18.12

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Mit einer Tasse heißer Schokolade stehe ich vor dem Fenster und sehe dem Regen zu. Keine Schneeflocke hatte bisher ihren Weg auf Chemnitz' Boden gefunden und das Kind in mir ist von Tag zu Tag frustrierter von dieser Tatsache. Eigentlich wollten Karl und ich heute in die Innenstadt auf den Weihnachtsmarkt, aber irgendwie ist mir die Lust beim Anblick des Wetters vergangen.
Noch dazu waren die letzten Tage auf der Arbeit zunehmend anstrengender: Das Weihnachtsgeschäft, der Jahresabschluss, meine To-Do-Liste verlängerte sich sozusagen von selbst.
„Hanna, worüber denkst du schon wieder nach?" raunte Karl in mein Ohr, schlang seine Arme von hinten um mich und legte sein Kinn auf meiner Schulter ab. „Darüber, dass ich bei diesem Wetter ganz sicher keinen Fuß vor die Tür setzen werde!" sage ich und drehe mich um. Meine Arme verschränken sich wie von selbst in seinem Nacken.
„Nicht? Regen ist doch nur eine unförmige Schneeflocke, oder?" Seine Lippen verzogen sich zu einem verschmitzten Grinsen. Ich lache: „ Du bist so ein Depp, weißt du das?"
„Ja und ich bin's gern." Mit diesen Worten legt er seine Lippen auf meine. Es ist ein zärtlicher Kuss und ich bin immer wieder überrascht, wie romantisch und lieb er sein kann. Wir sind noch nicht lange zusammen, erst seit acht Monaten, und verbringen somit unser erstes gemeinsames Weihnachten.

Als ich ihn kennengelernt habe, war sein Blick grimmig, ich hätte ihn nie angesprochen. Dass er wenige Minuten später auch noch Till, einen meiner Kletterfreunde, anmotzte, er solle sich gefälligst einmal nicht wie ein kleines Kind aufführen, verbesserte meinen Eindruck nicht. Unbeeindruckt kasperte Till weiter herum, bis Karl endgültig die Geduld verlor und das Wohnzimmer verlies. „Auf, lass uns eine quarzen gehen!" forderte Till mich auf und wir begaben uns auf den Balkon. Es war meine letzte Zigarette, die Till mir mit seinem Feuerzeug ansteckte. „Fuck!" stieß Till zwischen zwei Zügen aus. „Ich hab voll verpennt, meinen Vater anzurufen!" Schneller als ich schauen konnte war er in der Wohnung verschwunden. Mir entfuhr ein Lachen; „So ein Dummkopf."
„Das kannst du laut sagen." Hörte ich es hinter mir und einen Augenblick später stand Karl mit einer Zigarette in der Hand ans Balkongeländer gelehnt neben mir. „Du kennst Till vom Klettern?"
Ich nicke.
Allein die Autos auf der Straße unter uns störten die Stille zwischen uns.
Seine braunen Augen sahen in meine, dann schweifte sein Blick meinen Körper hinunter, dann wieder in meine Augen. Ich wusste, dass ich nicht dem Ideal entsprach: Klein, gedrungen, meine straßenköterblonden Haare in einem unordentlichen Dutt, mein Pony fiel mir zerzaust ins Gesicht.
Meine Zigarette war ausgebrannt, ich trat sie auf dem Balkonboden aus und kickte sie hinunter auf die Straße. Ein letztes Mal sah ich Karl an, dann ging ich wieder in die Wohnung, verabschiedete mich von Till, der gerade mit seinem Vater telefonierte, und ging nachhause.

Langsam löst Karl sich von mir, geht einen Schritt zurück und startet mit einem Knopfdruck die Musikanlage. ‚Je ne parle pas français' ertönt aus den Boxen und ich beginne zu lachen: „Wir hassen es beide, du weißt das!" Karl grinst, zieht mich zu sich und fasst mit seiner rechten Hand an meine Hüfte, seine linke hält meine rechte Hand. Ich verstehe, lege meinen linken Arm auf seinen und er beginnt mich zu führen. Zu lange ist es her, dass wir beide zum Tanzen ausgegangen sind und ich kann von Glück sprechen, dass ich noch mehr als nur Grundschritt und Damensolo der Rumba tanzen kann. Mit Karl zu tanzen ist einfach wunderschön, es ist wie ein Gespräch ohne Worte, doch wir verstehen uns. Als das Lied endet küsse ich ihn, doch das nächste Lied unterbricht uns und wir fahren in unserem Tanz fort. Zu ‚Piano man' von Billy Joel beginnen wir Wiener Walzer zu tanzen und ich fühle mich wie noch zu meiner Zeit in der Tanzschule vor mehr als zehn Jahren. Damals war es noch cool tanzen zu gehen und meine Freundinnen und ich tanzten gemeinsam im Kurs und auf Partys, die unsere Tanzschule zweiwöchig veranstaltete. Das waren noch Zeiten!
Doch jetzt und hier mit Karl zu tanzen, mit Karl, meinem Freund, war so viel schöner.
Aus Rumba und Wiener Walzer werden Foxtrott, DiscoFox und ChaChaCha, die Zeit verfliegt, denn als wir unseren Boogie zu ‚Jingle Bells Rock' beenden ist es viertel nach sieben. Es klingelt an der Tür und als wir öffnen, stehen Felix, Till, Max und Steffen samt Max' und Steffens Freundin vor der Tür.
„Wir haben gehört, ihr wolltet auf den Weihnachtsmarkt?" sagt Felix grinsend.
Karl lacht: „ Das wollten wir, aber wir haben uns wohl im Tanzen vertieft." Ich fahre mir durch die Haare und sehe die sechs verlegen an. Till sieht in die Runde und grinst. „Ich glaube, ich weiß, was wir machen." Und mit diesen Worten betritt er die Wohnung, entledigt sich Schuhen, Jacke und Mütze und fordert mich zum Tanz auf, da gerade ‚Hedwigs Theme' im Hintergrund zu spielen beginnt. Ich kann nicht anders als zu grinsen und auch die anderen folgen Till in die Wohnung.
Es war einer der schönsten Abende seit Langem und für ein paar Stunden konnte ich den Stress auf der Arbeit und die Gedanken um die noch zu besorgenden Geschenke vergessen.

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