27

1.9K 85 3
                                    

Sie sah mich an. Ihr Blick war freundlich und für wenige Sekunden vernahm ich ein leichtes Lächeln. Ich war wie festgefroren an meinem Stuhl und alle meine Sinne waren auf sie gerichtet. Sie saß seitlich auf dem großen, schweren Lehrertisch und führte interessierte Gespräche, erklärte die Aufgaben für die nächsten Wochen und argumentierte ihre mitgebrachten Beispiele. Sie wirkte, wie frisch aus einem Urlaub heim gereist und war voller Energie. Das alles löste eine Flut von Emotionen in mir aus. Ich wusste nun wirklich nicht mehr, was gerade passierte und ob ich es nicht doch geträumt hatte. Ich sah aus dem Fenster, nur um nachzusehen, ob es wirklich November war oder immer noch August und ich nicht meinen sommerlichen Tagträumen erlegen war, die ich oft hatte, als Liz noch mehr Illusion als Realität für mich war. Doch das stürmische kalte Wetter sagte etwas anderes. Es war eindeutig bald Winter und die Frau vor mir keine Einbildung. Ich atmete mehrmals stark aus und ein, so dass sich meine pochenden Adern wieder beruhigten. Ich wollte die Kontrolle über meinen Kopf wiedererlangen, die ich in den letzten Tagen so sehr versucht hatte zu finden, doch Liz kurze aber deutliche Blicke machten es mir immer schwerer und als es dann endlich zum Ende der Stunde klingelte, war ich schon etwas erleichtert, ihren Blicken nicht mehr ausweichen zu müssen. Von meinem Platz aus starrte ich sie förmlich an, wie sie ihre Sachen packte. Ich hatte heute genug Zeit dafür, denn Lena konnte mich heute nicht mit heim nehmen. Sie musste zum Arzt eine alte Sportverletzung kontrollieren lassen und so blieb mir nichts anderes übrig, als auf den Bus zu warten und der würde noch ewig brauchen. Nachdem sie ihre Tasche geschlossen hatte, sah sie wieder zu mir. Ihre Augen blitzen verdächtig unter ihrer dunklen Brille. Ich konnte nicht anders, als verschmitzt zu Lächeln, was auch ihre Mundwinkel zum Zucken brachte. Dann steckte sie ihre Hände in ihre Hosentaschen und kam zu mir. Sie platzierte sich eine Reihe vor mir auf einem Stuhl, sagte aber nichts, obwohl mir natürlich auffiel, dass sie etwas sagen wollte. Sie schien aber mit sich und der Wortwahl zu hadern. Dann war ich es, die die Stille zwischen uns brach. "Erklärs mir." Hauchte ich fragend in die sich anspannende Atmosphäre. "Ich bin die letzten 2 Wochen beinah gestorben, weil ich dachte ich hätte dein Leben zerstört, aber du wirkst nicht so, als würde es dich jucken. Warum hast du mir nicht wenigstens gesagt, dass ich mir keine Sorgen zumachen brauch. Ein Wort hätte gereicht. Aber du lässt mich lieber 1000 Tode sterben. Bis eben, bis heute früh war ich nichts als traurig. Aber mittlerweile bin ich auch sauer." Ich verschränkte die Arme vor meinem Oberkörper und lehnte mich nach hinten. Liz hingegen sah zu Boden und spielte, noch immer nach Worten suchend, mit dem Ohrring an ihrer Kette, die sie zu meiner Überraschung immernoch trug. Irgendwie nahm es mir ein wenig meinen Missmut über die ganze Sache, denn trotz allem empfand ich für sie noch immer mehr, als das ich in Worte fassen konnte. Dann sah sie endlich wieder zu mir. "Ich habe Zeit gebraucht." Sie schluckte. "Ich musste mir über einiges klar werden. Immerhin ist das alles auch neu für mich." Jetzt legte sie ihre Hände auf meinen Tisch. "Und ich musste mit Ronnie reden." Sie machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Ich räusperte mich. "Was hat er gesagt?" Fragte ich vorsichtig. Liz lehnte sich leicht zu mir nach vorne. "Im ersten Moment hat er gar nichts gesagt. Er ... Er musste viel darüber nachdenken. Natürlich macht es ihm zuschaffen. Aber..." Etwas Erleichterndes huschte über ihr Gesicht. "Ich denke er versteht es." Sie zuckte mit den Schultern und sah mich mit einem Blick an, der sowohl tief traurig als auch allwissend wirkte. "Weist du Charlie, ich bin mir beinah schon sicher, dass er weiß, wie viel du mir bedeutest." Sie griff vorsichtig nach meinen Händen. Ich wollte sie wegziehen, aber ihre Finger waren schneller. "Das erklärt aber nicht, warum du dich nicht gemeldet hast. Du bedeutest mir die Welt, Liz. Du weist, wie tief ich fühle, wie sehr mir alle deine und auch meine Entscheidung an Kopf und Verstand gehen und wie sehr mein Herz dann immer kämpft, das Richtige zu tun. Ich gebe es nicht gerne zu, aber die letzten Tage waren hart für mich." Ich sah ihr tief in die Augen. Doch wütend auf sie konnte ich nicht wirklich sein. Zu sehr im Einklang schienen wir, zu sehr auf einander fixiert. Das Jetzt war stärker, als das Gestern und mein Körper zog ihre Nähe, ihre Wärme, die von ihren Händen auf mich über sprang, auf wie den Duft frischer Blumen. In ihren bunten Augen, lag eine Weisheit, die älter schien, als das Wissen selbst und mein Herz begann erneut mit Doppelsprüngen auf ihren Blick zu antworten, wie früher. "Kannst du mir verzeihen?" Fragte sie vorsichtig. Tiefe Aufrichtigkeit schwang im Klang ihrer Stimme mit und die kleine blonde Strähne, die immer hinter ihrem Ohr hervor lugte, viel ihr ins Gesicht. Das erste Mal seit unserer gemeinsamen Nacht, war sie mir wieder näher, als die Luft zum atmen und ja, irgendwie verzieh ich ihr. Ich nickte daraufhin leicht mit dem Kopf und ihre Mundwinkel bildeten in Folge dessen ein sanftes Lächeln. Ich sah zu unseren Händen, die miteinander verschlungen in der Mitte des Tisches lagen und auf weitere Bewegungen verzichteten. "Und was machen wir jetzt?" Fragte ich deutlich. "Es ist nunmal passiert. Man kann es nicht mehr rückgängig machen. Ehrlich gesagt...." Ich sah sie wieder und diesmal voller Überzeugung an. "...will ich das auch gar nicht." Ihr Blick blieb weiterhin entspannter Natur. Nach ein paar Sekunden des Überlegens antwortete sie dann aber. "Ich auch nicht, Charlie." Mit diesen Worten ließ sie meine Hände los und stand auf. "Um nichts auf der Welt würde ich das rückgängig machen wollen." Sie sah erst zu mir, dann aus dem Fenster. "Regen." Sagte ich leise und erhob mich von meinem Stuhl. Jetzt waren wir wieder auf Augenhöhe, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie nicht alles gesagt hatte, was ihr auf dem Herzen lag. Ich ging um den Tisch und griff vorsichtig nach ihrem Arm. Obwohl ihr Blick immer noch dem Wetter außerhalb galt, regte sich etwas in ihren Augen und ich bemerkte, dass sie Gänsehaut bekam. Doch typisch Liz hatte sie ihre Fassung schneller wieder, als man 'Gefühl' sagen konnte und sie zog ihren Arm zurück. "Nein, nicht..." Doch ich dachte gar nicht daran, sie jetzt so einfach aus der Sache rauskommen zu lassen. Nach 2 Wochen leiden, war eine kleine Revanche wenigstens auch eine kleine Wiedergutmachung. Ich begann schief zu lächeln, sah kurz zur geschlossenen Raumtür und griff wieder nach ihrem Arm. Liz wendete ihren Blick erschrocken zu mir, doch bevor sie auch nur irgendwas sagen konnte, legte ich sanft meinen Zeigefinger auf ihre schmalen rosafarbenen Lippen und fuhr mit ihm ihr Kinn hinunter bis zum Kragen ihres Tshirts. Sie griff in Windeseile und mit leicht verärgerter Miene nach meiner Hand. "Lass das!" Sagte sie laut und deutlich, bevor auch sie kurz zur Tür sah. Ich lächelte breit und gerade als sie sich zu mir zurück drehen wollte, küsste ich sie sanft auf die Wange. Sie zuckte zusammen und trat 2 Schritte zurück. "Lass das, Charlie! Verdammt!" Sie klang wirklich verärgert. Ihre Augen glühten beinah und auf ihrer Stirn bildeten sich Falten. Mir war bewusst, dass sie so reagieren würde. Schließlich musste sie ihr Gesicht in der Öffentlichkeit waren. Sie war stets die Unantastbare, die, vor der jeder Respekt hatte und die sich aus allen Missären einfach rausschlängelte, nur um niemanden näher an sich ran zu lassen. Ich war mir beinah schon sicher, dass das auch ein Grund war, warum sie jetzt, hier, so enorm auf Abstand ging. Natürlich könnte uns jemand sehen, aber wir waren uns zuvor schon ein paar Mal in der Schule näher gekommen und da war es ihr größtenteils egal gewesen. Mir war bewusst, dass ich es schon übertrieb, aber sie würde sonst nie mehr Nähe zulassen, sowohl privat bei mir, Ronnie oder den Kindern, als auch hier in der Schule, in der allgemeinen Öffentlichkeit.

