Der Drang zu essen

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Nachdem Ana gegangen war hatte sich Sahra an den Sport gemacht. Ihre halb erledigten Hausaufgaben lagen derweil unbeachtet auf dem Schreibtisch herum und die Haribo Packung war zurück in den Schrank gewandert. Gerade legte sie eine Pause ein, da sie Seitenstechen bekommen hatte, als sie das Klingeln des Festnetztelefons hörte. Kurz schnaufte sie auf, als sie sich von der Couch erhob und trottete in die Küche, wo das Telefon stand.
Auf dem Display wurde eine unbekannte Nummer angezeigt, sie nahm den Anruf dennoch entgegen.
„Ja hallo, Sahra hier", meldete sie sich. „Hey Sahra, hier ist Elisa. Du sag mal, ist Marlene da?" Sie zögerte kurz. Elisa war eine Arbeitskollegin von ihrer Mutter, Marlene.
„Äh, die liegt gerade im Bett und will sich ausruhen", sagte sie.
„Das ist gut. Sie hatte einen Migräne Anfall und ist deswegen früher gegangen, das hat sie dir ja bestimmt schon gesagt. Ich wollte nur kurz horchen, wie es ihr geht."
„Ich denke besser als noch vor ein paar Stunden. Sie sagte in der Dunkelheit sei es erträglich. Oder zumindest erträglicher. Sie ist für Heute und Morgen krank geschrieben worden, also wird sie morgen nicht kommen." Sahra hatte sich auf ihren Platt gesetzt und stützte mit der einen Hand ihren Kopf ab. In der Anderen hielt sie das Telefon.
„Ich weiß, sie hat mir vorhin eine Nachricht geschrieben", sagte Elisa.
Im Hintergrund hörte sie plötzlich wie etwas krachend zu Boden fiel.
„Oh Scheiße!", fluchte Elisa. „Du, ich muss Schluss machen. Meine Katze Purzel hat sich gerade dazu entschlossen meine Sachen aus dem Regal zu schubsen. Tschüss." Und prompt hatte sie aufgelegt. Über den abrupten Abbruch des Gesprächs kurzzeitig verwundert verweilte sie noch ein paar Sekunden am Küchentisch, ehe sie aufstand und das Telefon zurücklegte. Dann ging sie wieder in ihr Zimmer.

Gegen 20:00 Uhr klopfte es leise an ihrer Zimmertür. Sahra erstarrte. Das war sicher ihre Mutter, doch was wollte sie von ihr? Eins war klar; sie durfte nicht sehen, dass sie Sport machte! Doch damit nicht genug, sie durfte auch die Sportsachen, die sie trug, nicht zu Gesicht bekommen, sonst könnte sie sich den Rest auch noch zusammenreimen.
Sie hechtete auf die Couch und warf sich ihre Kuscheldecke über. Schnell langte sie nach ihrem Handy und tat so, als würde sie gerade ein Video gucken. Dann rief sie: „Was ist?"
Ihre Mutter öffnete langsam die Tür. Sie sah sehr müde aus. „Oh hey", sagte Sahra und tat überrascht, „was gibt's?"
„Ich habe Hunger und würde jetzt Abendessen machen. Und du kommst bitte auch und isst mit mir etwas." Marlene klang sehr bestimmt.
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Muss das wirklich sein?", fragte sie und versuchte so desinteressiert wie möglich zu klingen. Doch ihre Mutter ließ sich nicht beirren. „Ja, muss es. Ich  würde es mir zumindest wünschen. Wir essen kaum noch zusammen." Sie wandte sich zum Gehen. „Komm in Fünf Minuten in die Küche, dann essen wir, okay?", fragte sie.
„Okay", sagte Sahra und seufzte. Ihre Mutter ging aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Die Decke beiseite werfend stand sie auf um sich ihre normalen Klamotten wieder anzuziehen. Marlene hatte nichts davon mitbekommen, dass ihre Tochter Sport machte. Sehr gut. Sie zog die Sportsachen aus und legte sie auf die Couch. Ihre normalen Sachen pflügte sie vom Boden auf und zog sie an. Sie würde, nachdem ihre Mutter sie aus der Küche entlassen hatte, duschen gehen, soviel stand fest. Was auch feststand war ihr Beschluss, zum Abendbrot nichts zu essen. Sie hatte schon Gummibärchen gefressen, da konnte sie sich eine weitere Mahlzeit nicht erlauben.

Nach ein paar Minuten ging sie in die Küche. Der Tisch war reichlich gedeckt. Es sah sehr lecker aus.
„Nein Sahra, du darfst nichts essen", mahnte ihre innere Stimme sie. Sie setzten sich auf ihren Platz, ihre Mutter saß bereits. „Na dann, guten Appetit", sagte diese und lächelte. Sie begann eine Scheibe Brot mit Butter zu bestreichen und legte eine Scheibe Kochschinken darauf. Dann, als sie abbiss, fiel ihr Blick auf ihre Tochter, die sich nicht gerührt hatte. „Was ist? Na komm, nimm dir etwas."
Was Marlene nicht wusste war, dass in Sahras Kopf soeben ein kleiner Krieg ausgebrochen war.
Sie wollte etwas essen. „Aber du darfst nichts essen." Doch in ihr war ein Drang, der Drang zu essen. „Du hast bereits Gummibärchen gegessen!" Aber sie wollte etwas essen.
Fast schon automatisch nahm sie sich eine Brotscheibe und begann Butter darauf zu verstreichen.
„Nein, iss nicht!" Aber sie wollte etwas essen.
Sie legte eine Scheibe Salami und eine Scheibe Käse auf das Brot.
„Sahra, iss nicht!" Aber sie wollte essen.
Dann stand sie auf und schob ihren Teller in die Mikrowelle. Sechshundert Watt, Eine Minute, damit der Käse schmolz.

Einmal Ana, immer Ana.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt