Kapitel 20

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Die Mauer zum Gefängnis zu bewältigen war erstaunlich einfach. Der graue Klotz, der sich dahinter versteckte wie ein unliebsames Versprechen, wirkte dagegen unzugänglich. In sich gekehrt. Angsteinflößend.

Der erste Schritt war, die Wachen auf den Mauerzinnen zu überwältigen. Es war ein Wettrennen gegen die Zeit: Sie mussten die Männer handlungsunfähig machen, ehe diese Alarm schlagen konnten. Fünf Diebe hielten auf der Mauer Wache, stellten dunkle Schemen in der Nacht dar, die genauso gut Gefängniswärter hätten sein können. Alle anderen ließen sich in den großen Vorhof nieder. Im Gegensatz zu Gháwins Garten war dieser karg und wüst. Es gab keine künstlich angelegten Pflanzen, keine Blumenbeete oder Zierpalmen. Der Boden war voller Kies und Sand – zerwühlt von einer Vielzahl unterschiedlichster Fußabdrücke.

Am Eingang waren zwei Männer positioniert. Zwei Diebe schwärmten nach links aus, um einen von ihnen unschädlich zu machen, zwei Frauen nach rechts. Stolz durchschwemmte Zara, als sie die präzisen Schläge beobachtete, mit denen die erste Frau den Kerl bearbeitete und ihm die Hände auf den Rücken band, während die zweite ihm einen Knebel in den Mund stopfte. Bevor sie zum Zug aufgebrochen waren, hatte Zara ihnen im Schnellverfahren gezeigt, wie man so etwas machte. Dass die Aktion aber geradezu elegant und geräuschlos vonstatten ging, hätte sie nicht geglaubt.

Aus den Augenwinkeln konnte Zara erkennen, dass Klinge die Frauen mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. Eine von ihnen blieb da, um den Wächter zu ersetzen, die andere folgte ihnen ins Gebäude.

Die Eingangshalle war finster. Die Diebe hatten ihre Laternen mit festem, dunklem Stoff abgedeckt, um mit keinem Lichtschimmer zu verraten, dass sie hier waren. Nun ließ Klinge einen kleinen Spalt offen, um sich im Raum zurecht zu finden.

Das Gebäude besaß drei Stockwerke; einen Keller und zwei Obergeschosse. Unter den Dieben waren genug Männer, die schon einmal hier eingesessen hatten, deshalb hatten sie von Anfang an einen ungefähren Plan von dem Gebäude gehabt. Sie teilten sich auf. Jeden Moment konnte ein aufmerksamer Wachmann sie bemerken und Alarm schlagen. Sechs Frauen, drei Männer und Zara nahmen sich den Keller vor. Klinge blieb mit einer Gruppe von zehn Mann zurück, um zur Hilfe eilen zu können, sollte etwas schiefgehen.

Oben angekommen teilte Zara die Gruppe nochmals auf. Drei Gänge galt es zu erforschen, jede davon vollgestellt mit aneinander gereihten Zellentüren. Auf leisen Sohlen arbeiteten sie sich vorwärts. Pest und Zelma waren an ihrer Seite, was Zara ungemein beruhigte.

Aufmerksam starrte sie hinter die Gitterstäbe. Die Männer sahen zerlumpt aus, mager und von Narben geprägt. Zara fühlte die Gefahr, die von jedem einzelnen ausging. Angespannt bemühte sie sich, keinen Laut von sich zu geben, in der Hoffnung, von den Insassen einfach nicht bemerkt zu werden...

Direkt neben Zaras Ohr flüsterte jemand einen Namen. Die unerwartete Stimme ließ sie herumfahren. Pest bewegte sich hinter ihr und sah zu einer Zelle hinüber, an der sie vorbeimarschierten. Er kannte etliche Diebe, die hinter diesen Türen festsaßen. Am liebsten hätte er sie vermutlich befreit, doch Klinge hatte es verboten. Wenn sie einen befreiten, so ihre These, würden andere selbiges von ihnen fordern – und zwar lautstark. Weder hatten sie die Zeit, noch die Möglichkeiten, alle Insassen aus ihren Zellen zu holen und aus dem Gefängnis zu transportieren.

Im Moment schienen die Gefangenen zu denken, sie seien Nachtwächter, die nach dem Rechten sahen. Vermutlich erkannten sie bloß drei dunkle Gestalten und den Schein ihrer Laternen, die in jeden Käfig hineinleuchteten. Die meisten von ihnen schliefen.

Zaras Herz schlug schneller, als sie eine in sich versunkene Person mit schwarzem Haarschopf auf einer Bank sitzen sah. Die Arme waren muskulös und braungebrannt, die Nase wohlgeformt und gerade. Aufgeregt trat sie näher heran.

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