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Als ich klein war, war mein Lieblingsplatz in der Weide bei meiner Tante. Der Baum war groß und stark und trug zu seinen besten Zeiten nicht nur mich sondern auch meinen kleinen Cousin und die Nachbarskinder. Die biegbaren Äste tanzten im leichten Wind der warmen Nachmittagssonne und die Zeit schien für wenige Minuten still zu stehen, während wir neue Länder entdecken in der Krone des Baumes und an seinen Wurzeln picknickten.
Damals konnte ich das Gefühl und die Ruhe, die mir diese Momente gaben nicht wirklich verstehen. Ich genoss nur das Glücksgefühl in meinem Bauch während wir lachten und tanzten. Und ich war wirklich aufrichtig traurig, als man mir vor 2 oder 3 Jahren dann erzählte, dass ein Sturm in der Nacht zuvor die Weide beinah in zwei geteilt hatte und sie jetzt fast kahl dastand und vor sich hin wiegte im noch immer stürmischen Wind. Ich war den Tränen tatsächlich näher als ich damals zugeben konnte. Denn, auch wenn es nur ein Baum war, hatte er mir damals mehr Frieden gegeben als irgendwas sonst.

Ich betrachtete die junge Weide im Garten von Liz Nachbarn noch etwa 3 Minuten interessiert. Sie war vielleicht 4 Jahre alt und ihre Äste nicht annähernd so stabil um auch nur ein Kind zu halten. Dennoch erinnerte sie mich an den Baum bei meiner Tante und daran das ich sie mal wieder besuchen könnte. Seit meinem letzten Besuch hatte sich einiges in meinem Kopf verändert und einige neue Erkenntnisse waren dazu gekommen. Ich konnte ihr natürlich nicht die ganze Sache detailgetreu darlegen, aber ich konnte in einem anderen Bezug mit ihr darüber reden. Das hatte immer funktioniert.

Ich stieg mit einem großen Schritt, um meine neuen Stiefel nicht gleich am ersten Tag zu ruinieren, aus meinem Wagen und richtete meine weiße Bluse, sowie den Kragen meines schwarzen Lieblingsmantels. Mit einem Lächeln wurde mir bewusst, dass er schon öfters hier gewesen war und ich ihm vielleicht mal eine Pause gönnen konnte. Ich schloss das Auto ab und lief am Bürgersteig entlang die Pflastersteine zu ihrer Haustür hoch. Die wenigen schönen Stufen nahm ich mit einer Sorgfalt, wie ich sie in letzter Zeit öfters an den Tag legte, das färbte eindeutig schon von Liz auf mich ab und ja, ich akzeptierte es ohne Widerrede. Obwohl ich nicht wusste, wie der Nachmittag verlaufen würde, war ich guter Dinge, dass ich nach dem Kaffee beruhigt wieder in die Heimat fahren konnte. Immerhin war ihre Familie auch da und es würden sich mit Sicherheit keine 4-Augengespräche finden lassen. Ronnies Auto stand mitten in der Einfahrt, weshalb ich vor dem Grundstück am Bürgersteig parken musste. Sein Wagen nahm jeglichen anderen Fahrzeugen die Chance auf einen Parkplatz. Ich drückte die Klingel und wartete bis Lou die Tür öffnete. Sie hatte ihre Haare in einem blonden Pferdeschwanz und ihre Brille verlieh ihr ein kluges Aussehen, das dem ihrer Mutter ansatzweise ähnelte, aber nicht gleich genug war, um mich in den ersten Sekunden schon aus den Stiefeln zu hauen. Diese wiederum zog ich vorsichtig aus, hang den Mantel an den Hacken und folgte Louisa in die Küche.

Ronnie saß mit dem Rücken zu mir auf dem Sofa, Lou's Bruder daneben und Lou selbst stand etwas abseits. Die Jungs schauten fern, während ihr Blick auf mir lag. Sie lächelte vorsichtig und wollte mir gerade deuten sich zu ihnen auf die Couch zusetzen, als ein leichter Windhauch mir von hinten entgegen kam, gefolgt von einem freundlichen und warmen "Hallo, Charlotte." Ich fuhr wie eine Mamorstatue kerzengerade zusammen und zog Luft ein. "Oh entschuldige, hab ich dich erschreckt?" Ich blickte zur Seite und fing sogleich ihren fragenden Blick ein, der viel zu nah auf mir lag und hinter ihrer schwarzgerahmten Brille hervor stach. Sie zwängte sich keine 5cm an mir vorbei in den offenen Raum. Sie trug eine dunkelblaue Jeans und ein hellgraues Tshirt ohne Aufschrift und wie immer hing ihr ein lieblicher Duft an, welcher mich an Frühling erinnerte. "Nein, alles gut. Ich hatte dich nur nicht kommen gehört." Ich versuchte ein selbstsicheres Lächeln, was mir aber nur in meiner Vorstellung gelang. "Oh, Hallo Charlie. Da bist du ja. Schön das es geklappt hat." Ronnie war von der Couch aufgestanden und kam auf mich zu. Er wirkte konzentriert, aber irgendwie auch angespannt. Ich hatte für kurze Zeit vergessen, dass er ein recht großer Mann war und brauchte deshalb kurz, um zu realisieren, dass er mir ganz förmlich seine Hand entgegen hielt, welche ich dann auch tatsächlich etwas zögernd nahm. Sein Blick fokussierte mich, trotzdem lächelte er ein schiefes Lächeln, als er meine Hand kurz hin und her schüttelte und mir dann mit einem Kopfnicken deutete mit ihm zum Küchentisch zu gehen.

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