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Tatsächlich war es einfacher als gedacht. Natürlich musste ich starke Argumente bringen, die mein Vorhaben auch effektiv unterstützten, zumal ich wusste das mein Dad auch sehr gut im Argumentieren war und ich das eindeutig von ihm geerbt hatte.
Aber er ließ sich überzeugen.
Mit ein paar Blicken zu meiner Mutter, die abwechselnd mal mit den Schultern oder der Augenbraue zuckte, stimmte er schlussendlich zu, unter der Bedingung Fotos zu machen und zu versuchen um Mitternacht mal anzurufen, damit sie wussten, dass ich noch 'am Leben war'. Aber ich wusste, dass er das nur halb und halb auch so ernst meinte. Wer bekommt schon nen Anruf an Silvester über Ländergrenzen so gut durchgestellt?
Ich unterdrückte ein Grinsen. So professionell wie er manchmal tat, war er eigentlich nicht.
So richtig konnte ich mich aber irgendwie nicht über seine Zusage freuen. Irgendwas störte mich.
Vielleicht war es das Gefühl, dass ich wusste, das die Zeit allein mit ihr nur zustande kam, weil Ronnie falsch geplant hatte oder einfach nur schon die Aufregung Liz, wenn auch nur für zwei oder drei Tage, doch gänzlich für mich alleine zu haben.

Da ich sie privat erst den darauffolgenden Freitag aus organisatorische Gründen wiedersehen würde, hatte mein Kopf in den folgenden Tagen alle Zeit der Welt um sich unseren Kurztrip in allen möglichen Varianten auszumalen. Wir beide auf einer schönen Stockholmer Dachterrasse oder irgendwo in mitten einer großen Menschenmenge im Zentrum. Aber immer mit dem Blick nach oben zu den Sternen und bunten Lichtern gerichtet, die meine Vorstellung erst wirklich lebendig machten. Es war wie zu viel guter Wein. Es benebelte mich.
Die Klausuren rannten an mir vorbei und ich versuchte bei dem ständigen Tempo von abwechselnd klaren Fakten und Gedanken mitzuhalten, bis mich Donnerstagabend eine Nachricht von Tanya wieder daran erinnerte, dass es noch mehr in meinem Universum gab, als Liz und mich.
Ich saß auf meinem Bett und war am Handy. "23. 12. Weihnachtsparty bei Jonas. Bist dabei?" Ich verzog das Gesicht. Das Jonas' Eltern ihm das immer erlaubten mit den Parties war schon irgendwie beneidenswert. Mir wurde aber auch kläglich bewusst, dass seine letzte Gartenparty schon Monate zurück lag. Monate in denen sich mein ganzes Leben fast 180 Grad gedreht hatte. Zum Bösen oder zum Guten, dass alles stand noch in den Sternen, die eifrig am Silvesterabend auf eine Entscheidung von mir warten würden. Ich schluckte. Auch war seine letzte Fete die gewesen, auf der ich Ronnie das erste Mal begegnet war, auf der ich die beiden leicht beschwippst heim gefahren hatte. Und obwohl er jetzt beinah unbedeutend schien, begann der Kuss auf meiner Wange, den sie mir an jenem Abend gegeben hatte, für wenige Sekunden wieder zu brennen. In mir entflammt unerwartet erneut dieses Feuer. Es balancierte sich meine Kehle hinauf und machte sich in meinem Kopf breit, in dem es lodernd um sich schlug und mich dazu veranlasste mein Handy auf mein Bett zu schmeißen. Was passierte hier nur? Ich sprang auf und schlug in der Bewegung mit meiner flachen Hand gegen die Wand. Die Gedanken an sie hatten mich so im Bann, dass ich beinah wirklich für sie töten würde. Mein Herz und mein Kopf ließen kein Bild von ihr wahllos untergehen, obwohl allem in mir stets klar war, das es vermutlich irgendwann enden würde. Alles würde enden. Und das erste Mal seit Wochen begann mich ein Gedanke an sie wütend zu machen. Ich steigerte mich in den Moment hinein. Jetzt wo ich ihr nah war, wo sie selbst das alles, ihre Gefühle und unsere Anziehungskraft, auch eingestand, schien die Wand, an der ich mit dem Kopf vorran lehnte, unser Ziel zu sein. Wo würde es enden? Und vor allem wann? Morgen? Nächste Woche? Oder die Woche danach? Die Realität schien so unendlich weit weg, dass alles was Liz und mich betraf beinah mehr Traumvorstellung war, als eine wirkliche Begebenheit. Ich drückte mich weg und starrte auf die Musterung der weißen Wand. Warum musste ich immer die sein, die an der Frage verzweifelte, was richtig war? Und in diesem Moment beschloss ich, dass, egal wie egoistisch es klang, nur ich die Jenige sein würde, die dem Ganzen, wenn es drohte in sich zusammenzustürzen, ein Ende setzen würde. Nur ich. Ich würde es Schach Matt setzen.
Und ich begann aus diesem frischen Gedanken so viel Energie zu ziehen, dass ich auf einmal richtig Lust auf diese doofe Party bekam. Ich griff nach meinem Handy und tippte "Ja klar!" als Antwort auf Tanyas Frage. Mein Puls brannte noch immer in allen meinen Gliedmaßen. Zum Glück meldete sie sich sofort. "Hätt ich jetz net mit gerechnet. Aber klasse! Aus dir wird noch ne richtige Partymaus." Ihrem Text fügte sie locker 20 komische Smileys hinzu. Von der Pistole bis zum Einfamilienhaus und ohne das sie es wusste, rettete sie mir in diesem Moment meine zerstreute Seele und ich begann ruhig durchzuatmen.

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