochen wärst, weil es von mir idiotisch gewesen ist, zu denken, dass die Leinwand von sich aus tätig werden könnte. Ich hätte dich auf die Schulter geschlagen, aber mich deinem Lachen trotzdem angeschlossen.

Dieses Gedankenbild hat mir ein Lächeln auf die Lippen gezaubert, weil es mich daran erinnert hat, wie einfach die Dinge zwischen uns einst gewesen sind. Es ist erstaunlich, was Erinnerungen in uns auslösen können. Ein Kribbeln im Bauch, wenn man an einzigartige Erinnerungen denkt, oder ein schmerzhafter Stich im Herz, wenn traurige Erinnerungen hochkommen, oder auch nur ein Lächeln, wenn man an lustige Momente zurückdenkt. Diese Erinnerungen sind ein Trost und eine Qual zugleich. Ich erinnere mich an alles, was uns verbindet oder besser gesagt verbunden hat; keine Erinnerung an dich ist verblasst, denn sie spielen sich jede Nacht in meinem Kopf immer wieder aufs Neue ab. Für mich bedeuten diese Erinnerungen die Welt. Ich lebe in ihnen, denn nur sie zeigen mir die Welt, wie ich sie mir wünsche, die aber leider nicht mehr existiert.

Vor allem an die Momente, die ich das erste Mal mit dir erlebt habe und die schönen Momente, die ich mit dir gesammelt habe, denke ich oft zurück. Wie wir manchmal nachts stundenlang im Bett gelegen sind und uns über alles Mögliche unterhalten haben. Wie wir die Nacht zum Tag gemacht haben, weil wir uns einen Film nach dem anderen angeschaut haben. Wie wir gemeinsam eingeschlafen sind - wie du vor mir eingeschlafen bist, obwohl du länger wach bleiben wolltest als ich. Wie du mich im Schlaf an dich gezogen und umarmt hast. Wie ich morgens wach geworden bin und bemerkt habe, dass du vor mir aufgewacht bist und mir beim Schlafen zugesehen hast.

All diese Momente werden unvergesslich bleiben. Eine Zeit lang hätte ich alles dafür gegeben, diese schönen Momente unserer Beziehung erneut zu erleben, aber inzwischen wünsche ich mir das nicht mehr, denn dann müsste ich auch durch die qualvollen Phasen gehen, was mein Herz ein weiteres Mal nicht ertragen würde. Die schmerzvollen Augenblicke überwiegen die zauberhaften.

Weil die Dinge sich zwischen uns so abrupt und drastisch verändert haben, als du mein Herz in tausend Teile gerissen hast. Du hast Spuren bei mir hinterlassen, sowohl positive als auch negative, weswegen ich es nie schaffen werde, dich zu vergessen. Wenn ich an die guten Erinnerungen denke, taucht im nächsten Moment eine schlechte auf. Momente unserer Auseinandersetzungen, deinen Fäusten, von gebrochenen Glasscherben durchfluten meinen Kopf. Sie bringen mich zum Weinen; zum Schreien, weil sie höllische Schmerzen mit sich bringen und ich sie nicht aus meinem Kopf löschen kann. Sie haben mich geprägt, ruiniert und schließlich kaputtgemacht.

Und alles, was uns am Ende bleibt, ist eine Zeit, die nie mehr zurückkehren wird. Alles, was uns bleibt, sind die tröstenden Erinnerungen, die uns auch die größten Qualen bereiten.

In Liebe,
Vanda

Was Uns BleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt