. . . ist die vierte scherbe,

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6. Dezember 2011

Isaac,

eine deiner toxischsten Charakteristika ist dein Stolz gewesen. Er ist Teil von dir gewesen, der wie eine zweite Haut an dir geklebt hat. Würde man diese Haut abschälen, würde wahrscheinlich nicht viel von dir übrigbleiben.

Du hast gewusst, dass du viel zu stolz gewesen bist, aber dein Ego hat nie zugelassen, dass du dich änderst. Ich erinnere mich, als ich dich vor einer Weile darauf angesprochen habe. Zuerst hast du mich erzürnt und fassungslos zugleich angestarrt und mich gefragt, ob die Frage ernst gemeint sei. Bis heute spüre ich noch den stechenden Schmerz auf meiner Wange, als mir deine Hand statt deinem Mund geantwortet hat. Ich weiß nicht, wieso ich damals erwartet habe, dass du dich gleich entschuldigen oder mir die heißen Tränen wegwischen wirst, denn das hast du seit einer ganzen Weile nicht mehr gemacht. Aus deinen stechend grauen Augen, die aufgrund deines Zorns einen dumpfen, hässlichen Ton angenommen haben, hast du zu mir herabgesehen und gesagt, dass dein Stolz ein Teil von dir ist, den ich entweder akzeptieren müsste oder andernfalls dich verlassen sollte.

Ich liebe dich zu sehr, um dich zu verlassen. Es schmerzt, mich von dir zu trennen. Aber jetzt denke ich an diesem Moment zurück und wünsche mir, dass ich die Kraft aufgebracht hätte, um mich von dir loszureißen. Stattdessen bin ich geblieben und habe mir gedacht, dass es ein Charakterfehler von dir gewesen ist, weil immerhin niemand von uns perfekt ist.

Aber sieh dir nun, wohin mich das geführt hat.

Dieser Gedanke führt mich zu der nächsten Frage. Hast du deine Entschuldigungen eigentlich je ernst gemeint? Du hast dich nicht oft für deine Fehler entschuldigt, weil du der Ansicht gewesen bist, dass du stets im Recht gewesen bist, während die Menschen und im Grunde die ganze Welt um dich herum falsch gelegen sind. Bei unserer ersten Verabredung hast du erwähnt, dass Entschuldigungen nur leere Worte sind, dass hinter ihnen keine Emotionen stecken und Menschen es nur sagen, wenn sich eine passende Situation für sie bietet.

Du hast dich getäuscht, Isaac, wie auch über viele andere Dinge.

Um ehrlich zu sein, habe ich diese Worte komplett vergessen. Wahrscheinlich ist es mir deswegen leichtgefallen, dir zu verzeihen. Aber weil deine Entschuldigungen so selten gewesen sind, habe ich mich schnell mit dir versöhnt, weil ich nämlich gedacht habe, dass du dich mit deinen Fehler wahrhaftig auseinandergesetzt und dich schlecht gefühlt hast. Mir ist nicht aufgefallen, dass du zu mir angerannt gekommen bist, weil du etwas gebraucht hast; einmal sind es meine Nähe und Berührungen gewesen, ein anderes Mal lediglich meine Präsenz für deine Wutausbrüche oder mein Geld für dein Stoff, weil deine Eltern dich nicht mehr finanziell unterstützt haben.

Ich habe mir dabei nichts gedacht, weil ich die Dinge für selbstverständlich gesehen habe. Immerhin ist es meine Aufgabe als deine Freundin gewesen, dich zu unterstützen, wo auch immer du mich gebraucht hast. Dabei habe ich vollkommen vergessen, was ich selbst brauche. Deine Bedürfnisse haben meine vernichtet, weil ich deinen Priorität gegeben habe. Mit der Zeit haben sie mich so sehr eingenommen, dass ich ohne sie keine Bedeutung hatte. Dadurch hast du mir das Gefühl gegeben, dass ich ohne dich keinen Wert besitze.

Du hast mich von dir abhängig gemacht. Du hast deinen Stolz über mich gestellt und mich glauben lassen, dass ich bedeutungslos bin und ohne dich nicht überleben werde.

In Liebe,
Vanda

Was Uns BleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt