Neunter Dezember

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Lily hatte absolut keine Ahnung, wie sie auf die Idee gekommen war, James auf die Stirn zu küssen. Aber sie lächelte vor sich hin, als sie in der Bibliothek über ihren Hausaufgaben saß und kleine Smileys und Herzchen auf ihr Pergament malte. 

James war immer noch derselbe Trottel - aber jetzt kannte sie ihn besser. Er brachte sie öfter zum Lachen, als sie sich eingestehen wollte, aber er war gleichzeitig auch viel fürsorglicher und sanfter, als sie ihm je zugetraut hätte. 

Eigentlich war ja Severus daran schuld. Lily gluckste und malte noch ein Herzchen. Aber es stimmte: Wenn Severus nicht so gemein zu ihr gewesen wäre, hätte sie nie die Freundschaft beendet, hätte sie nie James nach dem Weihnachtsball gefragt und sie hätte auch nie an diesem Nachmittag an seinem Bett gesessen. Beim Gedanken daran, sich von ihm umarmen zu lassen, hätte sie angeekelt das Gesicht verzogen und sich an die Stirn getippt. Lily lächelte. Das Pergament war inzwischen nicht mehr als  Hausaufgabe zu gebrauchen, also stopfte sie es in ihre Tasche und nahm ein neues hervor. 

Aber an Konzentration war nicht zu denken. James war ihr zwar unvertrauter, aber im Bezug auf ihre aktuellen Sorgen irgendwie doch lieber als Marlene, Alice oder Mary. Er versuchte nicht, ihr ihre Wut und Tränen auszureden, er versuchte nicht, ihr einzureden, dass Petunia und Severus ihre Traurigkeit nicht wert waren - James nahm sie einfach in den Arm und teilte ihr Leid, selbst wenn er es nicht verstand.

Den ganzen restlichen Abend war Lily gut gelaunt und summte vor sich hin. Sie war sich bewusst, dass sie eine tiefe Zuneigung zu James entwickelte, dem Jungen, den sie bis vor wenigen Wochen so verabscheut hatte. Dann war er langsam erträglicher geworden und jetzt ... nun ja. 

Trotzdem war sie der Überzeugung, dass sie sich so schnell nicht in James' Potter verlieben würde. Dafür waren ihr seine Nervigkeit und Aufdringlichkeit der letzten zwei Jahre noch zu sehr im Gedächtnis.

•••••••••

James schlief bis Sonntag Mittag durch. Als er aufwachte, ging es ihm besser, viel besser sogar, aber Madam Pomfrey bestand darauf, ihn noch zwei Tage im Krankenflügel zu behalten. Er langweilte sich also, aß Süßigkeiten und ließ sich von seinen Freunden alles erzählen, was er nicht mitbekam.

"Lily ist unglaublich gut drauf, seit sie dich besucht hat", berichtete Marlene und blickte ihn skeptisch an. "Was hast du angestellt? Seit im November dieser ekelerregende Brief von ihrer Schwester hier eingetrudelt ist, war sie nicht mehr so gut gelaunt." 

James zuckte mit den Schultern und grinste seine beste Freundin an. "Wir haben uns unterhalten", antwortete er kryptisch, um Marlene zu ärgern. Sie verdrehte die Augen.

"Geht es ein bisschen konkreter?"

"Wenn ich es dir erzählen dürfte, warum weißt du es dann noch nicht?", fragte James zurück. "Es ist über vierundzwanzig Stunden her, dass Lily mich besucht hat. Wenn sie wollen würde, dass ihr es wisst, hätte sie euch längst davon erzählt." Marlene machte große, bittende Augen und sah ihn traurig an.

"Vergiss es", sagte James nur. "Du siehst ja schon aus wie Sirius." Marlene wurde knallrot und er sah sie prüfend an.

"Was hab ich verpasst?", fragte er langsam. Sie versteckte ihr Gesicht hinter ihren Händen. "Marlene McKinnon", sagte James breit grinsend, "Hast du dich etwa der Unmöglichkeit widersetzt und dich in Sirius Black verliebt?" Marlene schüttelte den Kopf, aber ihre leuchtenden Augen und die Röte in ihren Wangen, als sie James wieder ansah, straften sie Lügen. Er lachte.

Das Experiment | Ein Jily-AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt