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Ronnie komplimentierte die letzten Gäste aus dem Haus. Es war, obwohl die Stimmung sehr reserviert dahin glitt, noch ein angenehmer Samstagnachmittag gewesen. Ich hatte mich bemüht, Chris nicht ständig mit meinen Augen zu verfolgen, sondern mich in Gespräche mit einzubinden. Er blieb tatsächlich noch etwas länger, als er gesagt hatte, verschwand aber doch als erster. So bemerkte ich auch, dass auch Jonas' Vater mit unter den Gästen war. Das rief mir Erinnerungen an den Abend im Garten in der Hütte und mein erstes Treffen mit Ronnie ins Gedächtnis. Alles schien so unglaublich lange her und wenn ich daran dachte, meldete sich mein Magen. Es war einiges passiert seit damals.

Ich saß auf der großen Couch und starrte meine halbleere Tasse Kaffee an, die ich schon längere Zeit mit mir rum schleppte. Ich bemerkte nicht wie Liz langsam von hinten an das Sofa trat und mich vorsichtig aus meinen Gedanken holte. "Schmeckt der denn überhaupt noch?" Fragte sie, mit ihren Händen auf die Lehne des Sofas gestützt und sah mich fragend an. Ich nickte. "Alles ok? Was beschäftigt dich?" Ihr Blick fuhr mir übers Gesicht, bevor sie sich zu mir setzte. "Ich weiß nicht. Er hatte schon irgendwie etwas an sich, dass meine Aufmerksamkeit forderte." Liz grinste leicht. "Chris? Ja, der..." sie sah zur Zimmertür und dann wieder zu mir "..hat ein wenig andere Ansichten als wir oder besser gesagt als Ronnie." "Soso. Andere Ansichten." Fragte ich amüsiert. "Nun wenigstens hat er anscheinend auch einen guten Frauengeschmack." Ich sah auffallend an ihr auf und ab. Liz verdrehte die Augen. "Das is nicht so, wie du denkst. Er überschreitet nur gerne die Gesetze des Guten." So wie sie die Wörter ausdrückte, kam es eher einem Jane Austen-Roman gleich, als dem 'Real Life'. "Ja, hab ich mitbekommen und pessimistisch is er auch." "Er war nicht immer so."
Meldete sich Romnie aus dem Hintergrund. Er war wieder ins Wohnzimmer gekommen und lehnte an der Küchenzeile. Ich zog die Augenbrauen hoch. "Was meinst du?" Er begann kurz zu lächeln, wurde aber schnell wieder ernst. "Naja er war in seiner Jugend schüchterner und hat sich dann von unserem Vater und vermutlich vom ersten Geld so beeinflussen lassen, dass er, naja, mich versucht hat, bei Elisabeth auszustechen." Liz machte einen bedrückten Gesichtsausdruck und es bestätigte sich, was ich innerlich schon längst mitbekommen hatte: Bei dieser Angelegenheit war noch nicht alles geklärt. Irgendwie wirkte das gesamte Szenario in diesem Moment, wie ein schlecht gedrehter Kitschfilm. Ich konnte nicht mehr recht folgen und auch das zwischen den Zeilen lesen, fiel mir heute äußerst schwer. Man merkte deutlich das Ronnie und Chris nicht so wirklich gute Kumpels waren und auch das Liz versuchte die Situation an sich einfach abprallen zu lassen, wie sie es bei vielen Dingen tat, auf die sie gerade doch keine Lust hatte.
"Aber ich hab meinen Mann schon längst gefunden." Sagte Liz ernst und sah zu Ronnie, der nur leicht nickte und dann seinen Fokus wieder auf mich legte. Auch Liz drehte sich wieder zu mir. Ich aber hielt meinen Blick auf Ronnie. Er dachte an etwas. "Und sie." Sagte er aus seiner Starre heraus, während er mit dem Kinn kurz zu mir zeigte. Liz entfuhr ein langes Atmen, dann nickte sie bestätigend. "Ja, anscheinend schon." Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als sich Ronnie aus der Schräge erhob. Für einen kurzen Moment wirkte er beinah bedrohlich auf mich und mir stellten sich die Nackenhaare auf. Doch der Sturm kam nicht. Er blieb ruhig und typisch konzentriert für ihn einfach stehen.
"Folgt da jetzt noch ne Erklärung oder wenigstens weitere Details? Oder is die Sache für euch jetzt einfach abgeschlossen und ihr beschäftigt euch gar nicht mehr damit, bis ihr ihn wieder seht und das ganze von vorne los geht?" Liz biss sich auf die Lippe. "Das ganze geht schon länger, als gut für ihn oder uns is, aber wir haben schon damals mit ihm gesprochen und er meinte es wäre ihm bewusst, dass ich zu Ronnie gehöre." Sie sah zu ihrem Mann und nahm dann meine Hand. "Aber er is nunmal Familie und wir werden uns selbstverständlich auch noch öfter sehen. Viel machen kann man da nicht." "Hattest du was mit ihm?" Die Frage entwich mir schneller, als ich sie zurück halten konnte. Doch Liz blieb ganz ruhig und schüttelte dann den Kopf. "Nein, nie. Er war nie mein Typ und außerdem ist er viel zu...." sie stockte. "Zu jung." Beendete ich ihre Gedanken. Sie nickte verlegen. "Witzig." Ich legte Wert darauf, dass sie die Ironie nicht überhörten. Ich sah auf meinen kalten Kaffee. "Ich denke ich sollte gehen." Sagte ich vorsichtig. Und auf einmal machten sich dann doch die altbekannten Magenschmerzen bei mir breit. "Nein, geh noch nicht." Sagte Ronnie ruhig. "Charlie, ich kenne Liz sehr gut. Warscheinlich besser als du und obwohl ich nicht weiß, was das hier is oder wo es hinführt, ich denke du brauchst dir da keine Sorgen zu machen, dass Chris oder sonst wer dazwischen funkt. Bei aller Liebe, aber sein Denken reicht nicht aus, um das überhaupt zu bemerken." Ihm entwich ein leichtes Lächeln und auch Liz' Mundwinkel zuckten. Ich nickte. "Vermutlich hast du da recht, aber es geht mir nicht nur darum, sondern auch, dass seine Blick mich ungemein an mich selbst erinnert haben und das hat mir mehr als Angst gemacht. Bei unserem Gespräch im Park damals warst du Derjenige, der meinte er hätte Angst davor, was ich tun würde, zu was ich fähig wäre, welche Grenzen ich überschreiten kann und wie wir alle 3 wissen...." ich sah zu Liz, deren Augen zu wissen schienen, auf was ich hinaus wollte. "...habe ich die wichtigste Schranke schon längst überschritten." Ich sah auf unsere Hände, die immer noch zusammen auf meinem Schoß lagen. "Du vergisst, dass da immer 2 beteiligt sind." Flüsterte sie und zu meiner Überraschung beugte sie sich vor und küsste mich sanft auf die Stirn. Wie ein elektrischer Schlag durchzog dieser Kuss meinen Körper. Ronnie kam langsam auf uns zu. Er ging um das Sofa und setzte sich sachte auf den Couchtisch. Seine Augen wanderten an Liz auf und ab und ihre Blicke sprachen die Worte aus, die sie in echt niemals sagen konnten. Die Energien die zwischen ihnen hin und her wanderten waren so rein und klar, dass es mir die Atmung verschlug und ich gebannt zu sah, wie sie wortlos argumentierten. Ich war verliebt in das 'Sein' mit ihr und himmelte den Mann an, der es schaffte mich immer wieder neu zu überraschen, der es zuließ das ich dieses 'Sein' mit ihr leben konnte. Ich war ihm unendlich dankbar. "Da sind wir ja mal wieder in eine schöne Geschichte reingeraten, mh Liz?" Er grinste und sie nickte verlegen. Dann sah er zu mir. "Nichtsdestotrotz ... wie stellt ihr 2 euch das vor? Ich meine für jetzt scheint es ja zu funktionieren, aber wie soll das später werden?" Ich verstand, auf was er hinaus wollte. "Ich nehme an, du wirst nicht für immer hier bleiben wollen." Ich blickte von ihm zu Liz und umgekehrt. Wir alle wussten, dass er recht hatte und nur das aussprach, was schon die ganze Zeit über ungesagt im Raum stand. Meine Pläne für die Zukunft würden mich definitiv von hier weg führen. Es war mir zwar immer bewusst, aber nie so klar wie jetzt, dass das Ende näher war, als ich es wahr haben wollte. Liz' Gesichtsausdruck hatte sich versteinert und sie schien mit sich selbst im inneren Konflikt zu sein, nicht fähig ihn in Worte zu fassen. Es folgte minutenlanges Schweigen, das nur von unseren Atmungen unterbrochen wurde. "Ich denke, du hast recht." Entfuhr es mir dann doch. "Meine Zukunft hat man immer mir überlassen. Meine Eltern waren nie Bestimmer, aber sie wollen auch, dass ich hier mal raus komme aus der Gegend und mal neue Eindrücke sammle und neue Menschen kennenlerne. Sie wissen beide, dass es manchmal schwer sein kann, jemanden zu finden, der ähnlich denkt, wie man selbst und das war auch immer ein Antrieb für mich meine 7 Sachen zu packen und weg zu fahren. Für längere Zeit, nicht nur fürs Wochenende." Liz' Finger waren noch immer mit den meinen verschränkt und sie begann sorgfältig mit den ihren über meine Handfläche zu streichen. "Ja, das haben wir nicht anders gemacht." Sagte sie leise und sah leicht schmunzelnd zu Ronnie. "Ich war vor dem Studium und auch danach viel unterwegs. Wir sind allgemein schon recht viel rumgekommen." Sagte er und erwiderte mit einem warmherzigen Lächeln meinen verzweifelten Blick. "Und studieren willst du ja auch, oder?" Fragte Liz und legte ihren Kopf leicht schief. "Ja." Jetzt musste ich lachen. "Und 3 mal darfst du raten, was." Sie zog belustigt ihre Augenbrauen nach oben. "Willst du dir das wirklich antun?" Ich zuckte mit den Schultern. "Ja, seit der 6. oder 7. Klasse." "Lehrer sein ist nichts für schwache Nerven, aber ich denke, das dir das bewusst ist." Bestätigte Ronnie Liz' Frage. Ich verdrehte überdeutlich die Augen, im Innersten froh, dass sich die Stimmung wieder aufgehellt hatte. "Jaja, aber lasst mich das entscheiden." "Natürlich." antwortete Liz und für den Bruchteil einer Sekunde wusste ich nicht, ob sie sich kurz zu mir beugen wollte, um mich zu küssen oder nicht. Im nächsten Moment sah Ronnie auf seine Armbanduhr und kräuselte den Mund. "Es ist gleich 7, ein Wunder, das die beiden nicht schon von oben runter gekommen sind, um was zu essen." "Die sind in ihre Musik und PC-Spiele vertieft, die haben bestimmt noch nicht mitbekommen, wie spät es ist." Witzelte Liz und obwohl wir alle wussten, dass wir dieses so wichtige Gespräch auf jeden Fall noch einmal führen mussten, erhoben wir uns von dem Sofa. "Ich denke ich werde dann mal nach Hause fahren." Sagte ich. "Also du kannst ruhig zum Essen bleiben, das is kein Problem." Sagte Liz, während sie den Kühlschrank öffnete. "Danke, aber ich werde zu Hause erwartet. Mama macht heute irgendwie was neues und das soll ich probieren." "Ok, dann ist es wohl so." Ich sah zu Ronnie, der neben mir stand und auf mich runter sah. Ich hatte auf einmal das Bedürfnis ihn zu umarmen und obwohl es mir allen Mut abverlangte, tat ich es einfach. Und zu meiner Überraschung ließ er es über sich ergehen und erwiderte sie auch noch. Seine starken Arme hielten mich sanft fest und für einen kurzen Augenblick versetzten seine Berührungen meinen Geist zurück in die Nacht mit Liz, in der er mich davor bewahrt hatte, die Treppe in meiner Trance herunter zu fallen. "Ich hab mich noch gar nicht fürs Auffangen bedankt." Flüsterte ich in sein Ohr und obwohl ich es nicht sehen konnte, wusste ich, dass er verständnisvoll nickte.

Liz begleitete mich zur Haustür. Ich nahm meinen Mantel vom Bügel und streifte ihn mir über. Sie beobachtete mich dabei, wie ich meinen Kragen im Garderobenspiegel richtete. "Ich mag deine Mäntel. Hab ich dir das schon mal gesagt?" Ich sah zu ihr. "Nein, hast du nicht, aber wenn du willst leih ich dir mal einen." Sie zuckte mit den Schultern als Antwort. "Wenn es sich mal ergibt, gerne." Ich sah sie an und war immer wieder davon überwältigt, wie schön diese Frau war. Ich musste aufpassen, mich nicht in ihren Augen zu verlieren. "Sehen wir uns Montag?" Fragte ich vorsichtig. "Ja, natürlich." Antwortete sie und legte sanft ihre Hand an meine Wange. Ich machte einen Schritt auf sie zu und unsere Lippen trafen sich in der Mitte. Ihr Kuss war warm und zart und löste alle schlechten Gefühle in Luft auf. Ich liebte sie wirklich und so, wie sie mich küsste, mich ansah, wenn sie dachte, ich würde es nicht bemerken und wie sie mich berührte, war ich fast schon überzeugt, dass sie genau so tief empfand. Wir lösten uns nach einigen Sekunden voneinander. Zurück blieb nur der Geschmack ihres Lippenbalsams und der Duft ihres Parfüms in meiner Nase. "Bis Montag, Charlie."sagte sie lächelnd und ich trat mit einem "Bis Montag, Lissi." aus dem Haus in den frühen, aber schon dunklen Novemberabend.

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