Die letzten beiden Schulstunden am Dienstag waren Sport. Mr. Winter klatschte in die Hände und deutete den Kurs, in den Kreis zu kommen.
"Ich muss euch am Ende des Jahres irgendwie bewerten. Da reicht es nicht, dass ihr das Sportzeug nicht vergisst. Also habe ich mir überlegt, dass ihr in Gruppen selber eine Unterrichtsstunde plant. Mit Aufwärmung, Spiel, Dehnung, Nachbereitung etcetera. Schriftlich."
Die ganze Klasse stöhnte auf. Gruppen bildeten sich. Violet saß regungslos im Kreis, erhob sich nicht. Selber Schuld, wenn sie nicht auf die anderen zu gehen konnte.
"Ah-ah-ah!", rief der Lehrer über den Tumult hinweg. "Ich habe euch nach der Kursliste eingeteilt. Ihr könnt nichts entscheiden."
Dann begann er, die Gruppen vorzulesen und in die Ecken der Sporthalle aufzuteilen. Ich hörte nicht zu, bis mein Name fiel. "Eliah Rex, Susan Romero, Tiffany Rosewood, Violet Roy, Kendall Smith und Bernadine Stokes bilden eine Gruppe."
Fuck. Ich verdrehte die Augen. War ja klar, dass ich nur mit Weibern in eine Gruppe kam. Zickenkrieg war vorprogrammiert.
Violet sah irgendwie erleichtert aus. Wahrscheinlich, weil ihr die Last abgenommen wurde, sich selber einer Gruppe zu zu teilen.
Warum beobachtete ich sie überhaupt?
Unsere Gruppe ging in die hintere, rechte Ecke der Sporthalle. Es roch nach Gummi und Staub - vermutlich wegen der Kombination aus Linoliumboden und Wandteppich. Dazu kam noch, dass Tiffany sich mit Mango-Deo vollsprühte. Wir setzten uns in eine Runde.
Tiffany saß zwischen Kendall und Susan, Violet saß zwischen Bernadine und mir. Ich konnte ihren Kirschduft wahrnehmen.
"Also", begann Tiffany das Wort zu erheben. "Ich bin der Meinung, dass wir uns sowieso niemals in der Freizeit treffen würden, um diese Gruppenarbeit fertigzustellen. Wie wäre es, wenn wir uns einfach aufteilen und die Sachen alleine Zuhause machen?"
Jeder, bis auf Violet und ich, nickte zustimmend.
"Kendall und ich machen die Aufwärmung", sagte Susan schnell.
"Dehnung mit Bernadine", schoss ich. Ich wollte auf keinen Fall mit Violet zusammenarbeiten. Vor allem nach gestern nicht. Das Mädchen war durch. Tiffany hätte ich trotzdem bevorzugt, aber sie war deutlich anstrengender als Bernadine.
"Dein Ernst, Eliah", stöhnte Tiffany verzweifelt. "Kann ich nicht mit dir zusammenarbeiten?"
"Vergiss es", murrte Bernadine und runzelte ihre fettige Stirn. Ihre kleinen Knopfaugen sahen angewidert aus den fetten Brillengläsern.
Ha. Keiner hatte große Lust, sich mit Violet zusammen zu tun. Selbst Bernadine, die vorher als Klassenloser galt. Sie war wahrscheinlich froh, dass Violet ihre Rolle übernahm und die Aufmerksamkeit von sich lenkte.
Armseliges Kind.
"Also gut", gab Tiffany nach und pustete niedergeschlagen eine lange Strähne ihres Ponys aus dem Gesicht. "Ich opfere mich für euch", sagte sie melodramtisch und fasste sich ans Herz. "Ich werde mit meiner neuen Fisch-Freundin zusammen arbeiten." Tiffany grinste Violet ironisch an. "Hast du gehört? Wir machen die Nachbereitung." Mit ihren braunen Rehaugen sah sie Violet an, als würde sie mit einem Kind reden. Als wäre sie schwer von Begriff.
"Ob du mich verstanden hast?", fragte Tiffany, als Violet nichts darauf erwiderte.
"Ha-lo-oh?" Sie wedelte mit ihrer Hand vor Violet her, um zu checken, ob sie geistig anwesend war. "Erde an Fischi!"
Fischi. Fisch-Freundin. Was hatte es mit diesen albernen Spitznamen auf sich?
Violet erhob sich und ging ohne ein Wort aus der Sporthalle. Ihre Kleidung hing schlaff an ihr herunter. Im Gegensatz zu den meisten Mädchen hier, trug sie keine hautenge, kurvenbetonende Sportkleidung. Sie trug ein unförmiges, pinkes Shirt und eine rote Shorts. Selbst ich konnte sehen, dass sich rot mit pink nicht vertrug, aber ihr schien es egal zu sein.
"Hab ich was verpasst?", fragte ich in die Runde. Ich verachtete Gossip, doch war ich wirklich neugierig, was es mit dieser Violet auf sich hatte. Wenn sie schon nicht mit mir redete, musste ich ja anderweitig an meine Informationen kommen.
"Oh mein Gott, ja", sagte Tiffany angewidert und war total auf Gossip aus. So als hätte sie darauf gewartet, dass jemand fragte. Sie wedelte aufgeregt mit ihren langen Fakenägeln. "Gestern in Biologie - sie hat sich mit Mrs Voyage angelegt!"
Ich schwieg, damit sie weiter reden konnte. Innerlich pfiff ich aber, denn Violet überraschte mich schon wieder aufs Neue.
"Als Glubschi Biologie hatte, warst du neben mir im Englischkurs", sagte ich und runzelte die Stirn. Tiffany konnte also nicht dabei gewesen sein.
"Woher kennst du ihren Stundenplan so genau?", fragte Tiffany mit zusammengekniffenen Augen. "Und - oh mein Gott - Glubschi passt auch gut bei ihren Augen!" Tiffany lachte herzhaft.
Ich zuckte nur mit den Achseln. "Komm zum Punkt", drängte ich sie, weiter zu reden.
"Bernadine, erzähl du es - du warst die einzige von uns hier, die es live miterlebt hat", sagte Tiffany.
Bernadine schmunzelte und in ihren Augen lag ein ekelhaftes Funkeln. "Wir haben Fische seziert. Violet hat nicht einen Finger gerührt. Voyage hat gefragt warum, doch sie hat einfach nicht geantwortet, wie ein beleidigtes Kleinkind", erzählte Bernadine abschätzig. "Daraufhin hat Voyage gesagt, sie kann ihr nicht helfen, wenn sie nicht spricht. Und weißt du, was sie dann erwidert hat?"
Sie machte eine unnötige Spannungspause. Ungeduldig seufzte ich.
"V-v-v-vielleicht s-sollte man Sie ja a-aufschlitzen u-u-u-und auf den Seziertisch platzieren.", imitierte Bernadine Violet und scheiterte bei der Tonlage kläglich.
Meine Augen weiteten sich.
Woah. Ich achtete nicht auf die Art, wie sie sie imitierte. Sie übertrieb wahrscheinlich sowieso mit dem Stottern. Aber jetzt hatte ich Respekt vor ihr.
Tiffany sah so schockiert aus, als würde sie die Story zum ersten Mal hören. Sie brauchte gar nicht so zu glotzen. Sie wäre die erste, die kreischen und würgen müsste, wenn sie auch nur die Gedärme eines Fisches sehen würde.
Wenn Tiffany genau das selbe gesagt hätte wie Violet, hätte jeder sie dafür gefeiert. Aus genau dem Grund zählte das Image. Und Violet trug das Image des Freaks auf der Stirn geschrieben. Egal, was sie sagte oder tat - sie hatte verloren.
"Sie ist so ein Freak", kommentierte Kendall kopfschüttelnd. "Was denkt sie wer sie ist?"
"Und die Art wie sie sich anzieht", stimmte Tiffany mit ein. "Sie sieht aus, als würde sie aus dem Jahr 2008 kommen."
"Und dann auch noch diese Haare", regte sich Bernadine auf. Sie war eigentlich die letzte, die sich über das Äußere einer Person lustig machen konnte mit ihrem Rattengesicht. Aber sie genoss es, nun einigermaßen dazu zu gehören und nicht mehr das Opfer zu sein.
"Und habt ihr schon auf ihre Arme geachtet?", fragte Susan mit großen Augen. "Einfach widerlich."
"Ja, das ist mir auch schon aufgefallen", meinte Kendall mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Erwartungsvoll richteten sich die Blicke der Weiber auf mich. So als würden sie darauf warten, dass ich mit einstimmte oder irgendwie reagierte.
"Ich glaube, ich mache die Partnerarbeit doch mit Glubschi", sagte ich nur achselzuckend.
Die vier Mädchen hatten plötzlich alle den selben Gesichtsausdruck - die Stirn in Falten gelegt und ein aufgeklappt Mund.
"Warum?", fragte Tiffany irritiert.
"Weil sie scheinbar nicht mehr mitmacht. Genauso wie ich. Ich überlasse euch die Arbeit."

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Catch me if you can
Romance"Mich in dich zu verlieben, fühlt sich an, wie in ein offenes Messer zu laufen. Zum einen, weil du diese Gefühle nicht erwidern kannst und zum anderen, weil ich Angst vor dir habe." Sie war verliebt in mich? Fuck. ___________________ Wie ein unangek...