24.12

47 0 0
                                    

sorry für die verspätung, ich bin im moment im urlaub und hab es deshalb komplett verpeilt.
euch noch ein wunderschönes weihnachtsfest, genießt die zeit und habt einen guten start ins neue jahr!
grüße
karla

Mit zweifelndem Blick sehe ich in den Spiegel. Den Bademantel habe ich fest zugebunden, die Haare liegen in einem Turban auf meinem Kopf. Vorsichtig berühre ich die roten Stellen und Pickel, die mein Gesicht zieren. Gerade heute, wo ich das erste Mal mit der Familie meines Freundes das Weihnachtsfest verbringe, meint meine Haut, ein wenig Abwechslung in meinem recht klaren Hautbild wäre angebracht. Ich seufze. Dann eben ein wenig mehr Make-Up.
Ein letzter Blick in den Spiegel, dann verlasse ich das Bad auf direktem Weg ins Schlafzimmer, in dem ich vor dem Kleiderschrank innehalte. Oft genug habe ich mir in den letzten Tagen den Kopf darüber zerbrochen, was ich an diesem Abend anziehen möchte, aber jetzt scheint mir nichts gut genug.
Vor fast einem Jahr habe ich Karls Eltern kennengelernt und wir haben sie seither auch einige Male besucht, allerdings finden wir aufgrund unserer unterschiedlichen Arbeitszeiten kaum noch einen freien Nachmittag um den persönlichen Kontakt zu Familie und Freunden zu pflegen. Aus diesem Grund habe ich, sagen wir mal, einen gewissen Respekt vor der Situation, die am heutigen Abend auf mich wartet. Weder kenne ich ihre Traditionen am Heiligen Abend, noch weiß ich, was dabei von mir erwartet wird.
Was wenn ich hier ein Drama um etwas total Unwichtiges mache?
Durch diesen Gedanken kann ich mich wieder auf das Wesentliche besinnen. Tief atme ich ein und aus, dann schiebe ich die Schranktür auf und betrachte meine Hälfte des Kleiderschranks. Im Augenwinkel sehe ich den etwas ausgearteten Stapel meiner Rollkragenpullover und ziehe prompt das weinrote Exemplar unter einigen anderen heraus. Damit kann ich nicht viel falsch machen. Aber was dazu?
Ich fühle mich wie die stereotype Frau, irgendwie will nichts zu dem schlichten Kleidungsstück in meiner Hand passen. Mein Schrank ist voller Kleider, doch ich habe nichts zum Anziehen. Eine Katastrophe.
Skeptisch begutachte ich den gerade geschnittenen schwarzen Rock, der an der Kleiderstange oberhalb der Schubladen hängt. Ob der wohl damit gut aussieht? Mit zusammengezogenen Brauen halte ich die Kleidungsstücke aneinander. Doch, das sollte passen.
Nicht ganz überzeugt von meiner Auswahl krame ich noch eine schwarze Nylonstrumpfhose aus der letzten Ecke einer Schublade. Dabei bleibt mein Blick an einem paar Strümpfen hängen. Overknees. Man kann's ja mal probieren, denke ich.
Kurze Zeit später verschwinde ich wieder – diesmal umgezogen- im Badezimmer.
Normalerweise brauche ich nicht lange um meine Haare mit dem Lockenstab zu bändigen, aber heute scheint es wie verhext. Zuerst ist der Hitzeschutz leer, dann verbrenne ich mir den Zeigefinger und zum krönenden Abschluss bleiben die Locken nicht so in der Form, wie ich es gern hätte. Seufzend kapituliere ich im Krieg gegen meine Haarpracht und widme mich dem Make-Up. Etwas schicker als sonst, aber dezent soll es sein.
Foundation, Concealer, Puder, Kontur, Highlight; ich fahre alle Geschütze auf um meine gerötete Visage ansehnlicher zu machen und bin nach Augenbrauen, Lidschatten und Mascara einigermaßen zufrieden mit dem Ergebnis.
Der Blick in den bodentiefen Spiegel im Flur ist ernüchtern. Ich sehe nicht einmal ansatzweise so aus, wie ich es mir gewünscht hätte.
Was, wenn die anderen viel schicker angezogen sind als ich?
Was, wenn mein Make-Up verwischt oder meine Haare zerzausen?
Die Zweifel nagen endlos an mir und ich würde am liebsten nur noch ins Bett liegen und nichts mehr tun. Das ist mir schon genug Stress für heute. Und der Tag hat noch gar nicht richtig angefangen!
Ganz in Gedanken bemerke ich nicht, wie sich Karl in Jeans und Sakko ebenfalls vor den Spiegel stellt. „Denk nicht so viel. Ich kann förmlich sehen, was dadrin vorgeht." Mit dem Zeigefinger tippt er auf meine Schläfe, dann dreht er mich zu ihm.
„Das ist genau richtig, Schatz. Meine Eltern sind keine Spießer und auch keine von der Jogginghosenfraktion, du brauchst dir keine Sorgen zu machen."
Ich bin dankbar für seine Worte. Er weiß einfach genau, was in mir vorgeht.
„Und du bist genau richtig." Fügt er hinzu und beugt sich zu mir hinunter. „Du bist die schönste Frau der Welt. Und ganz allein meine." Ich lächle in unseren Kuss hinein.
„Wir sollten uns so langsam auf den Weg machen." Vorsichtig drücke ich ihn von mir und deute auf die Uhr an meinem Handgelenk. Er nickt und holt noch schnell Portmonaie und Schlüssel von der Kommode. Auch ich prüfe den Inhalt meiner Tasche, bevor ich meinen Mantel und einen dicken Schal anziehe. Karl greift ebenfalls zu seiner Jacke und wir verlassen die Wohnung.

-

Eineder wenigen Sitten der Schumanns, die ich bisher kenne, ist die desKirchengangs am Heiligen Abend. Als wir die Kirche betreten, stehen KarlsEltern schon mit seinem Bruder und dessen Frau im Eingangsbereich undunterhalten sich. Gloria, Karls Mutter, entdeckt uns zuerst und begrüßt unsjeweils mit einer herzlichen Umarmung. „Hallo Karl, hallo Esther." Sie strahltund freut sich sichtlich, das Fest mit ihrem Sohn feiern zu dürfen. „Esther,ich freue mich sehr, dass du uns mit deiner Anwesenheit heute Abend beschenkst."Ihr Lächeln ist aufrichtig und ich spüre, dass sie meint, was sie sagt. AuchKarls Vater Georg begrüßt uns, hält sich durch einen festen Händedruck aberetwas distanzierter. Trotz dessen hat er ein verschmitztes Lächeln auf denLippen. „Eine sehr feine Dame! Guten Abend Esther."
Wir nehmen gemeinsam in einer der Bankreihen Platz. Kurz darauf wird das Lichtgelöscht, allein der Kerzenschein hüllt die hohe Kirche in ein warmes Licht.
Der Pfarrer tritt nach vorn und spricht die Worte der Engel: „Fürchtet euchnicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in derStadt Davids."
Meine Sorge von vorhin ist wie weggefegt, die Zweifel waren nicht nötig.
Hier achtet man auf vieles, aber zuerst auf das Herz.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 24, 2019 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

adventsKARLender 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt