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Sie war eine meisterhafte Köchin. Ok. Kartoffelpuver bekam ich auch hin, aber bei ihr wirkte es, wie das Einfachste auf der Welt. Binnen 10 Minuten waren alle Zutaten ordnungsgemäß in kleine Portionen zusammengemengt und warteten darauf in die Pfanne zu springen. Gemütlich und mit einer gewohnt starken Hand hantierte sie am Herd.
Ich lehnte mich an die kleine Kochinsel in der Mitte und sah ihr, nachdem ich Hände gewaschen hatte, dabei zu, wie sie einen nach dem anderen von links nach rechts drehte. Ungewollt, aber nicht anders könnend, verfolgte mein Blick ihre Handbewegungen und glitt ihre Arme hinauf zu ihrem schlanken Hals und den kleinen grünen Ohrsteckern.

Auf einmal traf es mich wie ein Schlag. Ihr Ohring. Ich hatte ihn extra aus dem schwarzen Mantel in den roten gesteckt, um ihn ihr wieder zu geben. Ich fuhr zusammen. "Shit" murmelte ich. Sie schien es aufgrund der Bratgeräusche nicht gehört zu haben. Ich drehte mich um und ging schnellen Schrittes aus dem Raum zur Garderobe. Dort angekommen, wühlte ich in meinen Manteltaschen. Ich fand ihn erst nicht. "Wo ist das Scheisding. Shit. Shit." Sagte ich lauter zu mir selbst, als ich es eigentlich wollte. Dann nahm ich doch die Jacke vom Haken und zog neben 2 Kaugummis und einem Kassenbon letztendlich auch den goldenen Perlenohrring aus der Tasche. Ich atmete auf und stopfte ihn mir grinsend in die Hose. Ordnungsgemäß und vorsichtig, um nicht noch mehr Jacken von den überfüllten Kleiderbügeln zu holen, warf ich meinen Mantel wieder über den kleinen schwarzen Hacken.
Voller Euphorie drehte ich mich um und stieß mit jemandem zusammen. "Oh, vorsichtig. Willst du doch schon gehen?" Ronnie hielt mich mit seinen starken Händen an den Oberarmen fest. "Ä nein. Ich wollte nur was holen." Er lies mich los und zuckte zustimmend mit den Schultern "ok." Er grinste mich an. Seine Augen blitzten erfreut, fast so, als wäre er froh, dass ich noch etwas blieb. Wir gingen zurück in die Küche, wo Liz gerade dabei war, Teller aus dem Schrank zuräumen. Ich musste lächeln "Liz". Ich hatte sie zwar auch früher schon ab und zu so genannt, aber jetzt, da ich sie duzen durfte, war es für mich irgendwie eine Art Erfüllung und ich fühlte mich ihr näher als je zuvor.

Nach dem Essen, welches echt richtig lecker war, stand ich neben ihr am Spühlbecken. Ich nahm das Trockentuch vom Harken und fing an, die Teller abzutrocknen.
"Was machst du? Lass das." Sie sah mich an und versuchte mir das Tuch ruhig aus meinen Händen zu ziehen.
Ich rollte mit den Augen. "Ich darf ja wohl das Geschirr abtrocknen. Ich seh zwar net so aus, aber ich bin alt genug dafür." Sagte ich belustigt.
Das schien aber keine allzu überzeugendes Argument gewesen zu sein, denn fast schon stur zupfte sie noch immer an dem Trockentuch. "Ich hab dich eingeladen mit uns zu essen. Du bist ein Gast und meine Gäste müssen nicht noch den Abwasch machen." "Mach ich doch auch nicht. Du hast doch deine Hände im Spühlbecken. Ich trag bloß das Trockentuch." Ich warf es mir über die linke Schulter und lehnte mich mit dem Rücken an die Küchenzeile, während ich ihr direkt in die Augen sah. Und sie hielt meinem Blick spielend stand. Sie schien mich regelrecht zu durchdringen, was eine Hitze in meiner Magengrube auslöste.
Ihr Augen glänzten verdächtig. Aber sie schien sich ihr Kommentar zu verkneifen. Ich schüttelte den Kopf und sah Richtung Sofa, auf das sich Ronnie gesetzt hatte und Zeitung las. Louisa und Paul sahen fern.
Mit ihrem Sohn hatte ich bis jetzt nicht wirklich viel geredet. Er war in der 5. und für einen Jungen ziemlich schüchtern und ordentlich. Liz hatte es mal erwähnt, als ich wieder versucht hatte, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Sie war gut gelaunt gewesen und hat amüsiert kurz ein paar Details gelüftet, bevor meine Pause vorbei war.

Auch Liz wandte 2 oder 3 Sekunden später ihren Blick wieder zum Spühlbecken und begann von neuem die letzten Teller und dann die Pfanne zu spülen.
Ich zog das Trockentuch von meiner Schulter und wandte mich der Salatschüssel zu. Im Augenwinkel bekam ich mit, wie sie kurz inne hielt zu mir lugte und dann kopfschüttelnd
weiter Teller spülte.
Sie gab sich geschlagen. Ich war beeindruckt, denn ich hatte mit mehr Konter gerechnet. Aber innerlich war ich stolz. Für mich waren wir schon fast auf einer Höhe. Ich gab mir zumindest Mühe ihr entgegen zu steigen und es kam mir tatsächlich auch so vor, als ob ihre Mauer mir gegenüber zu bröckeln begann.
Ja, sie schien mich wirklich zu mögen.

Ich ließ wenig später meinen Hefter in meine Tasche gleiten. Paul und Louisa waren in ihre Zimmer gegangen und Ronnie hatte sich mit seinem Laptop an den Küchentisch gesetzt. Er trug nun eine modische Brille mit dickerem schwarzen Rahmen und sah damit aus, wie ein Professor, der gerade dabei war Klausuren zu korrigieren.
Ich nahm meine Tasche und war gerade dabei das Zimmer zu verlassen als er mich ansprach.
"Gehst du jetzt Charlie?" Ich drehte mich zu ihm. "Ja, es is schon spät und dunkel und ich denke, ich hab sie lang genug aufgehalten. Louisa is ja auch schon hoch." Er lächelte, nahm seine Brille ab, legte sie neben seinen PC und stand auf. "Ja, dann dank ich dir nochmal und bring dich zur Tür." Er wirkte noch größer, als er eh schon war, aber nicht übermächtig oder einschüchternd.
Er ging mir vorraus zur großen Haustür. Ich nahm meinen Mantel vom Harken und gerade als ich über die Türschwelle trat, kam Liz die Treppe herunter.
"Oh, du gehst?" Ich sah sie an und nickte. "Ja, es wird Zeit."
Sie trat neben Ronnie, welcher seinen Arm um sie legte und ich hatte wieder einen meiner berühmten Flashbacks, denn diese Situation erinnerte mich wahnsinnig sehr an die absurde Konversation in der Küche bei Jonas.

Ich hielt den Atem an. Sie wirkten wie eines der Paare, die auf sowohl alten, wie auch neuen Gemälde festgehalten wurden, weil sie eine Aura ausstrahlten, die stark einnehmend und zugleich beruhigend auf den Betrachter wirkte.
Kurz. Sie waren für einander gemacht. Sie hatten Geschichte und Erfahrungen, die sie auf Lebenszeit verbanden. Kinder, ein Haus mit Garten und, was noch wichtiger war, sie hatten sich. Ihre Liebe und Leidenschaft, die sie teilten.
Ich atmete mit einem langen "Hhhmm" aus. "Es ist kalt. Ich werde fahren. Danke fürs Essen. Es war sehr lecker." "Klar. Immer gerne wieder. Komm gut nach Hause." Sagte Ronnie und steckte seine Hände in die Hosentaschen. Ich drehte mich um und ging die Stufen runter Richtung Auto. Ohne nochmal zur Tür zu sehen, öffnete ich die Heckklappe, schmiss meine Tasche rein und ließ sie zu knallen.

Als ich auf sah, zuckte ich kurz zusammen, denn Liz war die Stufen herunter gekommen und stand nur wenige Meter vom Auto entfernt. Sie trug keine Jacke, sondern hatte ihre Arme vor ihrem Körper verschränkt und sah mich irgendwie neugierig, aber auch ausdruckslos an.
Auch für meine Verhältnisse war es ein kalter Abend und wie aus Reflex ging ich auf sie zu und konnte mich gerade noch davon abhalten ihr nicht über die Arme zu reiben.
Ronnie hatte die Haustür geschlossen.
Wir standen also allein in der Kälte und sahen uns an.
"Dir muss doch kalt sein. So ohne Jacke." Sie reagierte nicht, brauchte ein paar Sekunden, um sich aus ihrer Ruhe zu lösen. "Charlie." Sie stockte, wich meinem Blick aber nicht aus. "Charlie, ich- ich weiß nicht." In meinem Magen breitete sich eine unangenehme Hitze aus und mein Herz begann kräftig zu schlagen.
"Wwwas meinst du? Du weißt nicht ob dir kalt ist?" Sie schloss die Augen und öffnete sie danach wieder. Und begann dann deutlich und konzentriert zu reden. "Ich weiß nicht ob du nochmal kommen musst." Mir wurde schlecht. Ich fand keine Worte und sah sie einfach nur an. Nach etwa 30 sec fand ich meine Stimme wieder. "Ookay. Naja Lou is ja eigentlich jetzt auch wieder im Stoff." Jetzt verschränkte auch ich meine Arme vor meinem offenen Mantel. "Du kannst mir ja dann einfach wieder ne Mail schreiben. Oder halt fragen, wenn du mich wieder brauchst." Sie sah mich an. Ihr Blick war irgendwie traurig, aber sie nickte leicht. "Gut. Ja mach ich." Jetzt erst wendete sie ihren Blick ab, rieb sich an den Armen und ging in Richtung Haustür, ohne mich nochmal anzusehen.
Ich beobachtete, wie sie die wenigen Stufen hinauf trat und sich im Türrahmen noch einmal kurz um drehte, mir zu lächelte und die Tür schloss.

Und ich blieb zurück in der Kälte vor meinem Wagen an einem kalten Mittwochabend und mir war zum weinen zumute. Meine Atmung ließ nun langsam kleine Rauchwolken in die Nacht steigen und in einem kurzen Augenblick sah ich auch meine Gedanken hinauffliegen.
Was machte diese Frau mit mir?
Ich schloss die Augen und schluckte Tränen und die Hitze in mir wieder runter. Ich würde nicht um etwas trauern, was nie da war. Punkt.
Ich atmete stur aus, schüttelte leicht meinen Kopf und löste mich nun endlich aus meiner Starre.
Ich riss im nächsten Moment die Autotür auf und ließ mich auf meinen Sitz fallen. "Autsch" quietschte ich.
Irgendwas hatte sich in meinen Oberschenkel gebohrt. Ich griff in die Tasche und zog Liz' Ohrring heraus. "Shit!" Stammelte ich und legte meinen Kopf an die Lehne. Ich betrachte nochmals die Perle, bevor ich ihn abermals in meine Jackentasche gleiten ließ.
Ich verlor nun keine Zeit mehr und startete mein Auto. Es sprang wie erwartet sofort an und mit noch immer pochendem Herzen und zittrigen Händen fuhr ich nach Hause.
Es sollte eine bedeutende Woche werden.

Ihr Weg zu DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt