Kapitel 24

34 5 0
                                    

Zara und Khámin beeilten sich, den Bewusstlosen aus der Halle zu tragen. Khámin packte ihn unter den Armen, Zara an den Beinen. Mit der Schulter stieß Khámin die erstbeste Tür auf – ein hoheitsvoll eingerichtetes Zimmer mit einem großen Himmelbett, in das sie den König sinken ließen. Khámin durchsuchte die Schränke nach Medizin, während Zara einen Ballen blutigen Stoffs auf die große Schnittwunde presste.

Sie glaubte nicht, dass Veheres II überleben würde. Doch sie wollte alles dafür tun, nicht sein Blut an den Händen kleben zu haben. Im übertragenden Sinne natürlich – in Wirklichkeit waren Zaras Finger über und über mit Blut besudelt.

„Er muss genäht werden", erklärte sie mit erstickter Stimme.

Khámin wühlte in einer kleinen Kommode und kam kurz darauf tatsächlich mit einer Nadel und festem Faden zurück. In einer Ecke fand er eine Flasche guten Whiskeys, den sie zum Desinfizieren benutzten. Es war nicht das erste Mal, dass Zara eine Wunde zunähen musste, dennoch musste sie sich bei jedem Stich dazu überwinden, die Nadel erneut in das feste Fleisch zu stoßen. Ein ums andere Mal keuchte Veheres schmerzerfüllt auf, doch gänzlich erwachen wollte er nicht.

Schließlich beendete Zara ihr blutiges Werk. Mit einem Übelkeit erregenden Gefühl nahm sie von dem Bewusstlosen Abstand. Der dringliche Wunsch, sich die Hände zu waschen, kam in ihr auf. Sie benutzte den letzten Rest des Alkohols, um ihre Finger zu reinigen. Dann sah sie sich zu Khámin um.

Der in dunklen Stoff gehüllte Mann hatte sich auf einem Hocker niedergelassen und hielt das Gesicht in die offenen Handflächen gestützt. Als Zara auf ihn zukam, hob er den Kopf. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen und Zara konnte die Wut sehen, den Frust und die Erschöpfung, die in seinem Inneren miteinander rangen. Zara trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie beugte sich zu ihm herunter, küsste seine Schläfe und sah ihm in die Augen.

Khámin atmete hörbar aus. „Ich glaube, ich bin kein Königsmörder, Zara", murmelte er. Obwohl er ihren Namen nannte, war Zara sich nicht sicher, ob er tatsächlich mit ihr sprach. „Ich war nie ein Rebell. Ich war noch nie aufmüpfig oder habe mich nach Rache gesehnt. Ich bin auch kein Dieb. Und erstrecht kein König. Ich bin..." Er seufzte und fuhr sich über die gerunzelte Stirn. „Ich bin ein Verhab. Ich habe gelernt, Häuser zu planen. Ich kenne mich mit Statik aus, mit Materialkosten und mit dem Handwerk. Niemand hat mir jemals beigebracht, Menschen, zu töten."

Zara fuhr ihm über das Gesicht, strich ihm über die Wange. „Du tust, was du kannst, um deine Heimat zu retten. Du bist so weit gekommen. Ich glaube, niemand würde es dir übel nehmen, wenn du jetzt aufhören und den Dingen ihren Lauf lassen würdest."

Khámins Kiefer versteifte sich; Zara merkte, dass er sich anspannte. Dann stand er auf.

Ich würde es mir übel nehmen", erklärte er mit heiserer Stimme. „Dann schaute er Zara liebevoll an. Er erwiderte ihre Berührung. „Nichts würde ich lieber tun, als mit dir an einen anderen Ort zu fliehen. Ein neues Leben zu beginnen – ein rechtschaffenes Leben, ohne Diebstahl und ohne Krieg." Er strich ihr sanft über das Haar und eine ungeahnte Sehnsucht blühte in Zaras Herzen auf. Sehnsucht nach einem solchen Leben, nach Liebe und Geborgenheit und Frieden. Dann ließ Khámin die Hand wieder sinken. „Doch was hätte ich dann erreicht? Jemand anders würde den Thron besteigen. Ob die Zékkra oder jemand noch Schlimmeres. Alles, was ich getan hätte, wäre umsonst gewesen..."

Zara wandte den Blick ab. Vermutlich hatte Khámin Recht. Doch was hätte sie dafür gegeben, dass er sich täuschte, dass er einfach mit ihr hätte fortgehen können, an einen anderen Ort, an dem keine Gewalt herrschte und wo sie niemanden töten mussten.

An einen Ort, an dem Khámin ein Verhab sein konnte und Zara keine Fajzzeh. Vielleicht hätte sie Mutter sein können – in einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit...

YuvialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt