Zwölf

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Zitternd rappelte Livia sich auf und wankte zum Waschbecken, um sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Mark stand immer noch hinter ihr und streichelte ihr beruhigend über den Rücken. ,,Hast du in letzter Zeit etwas komisches gegessen?" fragte Mark, als die beiden zusammen auf dem großen Sofa saßen und Tee tranken. ,,Ich denke nicht. Es geht mir auch schon viel besser. Kannst du mir einen Gefallen tun und dich heute um die beiden Kleinen kümmern? Ich würde mich gerne ein wenig hinlegen." fragte Livia und nahm einen Schluck von ihrem Tee. ,,Natürlich, mein Schatz. Ruh dich aus und schlaf ein wenig."

Unruhig wälzte Livia sich hin und her. Obwohl sie einiges versucht hatte, um endlich schlafen zu können, wollten ihre Gedanken nicht verschwinden. Ob sie Ava jemals wiedersehen würde? Und wenn ja... wie würde Ava reagieren? Wie würde sie selbst reagieren? Wollte sie ava überhaupt wiedersehen? Vermutlich sollte sie es nicht wollen. Was sie und Ava getan hatten war nicht zu entschuldigen. Nicht nur, dass sie sich überhaupt geküsst hatten, Livia hatte gewusst, dass es nicht in Ordnung war, und trotzdem hatte sie nicht einmal halt gemacht, als Ava und sie sich so unglaublich nah waren. Näher als sie je jemandem war. Näher als sie Mark je war. Es war nicht nur die körperliche Umschlungenheit, sie waren in ihren so unterschiedlichen Wesen so innig und gleich. Ava war Teil ihrer Gedanken, Teil ihrer Errinerungen, Teil ihrer Fantasien. Livia liebte Mark aus tiefstem Herzen, aber Ava liebte sie aus der Tiefe ihrer Selbst. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so gefühlt, noch nie hatte sie solch eine Verbindung zu jemandem gespürt. Nicht bei ihrer Hochzeit mit Mark, nicht als sie ihre Kinder in sich trug. Und trotzdem - der Vertrauensbuch gegnüber ihrem Mann war der Grund Ava nie wieder so nah zu sein. Nie wieder würde sie riskieren ihn zu verletzen, sich selbst zu verletzen. Erneut überkam sie eine Welle der Übelkeit. Schnell rannte Livia in das Bad und übergab sich. Zitternd stützte sie sich ab und versuchte unter Schluchzern ihr Gleichgewicht zu finden. Schon immer hatte sie das Gefühl der Übelkeit zutiefst gehasst. Schon als Kind, wenn sie die Grippe hatte. Noch schlimmer wurde es in ihren Schwangerschaften. In ihren Schwangerschaften...Der Gedanke überkam sie so plötzlich und unerwartet, dass sie sich mit einem erstickten Ausatmen an der Toilette festklammern musste. Konnte das sein? Vermutlich nicht. Nur weil ihr einen Morgen lang schlecht war, musste sie doch nicht gleich davon ausgehen, dass sie schwanger sein könnte. Und was wenn doch? Ja, was wäre dann? Sie hatte nicht mit einem Kind gerechnet. Aber könnte sie es abtreiben lassen? Niemals. Wahrscheinlich waren diese Überlegungen völlig sinnlos. Wahrscheinlich würde sich herausstellen, dass sie etwas schlechtes gegessen hatte. Wahrscheinlich...

,,Ist alles in Ordnung, Liebling? Ich hab dich von unten gehört. Ist die Übelkeit immer noch nicht besser?" Mit sorgenvollem Blick kniete er sich neben ihr zu Boden. ,,Sollten wir damit nicht vielleicht zum Arzt? Es könnte doch sein, dass du eine Allergie hast, oder eine Krankheit." Schon immer hatte Mark zum überreagieren geneigt, wenn es jemandem nicht gut ging. Vermutlich war dies dem frühen Tod seiner Eltern geschuldet. beide waren damals etwa zeitgleich an einem krebs gestorben, dessen Anzeichen sie lange Zeit nicht ernst genommen hatten. Livia konnte sich nicht ausmalen wie es sein musste, wenn die eigenen Eltern starben solange man noch ein kleines Kind war. ,,Das ist wirklich nicht nötig. Ich werde mich heute einfach ein wenig ausruhen und morgen bin ich wieder ganz die Alte." Und mit diesen Worten drückte sie ihm einen kurzen Kuss auf die Wange und verschwand aus dem Badezimmer. So unbeschwert sie gegenüber ihrem Mann zu wirken versucht hatte, sie hatte Angst. Angst, dass es wahr sein könnte. Könnte sie ein Baby zur Welt bringen, das auch das von dem Mann war, von dem sie sich immer noch nicht sicher war, was sie für ihn empfand. Wie würde er darauf reagieren? Noch bevor sie den gedanken beenden konnte, öffnete sich die Zimmertür und Mark kam herein. ,,Livia, bitte lass uns zu einem Arzt gehen. Du weißt wie ungern ich so etwas einfach ignoriere. Bitte Livia." Er sah sie fragend an und sie nickte ergeben.

Ihre Umgebung völlig ignorierend starrte Livia auf den Bildschirm. Auf dieses kleine Wesen und seinen schwachen, aber stetigen Herzschlag.

He won't break me!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt