Song: Salzburg-Worakls
Ich bleibe noch eine Weile sitzen, bis ich in meine Bahn einsteige. Es ist Zeit, nach Hause zu fahren.
Dutzende Menschen strömen mir entgegen, aber ich kämpfe mich durch den schmalen Gang des Abteils zu einem freien Fensterplatz und setzte mich.
Sobald ich meine Kopfhörer aufhabe, umhüllt mich Stille, bis die Musik mich erfüllt.Die Augen geschlossen, den Kopf an die kalte, zerkratzte Scheibe gelehnt, spüre ich, wie die Bahn sich in Bewegung setzt.
Ich könnte stundenlang hier bleiben und meinen Gedanken nachhängen. Ich denke an heute Morgen, wie müde ich in der Schule war, wie traurig und verletzt bei dem Anblick meiner Freundin. Ich denke daran, wie mir das alles immer mehr egal ist. Ich denke an den Nachmittag am U-Bahnsteig, wie unglaublich schön ich es finde, einfach nur da zu sitzen und die Leute zu beobachten. Und ich denke an den Jungen mit der blauen Mütze und dem roten Rucksack, der mein Blick erwidert hatte, wie vorher noch kein anderer. Er will einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden und ich will nicht, dass er geht.Ich verpasse meine Haltestelle und das passiert mir sonst nie, egal wie sehr ich immer in meinen Gedanken vertieft bin, egal wie laut die Musik ist, die ich höre. Seit ungefähr 8 Jahren fahre ich fast jeden Tag mit der Bahn zur Schule und wieder zurück. Die Zeit, die ich brauche, um von da nach Hause zu kommen, ist so tief in mir verankert, ich muss nichtmal auf eine Uhr sehen, um zu wissen wann die 23 Minuten um sind.
Nur heute ist alles anders. Ist es schon heute morgen gewesen, eigentlich schon gestern.
Ich steige aus, lange muss ich nicht warten, bis mein Zug kommt. Dieses Mal habe ich die Augen geöffnet, als ich auf meine Station warte. Nochmal will ich nicht quer durch die Stadt fahren. Egal wie sehr ich das liebe, egal wie sehr ich dabei abschalten kann.------------------
Zuhause ist niemand, wie immer und ich kanns trotzdem niemandem übel nehmen. Also mache ich Hausaufgaben, trinke Tee, drehe die Anlage so richitg laut auf, damit die Nachbarn neben uns endlich einen Grund haben, auszuziehen. Ich kanns nicht länger ertragen, denen jeden Abend beim Sex zuzuhören.
Ich bemerke nicht, wie ein Schlüssel im Wohnungsschloss knackt, wie jemand behutsam an meine Tür klopft, sie aufstößt, um sich zu vergewissern, dass ich zu Hause bin und sie wieder schließt.
Erst als ich in die Küche gehe, sehe ich eine kleine, zierliche Gestalt am Tisch sitzen. ''Wie lange bist du schon hier?'', frage ich. Meine Schwester schaut auf. ''Oh, hey! Schon ne ganze Weile, aber du hast mich nicht gehört.'' Sie lächelt mich an.
''Alles klar?'', möchte ich wissen, aber Lia zuckte nur mit den Schultern. ''Uni stresst, wie immer. Aber sonst alles fit. Ich koch uns gleich was.''
''Danke, sag mir Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Ich hab Tee gemacht, kannst dir gerne was davon nehmen.''Sie nimmt mich kaum noch wahr, sondern ist voll und ganz in ihre Unterlagen vertieft. Ich will nicht weiter stören. In meinem Zimmer drehe ich die Musik leiser. Meine Schwester würde sich nie beschweren, aber ich weiß, dass sie sich nicht konzentrieren kann, wenn die Bässe so laut sind.
Ich lege mich aufs Bett und schaue mir die Zeichnungen an, die ich heute in der U-Bahnstation gemacht hab.
Kurz bevor ich nach Hause gegangen bin, habe ich den Jungen mit der Mütze gezeichnet. Mit Farbstiften ziehe ich die Skizze nach. Nachdem er aus meinem Blickfeld verschwunden war, habe ich sofort angefangen zu malen, weil ich Angst hatte, ihn zu vergessen. Und das hab ich immer noch, so kurz wie er nur in meinem Leben war.Was ist er für ein Mensch, was hat er für eine Persönlichkeit? Wieso hat er nicht einfach weg geschaut, wie all die anderen Leute auch, die in einer Großstadt wohnen? Wieso haben seine Augen geleuchtet? Wieso ist er nicht stehen geblieben?
Ich werde ihn nie wieder sehen. Wegen der Zeichnung werde ich ihn vielleicht nicht vergessen. Aber nie mehr werde ich ihm begegnen. Weil in der Stadt einfach zu viele Menschen leben. Weil ich noch nie jemanden zweimal dort am Bahnsteig gesehen habe.Oder vielleicht doch? So viele, wie dort täglich sind, kann ich mir unmöglich jedes Gesicht merken. Aber er wäre mir schon vorher aufgefallen, da bin ich mir sicher. Die aufgekeimte Hoffnung wird sofort wieder erstickt.
Die Zeichnung ist gut geworden, ich hänge sie über mein Bett, zu den anderen. Bilder von Orten, wo ich irgendwann mal war, von Freunden, von Lia, denn niemand ist ein so gutes Modell zum zeichnen wie meine große Schwester. Ich male sie oft.
''Kannst du mir helfen?'', sie steht in der Tür und blickt auf das neue Bild an der Wand. ''Wer ist das?'', fragt sie. Ich zucke nur mit den Schultern. ''Keine Ahnung, jemand an der U-Bahn.''
''Es ist hübsch. Aber deine Zeichnungen sind immer hübsch.'' Ich lächle. ''Danke'', murmle ich, ihre Komplimente sind jedes Mal ehrlich gemeint.
Ich mache die Musik aus und folge ihr in die Küche.''Mama hat angerufen. Sie kommen nächste Woche wieder.'' Was für eine schöne Nachricht. Ich freue mich wirklich.
Unsere Eltern sind Journalisten, reisen um die ganze Welt und berichten aus Krisengebieten. Sie sind selten da, wir haben unsere Kindheit eher bei unseren Großeltern verbracht. Aber ich bin ihnen nicht böse. Ich bin ihnen dankbar. Durch meine Eltern haben Lia und ich schon so viele Ecken der Erde gesehen, die niemand sonst einfach so im Urlaub besuchen würde. Es hat unseren Blick auf das Leben verändert, weil wir so viele schlimme Dinge gesehen haben, und dabei Menschen, die trotzdem glücklich sind.Damals waren wir in Japan, als der Reaktor explodiert war und so viele aus der Region fliehen mussten. Oder 2010, als in der Karibik die Erde bebte und auf Haiti alles zerstört worden war, was den Bewohnern wichtig war, als so viele gestorben waren.
Unsere Eltern bringen uns bei, dankbar zu sein für das was wir haben. Oft legen sie
die Reisen in die Ferien, sodass wir mitkommen können. Um uns zu zeigen, wie viel mehr es auf der Welt gibt, als nur unsere 4-Zimmer Dachgeschosswohnung mit atemberaubenden Blick über die Stadt.
Trotzdem, ich vermisse sie jedes Mal aufs Neue._____________
2. Kapitel! Ich hoffe, es gefällt euch! Lasst gerne einen Vote da und/oder ein Kommentar, freue mich über ehrliches Lob und Kritik!
Habt eine schöne Woche!
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Vincent (boyxboy)
Teen FictionLiebe auf den ersten Blick, kann das funktionieren? Wenn man weiß, dass man sich nie wieder sieht? Als er eines Tages diesen Jungen in der U-Bahn sieht, weiß er sofort: Er muss ihn wieder finden. Wie aber, wenn in seiner Stadt Millionen Menschen le...