Fairy

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Ich betrat die Klasse, als jeder schon an seinem Platz saß. Jeder, bis auf Tiffany.

"Ähm", sagte Tiffany und hatte ihre Hände in die Hüfte gestemmt. Sie war mit dem Rücken zu mir gedreht und stand genau gegenüber des Tisches, an dem die Neue saß.

Die Neue. So als wäre es ihr Name. Aber ich hatte ihren Namen schon wieder vergessen. Falls ihr Name schon gefallen sein sollte.

Voyage seufzte genervt und schloss die Tür hinter mir.

"Da sitzt Jeremy", zischte Tiffany

"Interessant", meldete sich Voyage zu Wort. "Ich sehe hier nirgends einen Jeremy. Was vielleicht daran liegt, dass er heute - oh, Wunder - nicht da ist."

Die Bitch drehte sich um und warf dabei übertrieben ihren langen Pferdeschwanz zurück, so dass sie Neue in Jeremys Sitz herunter sank, um nicht von der Peitsche getroffen zu werden. "Schön", sagte Tiffany ergriffen. "Sie kann da sitzen. Aber normalerweise sitzt da Jeremy. Ich wollte es ihr nur wissen lassen."

Jeremy war ihr fester Freund. Spielte im Baskettballteam und war so zu sagen der Troy unserer heruntergekommenen Schule. Ein wandelndes Klischee.

"Ich - ich kann ruhig aufstehen, ich -", stammelte das Mädchen und schulterte ihren kindischen Rucksack, als sie sich erhob.

"Nein, bleib ruhig sitzen", sagte Tiffany scheinheilig, meinte es aber nicht so.

Verwirrt zog die Fremde ihre Augenbrauen zusammen und ich schüttelte vor Fremdschämen nur den Kopf.

Ich konnte mir das Theater nicht mit ansehen und rückte wortlos den leeren Stuhl neben mir zurück, so dass alle Augen der Klasse auf mich gerichtet waren.

Glubschauge verstand die stumme Einladung und hastete zu dem Platz neben mir.

Sie sah mich nicht an, als sie ihre Sachen aus der Tasche holte und auf den Tisch legte. Wozu brachte sie diesen dicken Walzer mit zur Schule? Wir benutzten doch eh nie die Bücher. Mrs Voyage kitzelte immer die Tafel voll oder benutzte den Beamer und Mr Delerey kopierte jeden Mist auf 20 Blätter pro Person. Die Bücher waren überflüssig.

Trotzdem schlug sie es auf und blätterte darin herum, als hätten wir gerade Wirtschaft und nicht Kunst.

Ich konnte ihre Nervosität spüren. Sie stieg an, als sie bemerkte, dass ich meinen Blick nicht von ihr ließ. Wie leicht manche Menschen einzuschüchtern waren. Ihre blassen Wangen hatten einen leichten rosa Ton aufgenommen. Sie tat so, als würde sie meinen Blick nicht bemerken, oder als würde es sie nicht stören.

Dann blickte sie zurück. Ihre blauen Glubschaugen sahen mich fragend an. Trotzdem traute sie sich nicht, etwas zu sagen.

Ich zog meine Augenbraue hoch und deutete mit meinem Kinn auf ihr Buch. "Im Kamin hat das Ding eine sinnvollere Funktion als hier im Unterricht", sagte ich.

Sie zuckte zögerlich mit den Schultern. Woah. War sie ein langsamer Mensch. Ich hasste nichts mehr, als langsame Menschen. Doch sie tat alles langsam - sie redete langsam, ging langsam, bewegte sich langsam, reagierte langsam. Als würde sie sich im Weltraum ohne Schwerkraft befinden.

"Da jetzt alle da sind, erkläre ich die nächsten Schritte", machte Voyage klar und zeigte mit dem Laserpointer auf ihre spannende Powerpoint Präsentation an der Wand.

"Ihr müsst euch nun gemeinsam überlegen, was-" blablabla..

Mein Blick wanderte auf die Uhr und ich könnte meinen Kopf mehrmals gegen die Tischplatte hauen. Es waren gerade Mal fünf Minuten vergangen, dabei redete sie schon drei Stunden am Stück.

"W- was machen wir?", flüsterte mir die ruhige Stimme neben mir zu. "Als, äh, Projekt, meine ich."

Meine Fresse, konnte sie nicht normal reden? Dieses Gestottere ging mir richtig auf den Sack. Dazu noch ihre Glubschaugen und ihre langsame Art.

Ich zuckte nur mit den Achseln. "Ich mache gar nichts", gab ich von mir.

"Oh", erwiderte sie nur. Sie stellte keine weiteren Fragen und versuchte den Blickkontakt zu mir zu meiden.

Sie kramte aus ihrer Tasche einen Collegeblock und einen Kulli heraus und begann, herum zu kritzeln.

Während alle anderen Schüler die Powerpoint Präsentation mitschrieben, zeichnete Glubschi verträumt eine Art Elfe oder Fee auf das Karopapier.

Sie trug einen Hut und ein Kleid aus Blättern und war im Mangastil gezeichnet. Mit geschlossenen Augen und lachendem Mund.

Sie war wirklich nicht gerade talentiert.

Trotzdem beobachtete ich ihre Zeichnungen, denn was besseres hatte ich gerade leider nicht zu tun.

Sie skizzierte daraufhin weitere Elfen, die auf Blumen saßen. Sie alle hatten verschiedene Gesichtsausdrücke: verschlafen, frech, wütend, freundlich.

Als sie meinen abschätzigen Blick bemerkte, verdeckte sie ihre Zeichnungen peinlich berührt mit ihrem Ellbogen.

Irgendwann, nach gefühlten Jahrzehnten, war der Schultag vorüber. Ich erhob mich und stellte mich an die Tür, bis die Lehrerin uns ins Wochenende verabschiedete.

An der Bushaltestelle rauchte ich noch eine Zigarette. Ich drückte sie auf der Mauer aus, auf der sich einige Schüler setzten, um dort auf ihren Bus zu warten.

Der Bus kam und die Masse quetschte sich hinein. Ich war Teil dieser Masse. Dieser schwitzenden Teenager, die mit Kopfhörern in den Ohren und ner depressiven Fresse aus dem Fenster starrten. Im Sommer erreichte das Problem mit dem Schweiß für einige ihren Höhepunkt.

Als der Bus randvoll war, fuhr er an. Bremste dann aber wieder abrupt. Die Tür öffnete sich und herein stürmte das verpeilte Mädchen mit dem Mittelscheitel und zeigte dem genervten Busfahrer ihre Busfahrkarte. "S-sorry!", murmelte sie und stellte sich in den Gang.

Mit einem Ruck fuhr der laut ratternde Bus an. Plötzlich brauchte jeder eine Stange, um sich fest zu halten. Die schlanken Finger der Brünnette suchten verzweifelt nach einem freien Stück Stange - vergeblich. Seufzend ließ ich mein Stückchen Stange los, damit sie sich an das gelbe Metall klammern konnte. Sie schien es nötiger zu haben, als ich. Sie wirkte wie jemand, der sowieso schon Gleichgewichtsstörungen hatte.

Ohne mich anzusehen, umgriffen ihre blassen Finger das freie Stück der Stange.

Ich steckte meine Hände in meine Hoodietasche und lehnte mich gegen die großen Fenster.

Nur noch 5 Stationen bis zur Gale Road. Als der Bus da hielt, stieg ich aus und steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Mit schnellen Schritten ging ich Richtung Wohngruppe.

Irgendwie spürte ich etwas im Nacken. Ich fühlte mich beobachtet.

Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass Glubschi mir gefolgt war. Sie war zwar zehn Fuß von mir entfernt, aber ging in die gleiche Richtung wie ich.

Innerlich schüttelte ich den Kopf und ging einfach weiter.

Doch nach circa fünf Minuten Fußweg, spürte ich es noch immer in meinem Nacken. Ich drehte mich um und sah sie trantütig den Weg entlang schlendern. Sie beobachtete den Himmel, dann die Sträucher um sich herum. Wenn sie so weiter machte, würde sie noch stolpern.

Ich blieb stehen. "Verfolgst du mich jetzt?", fragte ich gereizt.

Verwirrt blickte das Mädchen um sich, so als wüsste sie nicht, woher meine plötzlich so laute Stimme kam. Dann fand ihr Blick meinen. So als hätte sie mich erst jetzt bemerkt. Verarschen konnte sie sich selbst. So verpeilt konnte kein Mensch sein.

"Was?", stammelte sie. "Äh, nein! Ich gehe nur nach Hause. Ich wohne gleich da drüben." Sie zeigte mit dem Finger auf das Gebäude vor uns. So als wäre es nicht das dümmste von der Welt, einem Fremden zu sagen, wo man lebte.

Aber was ich noch beunruhigender fand, war, worauf ihr Finger gerichtet war.

Wollte sie mich komplett verarschen?

"Machst du dich über mich lustig?", fragte ich beißend.

Sie zuckte zusammen und schüttelte den Kopf, während sie auf ihre schwarzen Sandalen starrte.








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