6.12

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„Das kann nicht dein Ernst sein?!"
Ich kann mich nicht mehr halten vor Lachen als ich Karls Gesichtsausdruck sehe. Gerade sieht er aus wie ein Kind, dem man erzählt hat, das Christkind gebe es nicht.
„Du hast noch nie Der kleine Lord gesehen?!" Mit vorwurfsvoller Miene blickt er Steffen an.
„Ist das denn so tragisch?" Etwas irritiert wandern seine Augen von Karl zu mir und wieder zurück.
„Ach, mach dir nichts draus. Deshalb treffen wir uns ja heute." Beruhige ich ihn und stelle den großen Teller mit selbstgebackenen Plätzchen auf dem Wohnzimmertisch ab.
Resigniert wendet sich Karl ab, legt die DVD ins Laufwerk und wartet darauf, dass der Player sie liest.
'Hört die Engelchöre' pfeifend betritt Max den Raum und stellt eine Kanne dampfenden Punsch auf den Tisch.
"Mhh, das riecht lecker!" Der Duft der Gewürze und die Aussicht auf einen gemütlichen Filmeabend mit meinen Freunden wecken eine ungemeine Freude in mir. Seit einigen Jahren treffen wir uns am Nikolausabend und sehen uns gemeinsam Weihnachtsklassiker an.
Die Türklingel läutet und mit einem Seufzen erhebe ich mich. Das müssten Felix und Till mit Lea und Melina sein. Mittlerweile gehören nicht nur die Jungs zu unserer Runde, sondern auch die Freundinnen. Nur Karl und ich kommen ohne Begleitung.
"Guten Abend, meine Damen und Herren." Mit diesen Worten öffne ich die Tür zur Wohnung, die ich mir mit Max' Freundin Joana teile, und trete mit einer leichten Verbeugung zur Seite, um sie hineinzulassen. Till lacht nur, Felix verbeugt sich ebenfalls, dann ziehe ich Lea und Melina in eine Umarmung. Sehr lange kennen wir uns noch nicht, doch wir verstehen uns blendend.
Ich will die Tür schon schließen, da höre ich Husten und schweres Atmen aus dem Stockwerk unterhalb. Einen Augenblick später sehe ich eine Person, die der Nase zwischen Mütze und Schal zu urteilen sehr nach Madita aussieht.
"Hi Madita. Ist es kalt draußen?" grinse ich und bitte sie in meine Wohnung. Sie und Steffen sind zwar noch nicht lange ein Paar, allerdings war sie wie ich schon in jungen Jahren Teil des Freundeskreises. Wir stehen uns nahe, weshalb ich mich noch mehr freue, sie heute abend hier zu haben.
Vorsorglich hole ich ihr ein paar Stricksocken, nachdem sie sich Jacke, Mütze und Schuhen entledigt hat. Sie sieht aus, als könnte sie die gebrauchen. Steffen hat ihre Stimme schon gehört und kommt auf den Flur.
"Na Schatz. Was war heute morgen in deinem Stiefel?" grinst sie und gibt ihm einen kurzen Kuss.
"Zwei Mandarinen und ein paar Weihnachtssocken mit Rudolf drauf." lacht Steffen und fährt sich durch die Haare. "Sag mal, hast du Der kleine Lord schon gesehen?" lenkt er das Thema auf den heutigen Film, wohl in der Hoffnung eine Gleichgesinnte zu finden, doch Maditas Augen beginnen zu leuchten. Sie kennt den Film.
"Klar kenne ich den! Der gehört einfach zu Weihnachten dazu."
Steffen entfährt ein Seufzen. Joana ist jetzt also seine einzige Hoffnung auf eine ebenfalls Ahnungslose.
"Du etwa nicht?" Ihr Blick ist mindestens genauso fassungslos wie Karls gerade eben. Bei diesem Gedanken kann ich nur lachen.
Mit einem genuschelten "Egal" winkt Steffen ab und wir gehen ins Wohnzimmer.
Mit einem Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass meine Mitbewohnerin jeden Moment kommen sollte. Ich habe den Gedanken noch nicht fertig Gedacht, da knackt schon das Schloss und man hört, wie sich der Schlüssel dreht.
"Joana!" In Steffens Blick liegt Hoffnung. "Bitte sag, du kennst den Film nicht, den wir heute Abend anschauen!"
"Jetzt lass mich doch erstmal heimkommen." Lacht die Brünette und hängt ihren Mantel auf einen Kleiderbügel. "Aber ich glaube, ich muss dich enttäuschen. Ich kenne Der kleine Lord seit ich denken kann."
In Steffens Gesicht sieht man nur noch bloße Verzweiflung.
"Ach komm. Der Film ist super und wir schauen ihn ja jetzt an." versuche ich ihn erneut zu beruhigen, schiebe ihn ins Wohnzimmer und drücke ihn auf die Couch.
Joana schaltet das Licht aus, sodass nur noch die Lichterketten und der Startbildschirm des Films den Raum erhellen. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht lasse ich mich neben die anderen auf dir Couch fallen und Karl startet den Film ehe er sich neben mich setzt und ich mich an ihn anlehne.
Das wird ein toller Abend!

adventsKARLender 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt