Licht flutete Zara entgegen, angenehme Kühle und der staubige Geruch der Wüste. Sandkörner hoben sich vom Boden, tanzten in der Nacht, unter den Augen der wachsamen Sterne. Abgesehen von ihnen und dem fast vollen Mond gab es keine Lichtquellen, doch nach Tagen, die Zara unter der Erde verbracht hatte, kam der Sternenhimmel ihr vor wie eine Erleuchtung. Sie spürte Sand unter den Sohlen und atmete den frischen Wind ein, der unter ihre Kleider fuhr und den Stoff kräuseln ließ. Beinahe musste sie sich beherrschen, sich nicht einmal freudig um die eigene Achse zu drehen.
Khámin beobachtete sie mit einem vorsichtigen Lächeln. Er war wie sie und alle anderen in pechschwarze Gewänder gehüllt und hatte Haare und Gesicht mit dunklen Tüchern verhängt. Bloß die Partie um die Augen hatten sie ausgelassen. Von hinten hatte Zara Probleme, die Kameraden voneinander zu unterscheiden, doch damit schien sie die einzige zu sein.
Mit einer flinken Geste bedeutete Khámin seiner Gruppe, ihm zu folgen. Lautlos huschten sie an Hauswänden entlang, durch enge Gassen und Nebenstraßen, die nicht von Laternen gesäumt wurden. Sie mieden das Licht und verschwammen mit den Schatten, die die Mauern und Häuser warfen. Zara bewunderte ihre flinke und leise Art, unbemerkt über das Pflaster zu huschen. Sie befand sich an vierter Stelle und musste aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren.
Direkt vor ihr machte sich der große Graus so klein wie möglich. Zara konnte nicht anders, als gebannt dem Rhythmus seiner geschmeidigen Bewegungen zu folgen. Diese Agilität hätte sie dem Riesen niemals zugetraut.
Sie brauchten nur wenige Straßen, um von ihrem Ausgangspunkt zu ihrem Ziel zu gelangen. Zara merkte, dass sie es erreicht hatten, als sie stoppten und an eine Wand gepresst stehen blieben. Der Blick aller lag auf einem Gebäude auf der anderen Straßenseite, oder genauer, auf der meterhohen Steinmauer, die davor aufragte und es beinahe vollständig verdeckte.
Khámin gab ein paar Handzeichen, die Zara nicht verstand. Dann holte er das mit Ruß geschwärzte Seil hervor, das er unter seinen Kleidern verstaut hatte, und reichte es an den Mann hinter sich weiter.
Graus war der erste, der die Mauer erreichte. Kaum war er angekommen, verschwand er spurlos im Dunkeln. Zara blinzelte heftig, als sie ihn wirklich nicht mehr erkennen konnte. Es war wie ein Zaubertrick, als hätte ihn ein prahlerischer Magier wie von Geisterhand verschwinden lassen. Erst, als sie zweimal blinzelte und ganz genau hinsah, erkannte sie seine Umrisse vor der Mauer.
Zett sprang aus dem Versteck hervor, das lange Seil in der Hand, auf seinen Kumpanen zu. Er trat in seine ausgestreckten Hände und wurde mit viel Schwung emporgehoben. Zara hatte gehört, dass es normalerweise Klinges Aufgabe gewesen wäre, doch aufgrund ihrer Verletzung musste Zett, der Kleinste und Leichteste der Männer, ihren Part übernehmen. Seine Finger bekamen die Kante zu fassen. Mit geschickten Bewegungen zog sich der Dieb nach oben und machte sich geduckt davon.
Khámin lief los und alle anderen hinter ihm her. Rechts vom Grundstück machten sie unter ein paar Palmen Halt. Hier schien Zett einen geeigneten Ort gefunden zu haben, um das Seil festzuzurren. Zara machte nur ein paar Bewegungen aus, dann plumpste es zu ihnen herunter.
Khámin trat als erster vor, zog prüfend an dem Tau und entschied, dass Pest den Anfang machen sollte. Nachdem der Dieb sich behände bis ganz nach oben gehangelt hatte, war Zara an der Reihe. Am liebsten wäre sie unten geblieben, bei Graus, der vor dem Grundstück Wache hielt, um unangenehmen Überraschungen vorzubeugen. Doch sie wusste, dass Khámin ihr keine Wahl lassen würde.
Als sie an die Mauer trat und die Finger um das dicke Seil legte, hörte sie Khámin unter seinem Schal flüstern.
„Bleib in meiner Nähe."
Ob er ihre Gedanken lesen konnte?
Zara verzog keine Miene und ergriff das Seil. Entschlossen spannte sie die Muskeln an und zog sich hoch. Das Klettern war in ihrer Ausbildung kein Schwerpunkt gewesen, doch natürlich hatten sie viele verschiedene Arten des körperlichen Einsatzes geübt. Es fiel Zara nicht schwer, die Füße gegen die Wand zu stemmen und sich Stück für Stück voran zu arbeiten. Schneller als sie erwartet hatte, war sie oben angelangt und zog sich in eine hockende Position, wie die anderen es taten.
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Yuvial
FantasyZara konzentrierte sich auf den Horizont und auf die Dünen, die im Mondlicht fahl wirkten, beinahe weiß. Der Gedanke an ihre Mutter ließ das schlechte Gewissen wieder aufkommen. Sie stellte sich vor, wie sie in diesem Moment auf dem Diwan hockte, st...