Kapitel 18

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Luvah sah beeindruckend aus in einem bordeauxroten Abendkleid, die langen Haare zu einer kunstvollen Frisur gesteckt. Sie stand in einem Schlafgemach, einem riesigen Zimmer mit spiegelglatten Fliesen, bodenlangen Gardinen und zahlreichen Bilderrahmen aus Gold. Auch der Spiegel hatte eine goldene Fassung, das dunkle Holz des Mobiliars glänzte wächsern und die Schatullen und Parfümfläschchen sahen besonders hochwertig aus.

Den Mittelpunkt des Zimmers bildete ein breites Himmelbett mit weichen Laken in der prachtvollen Farbe der Gardinen. Zara war beeindruckt. Sie fragte sich, wo sie sich wohl befanden. Die Dame im Sternenkleid lieferte ihr eine Antwort, sobald Glanz und Prunk genug auf Zara gewirkt hatten.

„Das hier", Luvah machte eine allumfassende Geste, „ist das Gemach von König Thelam III." Zara kramte in ihrer Erinnerung. Diesen Namen hatte sie schon einmal gehört. Vermutlich hatte er vor zweihundert Jahren Yuvial regiert. Der heutige Herrscher, König Veheres II, war zu dieser Zeit noch nicht geboren. Das war ein merkwürdiger Gedanke. Zara erhielt soeben Einblick in die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Bilder, an die nie ein anderer kommen würde. Dieser Gedanke machte sie schon ein wenig ehrfurchtsvoll.

Zara versuchte zu sprechen und war überrascht, als es ihr gelang. „Was tun wir hier?"

Wenn Zara es nicht besser gewusst hätte, hätte sie Luvahs Lächeln für echt gehalten. „Ich will dir zeigen, was alles dir gehören könnte, wenn du mit mir zusammenarbeiten würdest." In einer vertrauten Geste, als wären sie Freundinnen, nahm sie Zara am Arm und zog sie zu einem riesigen Spiegel hinüber. Er war mehrere Köpfe größer als Zara und sie konnte sich komplett darin betrachten. Ein Gewand aus dunkelgrüner Seide ließ sie um mehrere Zentimeter wachsen. Die Farbe nahm dem Funkeln ihrer Augen etwas von ihrer Schärfe. Ihre Haare waren zusammengebunden, ähnlich wie Luvahs und obenauf thronte das silbrige Diadem, das inzwischen sicher auf dem Schwarzmarkt zum Verkauf auslag.

„Siehst du, was du verpasst? Stell dir nur vor, wie ein Leben im Palast aussähe! Teure Kleider, Schmuck, Bedienstete, die dir jeden Wusch von den Augen ablesen..."

Abscheu machte sich in Zara breit. „Ich will das alles nicht", erklärte sie bestimmt.

Luvah versuchte es weiter. „Du kannst mir nicht erzählen, dass dir dieses stinkende Loch voller Gesindel gefällt." Die größere Frau stand hinter Zara und blickte sie durch den Spiegel prüfend an. Zwei wunderschöne Frauen in einem teuren Gemach. „Ich weiß, wie sehr du das Licht vermisst. Ich fühle es genauso wie du." Luvah legte ihr versöhnlich eine Hand auf die Schulter. Wie eine Mutter ihrem Kind.

Unwillkürlich musste Zara an ihre eigene Mutter denken. Sie erinnerte sich daran, wie sie Zara als Kind das Haar geflochten hatte, vor ihnen ein großer Spiegel, durch den sie sich in die Augen hatten sehen können. Zaras Mutter hatte ihre langen, schwarzen Haare stets zu einem ordentlichen Zopf gebunden. Ihre Haut war so dunkel wie die Wüste – so dunkel wie Mutter und Tochter.

Zaras Mutter hatte immer das Beste für sie gewollt. Sie hätte es gutgeheißen, Zara in einem Palast zu sehen, an der Seite eines wohlhabenden Mannes. Sie hätte Zara angewiesen, dass sie sich so und so anzuziehen habe. So und so zu benehmen habe. Damit die Leute nichts Schlechtes von ihr dachten. Damit Zara es gut haben würde in ihrem Leben...

Was sie nun wohl von ihr dachte? Von der Tochter, die fort gerannt war, fort von den Plänen, die man für sie geschmiedet hatte. Fort von der Familie, fort von dem Mann den sie hatte heiraten müssen. Zara hatte frei sein wollen – frei, zu tun, was immer sie wollte.

Doch – was genau wollte Zara eigentlich tun?

Durch den Spiegel schenkte Luvah ihr ein ehrliches Lächeln. „Wenn du jetzt gehst, ist alles vergeben und vergessen. Ich will dir dieses Leben schenken! Bist du dir wirklich sicher, dass du darauf verzichten willst?"

YuvialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt