Reckless

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Ich konnte die ganze Nacht über kein Auge zudrücken. Ich stellte mir vor, was er mit ihr gemacht hatte und es raubte mir den Verstand. Ich könnte mir niemals verzeihen.

Um 5 Uhr Morgens erhob ich mich aus dem Bett und ging ins Bad. Als ich in den Spiegel blickte, blickten mir zwei gerötete, grau unterlaufene Augen entgegen.

Nach dem ich meine Morgentoilette erledigt hatte, machte ich mich auf dem Weg zur Bushaltestelle. Und ging auf halben Weg wieder zurück, um mich auf die Stufen vor der Haustür zu setzen. Ich wusste, dass es unangenehm sein würde, sie zu sehen. Trotzdem konnte ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, sie den Weg alleine gehen zu lassen.

Nicht nachdem, was gestern passiert war und sie sich einen neuen Feind gemacht hatte.

Also wartete ich auf sie. Als sie endlich herauskam, musste ich fast lachen. Sie sah genauso fertig aus wie ich. Ihr langes Haar hing an ihren Seiten herunter. Sie trug ein hässliches lila Kleid, was ihre so schon blasse Haut keinen Gefallen tat.

Ohne ein Wort zu wechseln gingen wir gemeinsam zur Bushaltestelle.

Für mich war es scheiß ungewohnt, so langsam zu gehen. Ich steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an.

Ich wollte sie fragen, was gestern passiert war, doch hätte es keinen Zweck.

Der Schultag verlief deutlich schneller als sonst. Die letzte Stunde war Wirtschaft bei Delerey.

Mit ner Kippe im Mund ging ich zur Bushaltestelle. Ich hielt ausschau nach dem Mädchen mit den langen Haaren und den großen blauen Augen, doch sie war nirgends zu sehen.

Wie konnte das sein, sie hatte doch gerade noch mit mir im Unterricht gesässen.

Meine Augen scannten die Menschenmassen, die sich in den Bus quetsche. Nein, keine Violet. Sie würde doch direkt auffallen, wenn sie da gewesen wäre.

Wieso machte ich mir gerade Sorgen? Ich hatte sie vor 5 Minuten noch in ihrem Block herumkritzeln sehen.

Ich eilte wieder ins Schulgebäude und suchte die Gänge nach ihr ab. Keine Violet. Meine Fresse, konnte man sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen? Im raschen Tempo ging ich an den Spinden vorbei. Doch dann fiel mir bei einem Spind etwas suspektes auf.

Ich ging zum Spind weiter hinten in der Reihe. Vor dem Spind lag ein Eimer und darunter eine Pfütze mit... - der Duft von Fisch stieg mir augenblicklich in die Nase, ehe ich die toten Viecher auf dem Boden liegen sah. Sie lagen vor dem Spind 118. Anscheinend war das Violets Spind - etwas anderes konnte ich mir nicht erklären.

Fuck, wer immer das war, hatte sich echt Mühe gegeben, sie zu schickanieren. Es gab nur einen Ort, an dem ich Violet jetzt vermutete. Das Mädchenklo.

Ohne darüber nachzudenken, trugen mich meine Beine in schnellen Schritten da hin.

Ich öffnete die Tür und ging durch den Bereich der Waschbecken in den Bereich der Toilettekabinen. Und genau eine der drei Kabinen war zugeschlossen.

"Violet?", frage ich vorsichtig.

Keine Antwort. Dann war sie es tatsächlich. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. "Mach schon auf", bestimmte ich.

Natürlich redete ich gegen eine Wand.

"Weißt du, wer es war?", fragte ich gegen ihre Tür gelehnt. "Sag mir, wer es war und ich zahle es zurück."

Sie redete wieder nicht.

Ich spielte mit den Gedanken, einfach zu gehen. Doch kam das nicht in Frage. Wenn der Bastard Terrence es wirklich auf sie abgesehen hatte, war sie alleine nicht sicher.

Und wenn sie ihn gestern blutig geschlagen haben sollte, dann konnte sie sich verdammt sicher sein, dass er es auf sie abgesehen hatte.

"Es tut mir leid", sagte ich verbissen. "Was immer gestern passiert ist - ich wollte das nicht. Aber du musst mit jemanden darüber reden, oder es zumindest aufschreiben, fuck. Es hilft doch nicht, es schweigend mit sich rumzutragen."

Die Tür öffnete sich und sie trat heraus. Das erste, was mir auffiel, waren ihre nassen, langen Haare, die durch die Nässe nicht mehr dunkelbraun sondern schwarz wirkten. Auch ihr Kleid hing wie ein nasser Sack an ihr herunter.

Ohne mich auch nur anzusehen, lief sie an mir vorbei auf den Ausgang zu. Ich ließ nicht zu, dass sie mir jetzt wieder entwischte und packte sie am Handgelenk.

Sie versuchte vehement, sich aus meinem Griff zu lösen, doch ich zog sie an mich heran, als wäre sie nur eine Puppe. Ich drückte sie gegen die Wand, damit sie keine Fluchtmöglichkeit mehr hatte und endlich gezwungen war, mit mir zu sprechen. Ihre beiden Handgelenke befanden sich im Griff meiner Hand über ihrem Kopf.

Wütend funkelten mich ihre engelsblauen Augen an.

"Rede", sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen und drückte ihre Handgelenke fest gegen die kühlen Fliesen. Ich näherte mich ihrem Gesicht. Eigentlich erwartete ich ihren Kirschduft, doch stattdessen roch sie nach totem Fisch. "Hör auf, einen auf geheimnisvoll zu machen", zischte ich aggressiv. "Antworte endlich!"

Ihre feinen, dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen und ihre Zähne bohrten auf ihre Unterlippe. Irgendwas an ihrem Blick, war hypnotisierend. Vielleicht, weil es ihre einzige Art war, mit mir zu kommunizieren.

Plötzlich spürte ich einen ziehenden, stechenden Schmerz in meinen Eiern, als ihr Knie in meinem Schritt landete. FUCK. Ich ließ sie los und krümmte mich vor Schmerz.

Das hatte sie gerade nicht wirklich gemacht. Das Ziehen in meinem Sack und das Klemmen in meinem Unterleib wollten nicht aufhören. Ich biss meine Zähne zusammen und stöhnte verzweifelt vor Schmerz. 

Dieses Mädchen war durch.

Als ich mich wieder zusammenriss und aufrichtete, war sie längst weg. Verdammt.

Eins war klar. Sie war nicht ganz ohne. Sie wusste sich also zu wehren. So schüchtern und unbeholfen sie auch wirkte, sie war nicht so leicht zu durchschauen, wie ich dachte.


Catch me if you canWo Geschichten leben. Entdecke jetzt