Ich drehte mich um und nahm meine Tasche. Die Uhr zeigte noch 15 Minuten bis der Bus da sein würde, also ließ ich Liz da stehen, wo sie war und ging langsam zur Tür. Zu meiner Überraschung reagierte sie aber schneller, als ich gedacht hatte und drückte die Tür wieder zu, die ich gerade dabei war zu öffnen. "Hör zu, Charlie. Es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht gemeldet habe, ok? Aber mein Kopf hat verrückt gespielt. Mein Herz hat..." Sie schluckte vor Aufregung. "Es hat einfach keine Ahnung, was es gerade machen soll, was es fühlen soll." Sie sah mich fast schon verloren an. "ICH weiß nicht, was ich fühlen soll." Sie ließ ihre Hand an der Tür hinunter rutschen, sodass es leise quietschte. Dann blieb sie wie falsch geparkt einfach da stehen und sah zu Boden. Ich betrachtete die wunderschöne Frau vor mir, wie sie langsam wirklich nicht mehr wusste, was sie sagen oder machen sollte. Sie schien verzweifelt. Nach ein paar Sekunden hob sie aber wieder ihren Kopf und legte ihre Arme um meinen Hals, sodass ich ihre, immer noch schnelle, Atmung auf meiner Haut spüren konnte und ihr Parfüm mir in die Nase stieg. "Was machst du nur mit mir und meinem Leben, Charlie? Mmh?" Sie sah mir direkt in die Augen. Ich aber schloss diese und drehte meinen Kopf von ihr weg. "Ich bin dabei es zu zerstören." Flüsterte ich und als Reaktion darauf legte sie ihre Stirn an die meine, sodass sich unsere Nasenspitzen berührten. "Nein. Dank dir fühlt sich alles auf einmal wieder echt an. Ich fühle tiefer, als in den letzten 10 Jahren, wenn du da bist." Sie löste sich von mir und trat einen Schritt zurück. "Und dank dir, dass klingt jetzt bestimmt bescheuert, bin ich auch ihm wieder näher." Natürlich wusste ich wer gemeint war, nur verstehen konnte ich es nicht wirklich. Sie schien das zu merken, denn sie begann zu lächeln und strich sich die Strähne aus dem Gesicht. "Tatsächlich will er, dass du in 2 Wochen auch dabei bist." Ich runzelte die Stirn. "Wo dabei?" Fragte ich verwirrt. Sie lächelte verlegen. "Sein Bruder und ein paar Arbeitskollegen kommen auf einen kleinen Umtrunk vorbei und er will das du auch kommst. Hat er selber gesagt." Sie zuckte mit den Schultern. "Und was zum Kuckuck soll ich da?" Fragte ich amüsiert, im Wissen, dass sie versuchte, das Gefühlsthema auf ein anderes Mal zu verschieben. Ich lies sie gewähren. "Kellnern kann er schön selber." Jetzt mussten wir beide ein herzhaftes Lachen unterdrücken. "Nee." Sagte Liz. "Ich weiß nicht." Sie griff an die Türklinke. "Ich schätze, er will dich als Verstärkung, als 2. Reihe um mich vor seinem Bruder zu beschützen." Sie betonte das Wort 'Bruder' überdeutlich. "Er geht davon aus, dass er wieder ein paar schlechte Witze reißen wird, vermutlich ein paar Details aus unseren jungen Jahren preisgibt, die nicht unbedingt jeder wissen muss und..." Jetzt stämmte sie ihre Arme in die Hüfte. "Mir etwas zu nah kommt, wenn er betrunken ist." Nun musste ich wirklich lachen. "Na das wollen wir ja mal nicht. Dann is es aber natürlich verständlich." Nickte ich überauffällig. "Und das heißt auch, dass ich die Einladung wirklich annehmen muss, denn da bin ich Ronnies Meinung." Ich legte eine Hand auf ihre Hüfte und begann breit zu grinsen. "Finger weg von Lissi." Witzelte ich und 'Lissi' schüttelte immer noch amüsiert den Kopf, drehte sich aber von mir weg und griff nach ihrem Korb. "Dann sag ich ihm das." Ich öffnete erneut die Tür und ließ Liz mit einem "Ladies first." an mir vorbei aus dem Raum gehen, bevor ich das Licht ausschaltete und die Tür wieder zu zog.
Wenig später bog sie in ihren Arbeitsraum ab. Bevor sie aber darin verschwand zwinkerte sie mir nochmals zu, was wie erwartet Gänsehaut bei mir auslöste. Sie war einfach irgendwie meine Art von Frau und niemand konnte mir diese Momente mit ihr je wieder nehmen, das wusste ich.

Ihr Weg zu DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt