Cherry Scent

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Gott sei Dank hatte ich gestern nicht zu viel getrunken. Um 5 Uhr Morgens aufzustehen war eine Qual an sich.

Ich schmiss meine Decke von mir und erhob mich. Das Wochende verging schneller als eine Unterrichtsstunde bei Delerey.

Ich ging in den Flur und drückte die Klinke der Badezimmertür herunter. Sie ließ sich nicht öffnen. Was zu Hölle. Ich hämmerte gegen die Tür. "Wer auch immer da drin ist - beeil dich. Ich muss zur Schule."

Isabelle konnte es nicht sein. Keine zehn Pferde konnten sie um diese Uhrzeit aus dem Bett zwingen. Gut für sie, dass sie aufs College ging und ihre Kurse erst Mittags starteten. Da blieben nur Violet und Miles übrig.

Die Tür öffnete sich und Glubschauge stand vor mir. Stumm ging sie an mir vorbei, mit einer Haarbürste in der Hand.

Als ich ins Badezimmer ging und mein Ding machte, sah ich ein paar sehr sehr lange, dunkelbraune einzelne Haare auf den Fliesen. Was hatten Mädchen für eine ekelhafte Angewohnheit, ihr Haar überall herumliegen zu lassen? War das eine Art der Reviermarkierung?

Als ich zur Bushaltestelle ging, stand sie schon da. Der Himmel färbte sich in verschiedenen Tönen - rot, gelb, ganz helles blau.

Die Vögel zwitscherten, als würde ihr Leben davon abhängen.

Wir standen schweigend nebeneinander und warteten auf den Bus. Sie hörte mit ihren rosa In-Ears Musik.

Der Bus kam und wir stiegen beide ein. Wir waren die einzigen an dieser gottverlassenen Bushaltestelle, die von Bäumen und blauen Hortensienbüschen umgeben war.

Sie setzte sich auf den Platz weiter hinten, aber natürlich nicht in die letzte Reihe. Die letzte Reihe war wie für Typen wie mich reserviert. Ich saß genau hinter ihr. Ihr Duft strömte in meine Nase.

Sie roch süß - aber nicht penetrant Vanilleparfüm-süß, sondern merkwürdig natürlich Kirsch-süß.

Seltsam, dass ich das irgendwie mochte.

Der Bus hielt an der Bushaltestelle in der Nähe der Schule. Ich steckte mir eine Zigarette an, als ich mich auf dem Weg zum Gebäude machte.

"Was hast du jetzt?", fragte ich Violet, die im Schneckentempo neben mir her ging.

Sie reichte mir stumm den Stundenplan in ihrer Hand. Natürlich stumm. Entweder konnte sie wirklich nicht sprechen, oder sie war sauer auf mich wegen gestern. Ersteres konnte es nicht sein, da ich sie schon einmal reden gehört hatte.

Ihr Stundenplan war nahezu identisch mit meinem. Der einzige Unterschied war, dass sie heute die letzten beiden Stunden Biologie hatte. Ich hatte Englisch.

Aber jetzt hatten wir beide Wirtschaft.

"Wirtschaft. Ich auch", murmelte ich und gab ihr den Zettel zurück. "Mir nach."

Ich wollte kein komplettes Arschloch sein, deshalb passte ich mich ihrer Lahmarschigkeit an. Sie kannte den Weg zum Raum E 320 nicht und würde dann wieder 45 Minuten mit dem Suchen verbringen.

Wirtschaft war mit Mathe eines der Fächer, in denen ich wirklich gut war. Das Problem war, dass ich mich nie meldete. Was hieß Problem. Für mich war das kein Problem. Eher für die Lehrer.

Ich war gut in Wirtschaft, wahrscheinlich deshalb, weil ich selbst ein Geschäft führte. Wir lernten gerade die Exceltabellen kennen. Darin kannte ich mich nur zu gut aus, denn hatte ich selber eine Exceltabelle auf meinem Smartphone. Auf der konnte ich berechnen, wie viel ich wann für wie viel und wen verkaufen würde. Es war für mich ein notwendiges Tool, um den Überblick zu behalten.

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