30 | ~Vater.~

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James war die ganze letzte Woche nicht mehr in der Schule.
Er antwortet weder auf meine Anrufe noch auf meine Nachrichten.
In der Schule hieß es, er sei krank, aber warum kann er mir dann nicht mal zurückschreiben?
Ich mache mir wirklich Sorgen. Klar, wir haben uns gestritten, doch das bedeutet doch nicht, dass er mir jetzt egal ist.
Ich liebe ihn.
Die letzten Tage waren echt schlimm für mich. Die Nächte hab ich nicht einmal durchgeschlafen. Was ist, wenn ihm was passiert ist?
Heute ist Montag und ich bete das er wieder da ist. Zwar bin ich echt sauer auf ihn, aber die Sorge um ihn übertrumpft die Wut.
Gerade streife ich durch die Schulgänge und bleibe abrupt stehen, als ich sehe, wie er aus dem Büro des Direktors kommt. Er sieht erschöpft aus.
Sein blauer Anzug sitzt perfekt und seine Haare sind ein wenig kürzer als sonst. Andere mögen es nicht sehen, doch seine tiefen Augenringe und dieses erzwungene lächeln, was sein Gesicht ziert, merke ich sofort. Irgendetwas bedrückt ihn.
Als er sich vom Direktor verabschiedet, dreht er sich um und entdeckt mich.
Sofort wird sein Blick noch trauriger als eh schon.
Fragend sehe ich ihn an.
Stumm teilt er mir mit, ihm zu folgen. Wir beide bewegen uns in die Richtung seines Klassenzimmers.
Wir haben noch 10 Minuten bis die ersten Schüler in die Klasse kommen. Er schließt hinter mir die Tür und lehnt sich an sein Pult und deutet mir mich zu setzen. „Wie geht es dir?", ist das erste, was ich frage. Natürlich ist es offensichtlich, dass es ihm beschissen geht, doch wollte ich wissen wieso.
„Es geht schon.", sagt er, guckt mir aber nicht einmal in die Augen.
Ich seufze. „James... Dir geht es schlecht. Warum hast du nicht auf meine Nachrichten und Anrufe geantwortet?", will ich wissen.
„Es tut mir wirklich leid. Ich...-", genau in dem Moment klopft es an der Tür.
„Moment.", sagt James. „Ich erkläre es dir heute nach der Schule. Warte bei dir auf mich, okay?", ich nicke und er öffnet die Tür. Die ersten Schüler betreten den Raum und beäugen mich komisch.
Man merkt die ganze Stunde James an, dass er nicht ganz bei der Sache ist. Was ist denn nur letzte Woche passiert? War unser Streit wirklich so schlimm?

Den ganzen Tag verhält er sich komisch.
Ungewöhnlich distanziert und so... so traurig. Es bricht mir das Herz ihn so zu sehen.
Als ich dann endlich Zuhause bin, kann ich vor Aufregung kaum ruhig sitzen. Ich laufe immerzu hin und her, bis dann endlich das erlösende Klingeln ertönt.
Ich reiße förmlich die Tür auf. Und da steht er. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet und er trägt jetzt nur noch ein weißes Hemd und eine blaue Anzughose.
Ich trete zu Seite und mache ihm den Weg frei.
Erst dachte ich, er würde sich auf die kleine Couch setzen, doch er bleibt einfach im Raum stehen. Unschlüssig was ich jetzt machen soll, gehe ich in die Küche und mache uns einen Tee.
Gerade hab ich das Wasser aufgesetzt als ich ihn plötzlich hinter mir spüre.
Er schlingt seine Arme um meinen Körper und vergräbt seinen Kopf in meinem Haar. „James...", murmel ich. „Es tut mir so unendlich leid.", flüstert er. „Was tut dir denn leid, James?", ich drehe mich um und lege meine Hände auf seine Brust.
Er schaut an mir vorbei und scheint sich an etwas zu erinnern. „Ich habe letzte Woche erfahren, dass mein Vater krank ist. Er... Er wird sterben.", ich schlinge meine Arme um ihn. „Das tut mir leid.", flüster ich gegen seine Brust.

Rückblick: James Sicht.
Ich bin sofort zu meinem Vater gefahren als ich es erfahren hab. Es war merkwürdig das Haus, die Angestellten und alle anderen wiederzusehen, nach all den Jahren. Zwar hab ich mich gefreut alle wiederzusehen, doch graute es mir davor meinem Vater gegenüberzutreten.

Vor dem alten riesigen Haus zu stehen, was der Hauptsitz unserer Familie ist, ist ein merkwürdiges Gefühl. Erinnerungen aus meiner Kindheit prasseln auf mich ein. „James?", fragt mich eine bekannte Stimme. Eine ältere Dame trat aus dem Haus. „Dorothea", sage ich und nahm sie in meine Arme.
Diese Frau war früher sowas wie ein Mutterersatz für mich.
Gott, habe ich sie vermisst.
Sie ist hier Haushälterin und war immer für mich da.
„Wie geht's ihm?", frage ich sie. Bedrückt sieht sie mich an.
„Nicht gut. Du solltest zu ihm. Er wartet drinnen auf dich. Wir reden dann später, ja?" Erfreut nicke ich.
Meine Beine fühlen sich so unendlich schwer an, als ich die Treppen zu seinem Büro hochsteige. Davor atme ich noch einmal tief durch und klopfte an. Als ich klein war, hatte ich immer ein ungemeinen Respekt vor meinem Vater.
Er war nie der Vater des Jahres. Dass er mal mit der Hand ausgeholt hatte, war nichts Besonderes. Doch nach den Jahren hab ich mich daran gewöhnt. Das bescheuertste daran war, dass ich ihn trotzdem immer geliebt habe.
Trotz alledem.
Ich wollte ihn doch nur stolz mach und habe versagt.
Und daran musste er mich bei jeder Möglichkeit erinnern. Noch heute, hab ich das Bedürfnis ihn stolz zu machen.
Als ein „Herein" ertönt, öffnete ich die Tür. Hinter den großen Holztisch saß er. Er sieht alt aus. Seine dunklen Haare haben weiße Strähnen bekommen. Sein sonst so düsteres Gesicht sieht erschöpft aus und tiefe dunkle Augenringe zieren sein sonst so Makelloses Gesicht. Früher musste ich mir immer anhören, dass ich meinem Dad wie aus dem Gesicht geschnitten bin. Doch wir konnten unterschiedlicher nicht sein. Als er von seinem Papierstapel aufsah, rückte er seine Brille zurecht uns stand mühsam auf. „James.", sagt er und kam auf mich zu. „Vater."
Doch dann passierte etwas, womit ich niemals im Leben gerechnet hätte. Er nahm mich in seine Arme. Das hatte mein Vater noch nie getan. Es fühlte sich merkwürdig an und auch gut. „Setz dich doch.", er deutet auf den Stuhl vor seinem Tisch.
Wir nahmen wieder Platz.
Er räuspert sich und begann zu sprechen: „Wie du bereits weißt, bin ich krank. Die Ärzte geben mir noch 4 Monate. Wie wir damals auseinander gegangen sind, tut mir leid. Wirklich. Ich habe viel darüber nach gedacht. Was du gesagt hast, sowie was ich gesagt habe. Ich bereue es, das tue ich wirklich. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen. Natürlich war ich immer der festen Auffassung, dass du mein Nachfolger wirst und hoffe, dass ist noch immer so?", fragt er mich.
Ich dachte die ganze Autofahrt darüber nach und auch schon viel länger. Will ich das? Will ich das immer noch sein? Kann ich die ganzen Leute im Stich lassen, die hier Arbeiten? Stelle ich mir so meine Zukunft vor? Ist das mein Wunsch? „Ja.", sagte ich schlicht. Das war er und wird er auch immer sein. „Gut, dann werden wir uns die nächsten Monate darauf vorbereiten. Ich werde dir noch einiges erklären müssen, was du noch nicht weißt. Bleib die restliche Woche hier."
„Das geht nicht, ich muss in die Schule und...-", weiter kam ich nicht, denn er unterbrach mich. „Diese 'Beziehung', die du gerade führst, muss aufhören.", sagte er mir und ich sah ihn geschockt an. Wie bitte? „Nein. Ich... Ich liebe sie. Woher weißt du überhaupt von ihr?", ich stand auf und sah ihn wütend an.
Wie kann er es wagen?
Er ist immer noch derselbe wie früher.
Kein Stück hat er sich geändert. „Ich habe meine mittel. Außerdem hab ich dich nie aus den Augen verloren, James. Sie passt nicht hie rein. Bella ist da besser geeignet."
„Bella? Herr Gott, ich liebe sie nicht. Kein Stück. Ich werde Sophie Heiraten. Sie oder keine.", sage ich und mein es auch so. Klar würde ich sie nicht sofort Heiraten, denn sie ist noch viel zu jung, doch ich liebe sie, bedingungslos.
Sie ist alles, was ich will und jemals wollte.
„Wenn du die Beziehung zu diesem Mädchen nicht beendest, wird sie ihre Zukunft in Oxford vergessen können. Dafür werde ich sorgen.", geschockt sah ich ihn an.
Nein. Er kann mir das nicht kaputt machen. Von mir aus, kann er mir alles wegnehmen, doch nicht sie. Bitte nicht sie. „Bitte Dad. Tue mir das nicht an. Sie ist alles, was ich jemals wollte. Bitte.", flehte ich ihn an. „Beende die Beziehung oder sie kann Oxford vergessen.", antwortete er mir und steht auf. Ich schluckte hart.
Oxford ist ihr Traum.
Ich kann das nicht zulassen.
Sie hat so hart dafür gekämpft. „Das werde ich dir niemals verzeihen.", sagte ich noch, kurz bevor er den Raum verlässt.

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