21.12

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das ist die fortsetzung zum kapitel vom 10.12.2017
wenn ihr es nicht kennt oder nicht mehr wisst, um was es ging, lest es euch am besten noch einmal durch
grüße
karla

Wir sitzen in einem Café in der Innenstadt. Schweigend nippe ich an meinem Kaffee, Karl sitzt mir gegenüber und sieht mir dabei zu. Die Stille ist bedrückend und einengend, zugleich aber auch angenehm und geborgen.
„Zwei Jahre" seufze ich.
„Zwei Jahre" wiederholt er.
„Es kommt mir vor wie gestern. Es sind doch nie und nimmer zwei Jahre. Es darf nicht sein." Mir steigen die Tränen in die Augen, doch ich blinzle sie weg.
„Ihr geht es besser dort wo sie ist." Es ist eine Feststellung, kein Fünkchen Zweifel ist in seiner Stimme. Ich nicke, versuche es zu begreifen, doch es schmerzt noch immer.
Wenn man jemanden verliert, der einem so viel bedeutet hat, fällt der Gedanke auch nach zwei Jahren noch nicht leicht. Mit ihr ist auch meine Kindheit gestorben.
Seitdem bin ich umgezogen, habe begonnen zu studieren und schlage mich durch das Leben als Erwachsene.
Keine Erdbeer-Himbeer-Marmelade mehr, keine beklebten Papiertüten mehr, keine Postkarten ohne Anlass mehr.
Nie wieder wird es so sein wie früher.
Nie wieder wird es so sein wie zu der Zeit als sie noch lebte.
Meine Hände umschließen die Tasse, mein Blick schweift zu Karl, dessen braune Augen mich ruhig ansehen. „Ich vermisse sie auch" flüstert er. Ich nicke nur, kann nichts sagen. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und ich schlucke.
Wieder nippe ich an meinem Kaffee. Langsam leert sich die Tasse.
Einige Minuten vergehen, während derer wir uns anschweigen. Mit einem Zug trinke ich den letzten Schluck Kaffee und nicke. Wir legen das Geld für unsere Getränke auf den Tisch und verlassen das Café. Die kalte Luft schlägt uns entgegen und ich ziehe instinktiv den dicken Schal in mein Gesicht und die Mütze tiefer in die Stirn. Der Wind brennt auf der Haut.
Mit der Bahn fahren wir an den Stadtrand. Das letzte Stück den Hügel nach oben laufen wir an vereinzelten Häusern vorbei, das Laub im angrenzenden Wald ist von Tau besetzt, den die Sonne noch nicht erreicht hat. Es ist friedlich und ruhig, fast schon beunruhigend.
Wir überqueren den Parkplatz, kurz vor dem Eingang bleibe ich stehen und atme tief ein.
Karl nimmt meine Hand und wir gehen durch das schwere Tor auf den Friedhof. Ihr Grab ist auf einer Anhöhe. Ein Platz, den sie sich selbst auch so ausgesucht hätte. Wenn sie noch leben würde, hätte sie sich hergesetzt und den Ausblick genossen.
Sie lebt aber nicht mehr.
Mittlerweile schmückt ein Grabstein das von Steinplatten umgebene Stückchen Erde. Mehrere Meter darunter liegt sie. Aber es ist nur ihr Körper, eigentlich ist sie irgendwo da draußen und genießt die Welt, wie sie es schon zu Lebzeiten getan hat.
Die klare, kantige Schrift im dunklen, schmalen Stein lässt es wieder so surreal wirken.
Dort steht es, eingraviert in ein Stück Gestein, das schon länger auf dieser Erde weilt als ich es mir vorzustellen vermag.

Erika
20.09.2017

Ich muss schlucken. Es ist wie der Tritt ans Schienbein, das Salz in der Wunde, die Faust in der Magengrube. Ein OneWayTicket ins Himmelreich.
Ich spüre Karls warme Hand an meiner. Unsere Finger verschränken sich, er gibt mir den Halt, den ich gerade so sehr brauche. „Danke" sage ich fast lautlos.
Auch für Karl war sie wie eine Oma. Immer war sie für uns da, sonntags saßen wir oft bei ihr, aßen Kekse und hörten Geschichten. Im Herbst halfen wir ihr im Garten, im Weinberg und auf dem Feld. Danach gab es immer Butterbrezeln und ein kleines Eis.
Doch das ist nicht mehr.
Keine Geschichten und Kekse am Sonntag, keine Nachmittage im Garten, im Weinberg oder auf dem Feld mehr mit Butterbrezeln und Eis.
Ich werde die Zeit nie vergessen, sie war so unbeschwert und sorglos.
Ich werde sie nicht vergessen, denn sie war die Heldin meiner Kindheit.
Karl ist der Einzige, der mir aus dieser Zeit bleibt.

adventsKARLender 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt