49,8 Kilogramm. Sahra grinste und stieg von der Waage runter. Ihre Periode war vorbei und sie hatte es geschafft die Fünfzig zu knacken. Von nun an würde sie keine Fünf mehr vorne stehen sehen, sondern eine Vier. Sie freute sich riesig. Jetzt war sie einen Schritt näher an ihrem neuen Zielgewicht dran.
Plötzlich klopfte es an der Badezimmer Tür. „Brauchst du noch lange?", erklang die Stimme ihrer Mutter. Oh Scheiße! Sie durfte auf keinen Fall reinkommen, sonst würde sie die Waage sehen. Und das würde zu unangenehmen Fragen führen.
„Äh, eine Sekunde noch!", rief sie leicht panisch zur Tür. Schnell und möglichst leise stellte sie die Waage zurück ins Regal und zog sich an. Sie verließ das Bad und betrat die Küche. Sie musste sich ein wenig beeilen, denn sie hatte heute morgen verschlafen. Zwar nur ungefähr Zwanzig Minuten, aber trotzdem wurde die Zeit jetzt knapp. Hektisch schälte sie eine Banane und biss hinein. Dann, mit der Banane in der Hand, lief sie in ihr Zimmer und packte die Schulbücher für den heutigen Tag, Freitag, in ihre Tasche.
Sie stopfte sich den letzten Rest Banane in den Mund und schmiss die Schale in den Müll. Dann zog sie auch schon Jacke und Schuhe an, schulterte die Mappe, griff nach ihrem Schlüssel und verließ rasch die Wohnung.Zum Glück noch pünktlich in der Schule angekommen ließ sich Sahra auf ihren Platz fallen. Maria saß bereits neben ihr und langweilte sich.
„Morgen, du siehst heute ja richtig motiviert aus", lachte sie Maria zu. Diese legte den Kopf auf den Tisch und schloss die Augen.
„Ich hab so gar keinen Bock auf heute. Ich wünschte so sehr, es wäre einfach schon Wochenende", seufzte sie. Laila kam angehüpft und setzte sich auf die Tischplatte.
„Hey ihr zwei", begrüßte sie sie und umarmte Sahra stürmisch. „Wie geht's?"
Maria hob ihren Arm und zeigte einen Daumen nach unten. „Ich hab absolut gar keine Lust auf irgendwas", murmelte sie und ließ den Arm wieder sinken.
„Ahja. Und dir Sahra?" Sie antwortete: „Naja, soweit ganz gut. Ich hab heute morgen verschlafen, bin aber zum Glück ja noch rechtzeitig hier angekommen. Wir geht's dir?" Laila strahlte. „Also ich bin mega happy. Es ist Freitag und morgen ist Wochenende! Darauf freue ich mich. Außerdem–" Die Tür ging auf und ihr Biolehrer, Herr Baumat, betrat den Raum. Alle Schüler trotteten zu ihren Plätzen und setzten sich. Langsam verstummte auch das letzte Geflüster und Ruhe trat ein.
„Guten Morgen", begrüßte er die Klasse. Zwei Reihen weiter meldete sich Elisabeth.
„Ja?"
„Bekommen wir heute endlich die Klassenarbeiten wieder?", fragte sie. Herr Baumat grinste. „Ja, heute hab ich sie mit und ja, ihr bekommt sie auch wieder, aber lass mich doch bitte erst einmal auspacken", sagte er.
Aus seiner Tasche zog er einen großen Stapel Blätter. Ihre Klassenarbeiten!
„Ich entschuldige mich dafür, dass es so lange gedauert hat mit dem Kontrollieren, ich hatte leider sehr viel um die Ohren", erklärte er.
„Also Elisabeth, wo du schon einmal gefragt hast, darfst du die Arbeiten auch gerne gleich austeilen." Elisabeth stöhnte leise auf, erhob sich dann aber und begann, mit dem Blätterstapel auf dem Arm, durch den Raum zu laufen und jedem seine Arbeit zu geben. Die Schüler steckten sofort die Köpfe zusammen und tuschelten über die Arbeiten, verglichen Noten und Punktzahl und freuten sich, wenn sie eine bessere Note als ihr Banknachbar hatten. Als Laila ihre Arbeit bekam drehten sich Sahra und Maria zu ihr um.
„Und, was hast du?"
„Eine Drei", grinste sie und zeigte ihnen die Note. „Hab ich eigentlich sogar erwartet. Nicht besonders gut aber auch nicht besonders schlecht. Also ich bin zufrieden."
Maria bekam ihre Arbeit wieder. „Ich hoffe einfach, dass ich bestanden habe", sagte sie und drehte die Blätter um, um die Note zu sehen.
„Yes! Eine Drei! Besser als ich gehofft hatte." Laila und Sahra lachten leise und beglückwünschten sie. Dann gab Elisabeth Sahra ihre Arbeit wieder und gedanklich kreuzte sie die Finger. Bitte nicht allzu schlecht, bitte lass es gut sein. „Eine Zwei!", sagte freudig und warf beide Arme in die Luft. Damit war sie zufrieden.
„Jetzt beruhigt euch mal wieder", sagte Herr Baumat, denn die Klasse hatte angefangen sich laut zu unterhalten. „Bis nächste Woche fertigt ihr eine Berichtigung an, außer die, die eine Eins haben." Die Schüler verstummten und trugen sich die Hausaufgabe ein.
„Eure Aufgabe für die nächsten Stunden wird eine Gruppenarbeit sein", verkündete er. „Und da ich weiß, dass ihr es nicht gern habt, wenn ich euch einteile, sucht ihr euch selber zu Dreier- oder Vierer-Gruppen zusammen." Sahra wandte sich Laila und Maria zu und sie nickten sich an. Sie würden zu dritt arbeiten. In der Klasse war wieder ein Stimmengewirr ausgebrochen und manche wuselten zwischen den Tischen hin und her. Alle suchten sich zu Gruppen zusammen. Als sie sich wieder beruhigt hatten, schrieb Herr Baumat die Gruppenkonstellationen an die Tafel und teilte jeder Gruppe eine Nummer zu, dann stellte er eine kleine Box auf den Lehrertisch.
„Von jeder Gruppe wird jetzt einer nach vorne kommen und ein Thema ziehen. Zu diesem Thema werdet ihr dann ein Plakat und eine Präsentation vorbereiten. Also, Gruppe Eins." Sophie stand auf und zog einen Zettel aus der Box.
„Gruppe Zwei." Leon erhob sich und holte ein Thema für seine Gruppe.
„Gruppe Drei." Tom stand auf und schlenderte zum Lehrertisch.
„Gruppe Vier." Sahra ging zum Tisch und zog einen Zettel, dann schritt sie zurück zu ihrem Platz.
„Gruppe Fünf."
„Und, was haben wir?", flüsterte Laila. Sie sah sich das Stück Papier an. Darauf stand: „Menschliches Blut".
„Wir haben das Thema Blut", flüsterte sie zurück,
„Gruppe Sechs",
und zeigte den beiden den Zettel.
„Also", sagte Herr Baumat, „ihr werdet jetzt die nächsten Drei Blöcke für diese Gruppenarbeit Zeit haben. Wie ihr euch die Arbeit aufteilt ist eure Sache, aber jeder von euch muss etwas bei der Präsentation sagen. Eure Präsentation sollte ungefähr Fünfzehn Minuten gehen." Ein lauter Stöhner ging durch die Klasse und Tom sagte laut: „Och ne, echt jetzt? So lange?" Widerwillig musste Sahra ihm zustimmen. Fünfzehn Minuten waren wirklich ziemlich viel.
„Ja, so lange. Präsentationen sind wichtig und ihr müsst lernen eine gewisse Zeit am Stück ausführlich über ein Thema zu reden."
Also machten sie sich an die Arbeit.Am Nachmittag, als sie wieder Zuhause war, knurrte ihr Magen. Da sie heute Morgen so in Eile war, hatte sie es nicht mehr geschafft sich etwas zu Essen zu machen, was sie mit in die Schule hätte nehmen können. Sie hätte es natürlich sowieso nicht in der Schule gegessen, aber dafür jetzt Zuhause. Nur jetzt hatte sie nichts. Aber sie konnte sich ja etwas machen. Also ging sie in die Küche. Zwei Toasts mit Marmelade (250 Kalorien), dazu ein paar Gläser Saft (108 Kalorien). Doch da sie danach noch immer Hunger hatte, nahm sie sich noch einen Apfel (80 Kalorien) und spülte ihn mit Wasser hinunter. Jetzt wollte sie noch ein kleines Workout machen und danach konnte sie in Ruhe YouTube schauen.
In ihrem Zimmer machte sie schnell die Übungen, Vierzig Hampelmänner, Dreißig Kniebeugen, Zwanzig Sit Ups, Zehn Liegestütze, und ließ dich dann auf ihr Sofa fallen.Als Marlene nach Hause kam sah sie, dass ihre Tochter vergessen hatte den Tisch abzuräumen. Ihr dreckiges Geschirr stand noch draußen. Sie klopfte bei Sahra und öffnete die Tür. Diese saß auf der Couch und starrte auf ihren Laptop.
„Hey Maus", begrüßte sie sie. „Du hast dein dreckiges Geschirr liegen lassen, würdest du das bitte noch wegräumen?" Sie pausierte ihr Video und stand auf.
„Mach ich", sagte sie und ging in die Küche. Ihre Mutter folgte ihr und setzte Wasser zum kochen auf. Sie würde sich jetzt einen Tee machen und ein Brötchen essen.Zurück in ihrem Zimmer machte Sahra noch schnell einmal Zwanzig Kniebeugen und setzte sich dann zurück auf die Couch. Doch nach ein paar Minuten klopfte es wieder an der Tür und ihre Mutter streckte den Kopf hinein. „Ich esse jetzt etwas, willst du auch was?", fragte sie. Sahra schaute griesgrämig drein und antwortete mit einem „Nein". Doch Marlene gab noch nicht auf. „Och bitte, iss etwas mit mir." Aber ihre Tochter blieb entschlossen. „Nein, ich habe schon gegessen."
„Na gut", gab sie sich geschlagen. „Aber leistest du mir wenigstens etwas Gesellschaft?" Sie seufzte.
„Na gut", und erhob sich. Sie trottete ihrer Mutter hinterher in die Küche und setzte sich an den Tisch.
„Na erzähl, wie war dein Tag?", fragte Marlene und trank einen Schluck Tee. Sahra lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schloss die Augen. „Wir haben heute endlich die Klassenarbeit in Bio wiederbekommen", murmelte sie und kratzte sich an der Wange, wo ein kleiner Pickel war.
„Was, jetzt erst?", fragte ihre Mutter verblüfft. „Habt ihr die nicht schon vor Zwei Monaten geschrieben?"
Sie seufzte: „Ja, haben wir. Herr Baumat hatte wohl viel zu tun gehabt und deswegen hat er für die Kontrolle so lange gebraucht." Ihre Mutter begann sich ihr Brötchen zu belegen. „Und was hast du?", fragte sie und biss ab.
„Warte, ich hol die Arbeit", sagte sie und sprang auf. Zügig ging sie in ihr Zimmer und kramte ihren Bio-Hefter aus der Schultasche hervor. Dann nahm sie die Arbeit heraus und lief zurück in die Küche. Sie legte sie neben ihre Mutter auf den Tisch und setzte sich wieder auf ihren Platz. Marlene betrachtete die Arbeit kurz, drehte sie dann um und sah die Note.
„Hey, eine Zwei, super", lobte sie ihre Tochter. Diese grinste zufrieden.
„Wir müsse bis nächste Woche eine Berichtigung machen, außer die, die eine Eins haben." Ihre Mutter blickte auf. „Also musst du, obwohl du eine so gute Note hast, trotzdem eine Berichtigung machen?", fragte sie.
„Jupp", antwortete Sahra.
„Das ist doch total dämlich", regte sich ihre Mutter auf. „Schüler, die eine Zwei haben dennoch eine Berichtigung schreiben zu lassen. Die Note ist doch gut genug. Also wenn ich Lehrer wäre, würde ich das anders machen." Sahra zuckte nur mit den Schultern und legte den Kopf in den Nacken. „Also mir ist es egal, ob ich eine Berichtigung machen muss oder nicht. Also zumindest ist es mir in Bio egal. Könntest du nach dem Essen noch unterschreiben, dass ich dir die Arbeit gezeigt habe?"
„Mach ich Maus."Als ihre Mutter fertig war entließ sie ihre Tochter wieder, die sich auch prompt in ihr Zimmer zurückzog. Auf der Couch liegend, mit dem Laptop auf dem Schoß, schaute sie weiter YouTube und machte zwischendurch immer wieder ein paar Sit Ups. So beschäftigte sie sich bis zum Abend hin und bevor sie noch auf der Couch einschlief machte sie sich bettfertig und legte sich ins Bett.
DU LIEST GERADE
Einmal Ana, immer Ana.
Teen FictionSahra, ein durchschnittliches Mädchen von einer Sekundarschule, das keine größeren Probleme, als das Bewältigen der Hausaufgaben kennt. Zumindest bis zu dem Tag, an dem sie vor dem Spiegel stand und sich als zu dick empfand. Ab da begann der Albtrau...