Kapitel 22

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Der Palast war ein gigantisches Gebäude. Hatte Zara die Schule der Zékkra für beeindruckend gehalten, so war das königliche Anwesen mindestens doppelt so groß und mit noch mehr Borten und vergoldeten Statuen verziert. Ein mächtiger Fries prangte über dem Tor, das den Eingang bildete. Es stellte einen König mit seinem Gefolge dar, die Sonne stand über ihm und ließ ihn in heiligem, golden dargestelltem Licht erstrahlen. Ein mit Gold durchwebter Teppich bereitete den Ankömmlingen den Weg in die riesige Halle, gesäumt von dicht aneinander gereihtem Wachpersonal. Der Thron am anderen Ende war leer.

Zamuel und Zara folgten dem Soldaten, der sie bis vor die Stufen zum Thron führte. Zara spürte die Blicke auf sich, die ihr von allen Seiten zugeworfen wurden. Sie spürte Angst wie Neugier. Jeder im Raum wusste, wer sie war – oder wer sie vorgab zu sein. Eine Verbrecherin. Eine Mörderin. Die wiedererweckte, mächtigste Magierein aller Zeiten.

Zara hielt den Kopf gesengt, sodass die hellblonden Haare ihr Gesicht wie einen Vorhang verdeckten. Sie hatte Angst, jemand könne den Schwindel in ihren Augen lesen. Besser wäre es gewesen, sie hätte an den Fesseln gezerrt und jedem giftige Blicke zugeworfen. Doch überzeugend hätte es nicht ausgesehen. Angst überkam Zara und sie musste ein heftiges Zittern unterdrücken. Was sie hier tat, war reiner Selbstmord.

Neben dem Thron saß ein zusammengesunkener Mann in einem goldenen Sessel. Die vornehme Kleidung konnte nicht verbergen, wie sehr ihm der übermäßige Genuss von Speisen und Alkohol zugesetzt hatte. Der Bart und das dünne Haar waren frühzeitig ergraut und machten ihn zwanzig Jahre älter, als er vermutlich war.

Zamuel stoppte mit wenigen Schritten Abstand vor dem Mann und Zara stolperte beinahe, als sie es ihm gleichtun wollte. Den Blick ständig auf den Boden geheftet, bemerkte sie als einzige das Zucken von Zamuels Hand, als er den Impuls unterdrückte, sie festzuhalten. Durch den weiten Saal tönte seine Stimme laut und klar.

„Was soll das?" Der Wachmann, der sie vorgeführt hatte, drehte sich zu ihm um. „Ich wollte mit dem König sprechen. Er ist es doch, der das Mädchen haben will, oder etwa nicht?"

Der Wachmann antwortete nicht, stattdessen erhob sich der Mann auf der rechten Seite des Thrones. „Ich bin Gháwin, mein Herr. Des Königs Freund und Berater." Zaras Blick zuckte hoch. Das sollte er sein? Der wohlhabende Gutsherr, in dessen Anwesen sie eingebrochen waren? Verstohlen beobachtete sie den Mann, während er sprach. „Was Ihr mit König Veheres II besprechen wollt, könnt ihr ebenso gut mir vortragen."

Zamuel tat verärgert, in Wirklichkeit war er jedoch nervös. Schon die leichteste Abweichung von seinem Plan machte ihn unsicher, obwohl es im Grunde keine Rolle spielte, wem er seine Beute übergab.

Gháwin hatte Recht: Ob sie mit dem König sprachen oder mit ihm, machte letztendlich keinen Unterschied. Dennoch musste Zamuel nachhaken. „Nennt mir zumindest den Grund, weshalb ich mit Euch spreche und nicht mit dem König persönlich."

Einen Moment lang trat Stille in den Saal, in der Gháwin seine dicklichen Arme vor der Brust kreuzte. „Für den Fall eines Attentats", antwortet er schließlich. „In der letzten Zeit hat es mehr als genug Anschläge magischer oder nichtmagischem Ursprungs gegeben. Wenn es um seine eigene Sicherheit geht, kann der König nicht vorsichtig genug sein..."

Zara überdachte seine Worte und kam zu dem Schluss, dass es Gháwin missfiel, an der Stelle des Königs dessen Drecksarbeit zu erledigen. Doch ganz offensichtlich tat er dennoch wie ihm geheißen. Zara glaubte nicht, dass er dem König Widerworte gegeben hatte.

Zamuel fuhr fort. „Ich bringe Euch Luvah", hier machte er eine dramatische Pause. Zara konnte hören, wie einige Männer nach Luft schnappten. „mit Haut und Haar, vollständig lebendig. Wenn ich mich recht entsinne, war eine Belohnung ausgesetzt..."

YuvialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt