Dreiundzwanzigster Dezember

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Morgen, Kinder, wird's was geben, morgen werden wir uns freu'n ...
Nicht wundern. Dieses Türchen ist kurz, weil ich grad irgendwie voll unkreativ bin.


Es störte Lily immer noch, dass sie nicht zu Hause war. Natürlich freute sie sich auf die Zeit mit ihren Freunden und mit James und auch auf den Weihnachtsball, aber trotz des ganzen Dramas vermisste sie ihre Eltern und Petunia ...

"Hey, jetzt hör endlich auf, an deine Schwester zu denken", sagte Mary streng. "Du verdirbst dir nur Weihnachten, wenn du so traurig bist."

Lily hob den Blick von ihrem Frühstück und lächelte ihre Freundin an. "Wahrscheinlich hast du recht", räumte sie ein. "Aber es ist so ungewohnt, aufzustehen und nicht mit allen anderen zum Bahnhof zu fahren."

"Das war es letztes Jahr für mich auch", meldete Alice sich zu Wort, die gerade ihre Schüssel mit Cornflakes überfüllte. "Oh, verdammt." Mit einem Schwung ihres Zauberstabs beförderte sie die Cornflakes, die sich auf dem Tisch verteilt hatten, wieder in die Dose zurück.

"Vergiss doch Petunia", sagte Marlene. "Gute Nachricht: Snape ist mit Gepäck gesehen worden. Er reist über Weihnachten nach Hause!" Lily war überrascht, dass sie sich darüber freute.

"Snapefreie Zeit!", rief Alice und reckte eine Faust in die Luft. 

"Schrei noch lauter, Sluggy hat's noch nicht gehört", kommentierte Mary lachend. 

"Sag mal, Alice", wechselte Marlene plötzlich das Thema, "du hast uns noch gar nicht verraten, mit wem du morgen zum Ball gehst!" Alice wurde rot.

"Gehst du mit Frank?", fragte Lily grinsend. 

"Alice, du schuldest uns eine Antwort, wir sind deine besten Freundinnen!", empörte sich Mary, als Alice nicht antwortete.

"Ich wette, es ist Frank", spekulierte Marlene. "Ihr beiden seid unfassbar süß."

"Wir sind nicht süß!", protestierte Alice.

"Und das hat dich jetzt verraten", folgerte Lily. Widerwillig nickte Alice, immer noch tiefrot im Gesicht.

"Ich wusste, da wird was draus!", triumphierte Marlene.

"Noch sind wir nicht zusammen", widersprach Alice.

"Ja, noch", warf Mary ein. "Kann aber nicht mehr lange dauern."

Das Gespräch drehte sich noch eine ganze Weile um Alice und ihren potentiellen Freund und Lily war froh, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Das hatte sie in letzter Zeit viel zu oft getan. Als sie für einen Moment den Blick über die anderen Schüler schweifen ließ, sah sie James, der am anderen Ende der Tafel bei seinen Freunden saß und lachte. Eine Sekunde lang hob auch er den Kopf, ihre Blicke begegneten sich und sofort breitete sich ein strahlendes Lächeln auf seinen Lippen aus, das Lily nur erwidern konnte. Die Zeit wurde langsamer und alles um sie herum verschwamm, nur dieser Blick und dieses Lächeln zählten. Lily schwor sich, dieses Lächeln nie zu vergessen.

Dann war der Moment vorüber und Lily wandte sich wieder ihren Freundinnen zu, die immer noch über Alice und Frank philosophierten, ohne dass Erstere etwas dazu sagte.

Am frühen Abend ging Lily allein hinauf zum Astronomieturm und ließ sich vom kalten Wind durchpusten. Sie liebte es hier oben. Niemand störte sie, niemand sah sie seltsam an, wenn sie ihre Gedanken zwischendurch laut aussprach, niemand unterbrach sie oder befahl ihr, nicht weiter über etwas nachzudenken. Denn in Gedanken war sie immer noch bei Petunia und ihren Eltern - bestimmt waren ihre Eltern gerade im Ligusterweg Nummer vier angekommen und alle umarmten sich herzlich. Nicht alle. Das Walross stand wahrscheinlich ziemlich steif daneben und schüttelte seinen Schwiegereltern nur die Hand. Lily mochte ihn nicht. Hatte ihn noch nie gemocht, würde ihn nie mögen. Was fand Petunia bloß an ihm? Er war so ein Widerling - aalglatt, humorlos, steif, langweilig. Und, genau wie Petunia, der Ansicht, dass erstrebenswert sei, so "normal" wie möglich zu sein, also mit allem, was nicht seinen beengten Standards entsprach, erst gar keinen Kontakt einzugehen.

"Oh, du auch hier", unterbrach nun doch jemand ihre Gedanken. Aber dieser Jemand störte Lily nicht, sondern zauberte stattdessen ein Lächeln in ihr Gesicht.

"Wie du siehst", sagte sie und wandte sich von der Aussicht auf die Ländereien ab, um James anzusehen.

"Ich komme immer her, wenn ich mal rausmuss, von allen Leuten weg", sagte er und lehnte sich neben sie ans Geländer. "Aber bei der Kälte bin ich eigentlich eher drinnen."

Lily grinste. "Was bestätigt, dass Frauen resistenter sind als Männer, da ich ja auch im Winter immer hier oben bin", stichelte sie. James klappte der Mund auf und er suchte nach einem Konter.

"Na, keine scharfe Antwort parat?", ärgerte Lily ihn weiter.

"Du!" Er piekte sie ihn die Seite und mit einem Quietschen sprang sie einen Schritt von ihm weg.

"Evans, du bist doch nicht etwa kitzelig?", fragte James lachend. Lily floh, ebenfalls lachend, die Treppe hinunter und nach drinnen, aber er holte sie ein und begann, sie gnadenlos durchzukitzeln. Japsend und kichernd wand Lily sich hin und her, kam aber nicht los - James war zu stark. Sie stießen gegen die Wand und waren sich plötzlich ganz nah. Und er küsste sie einfach, mit einer Leidenschaft, die sie bei ihm bisher noch nicht erlebt hatte. Seine Hände lagen noch auf ihrer Taille und zogen sie näher an ihn heran und Lily schlang ihre Arme um seinen Hals.

"Oh Merlin, was sind wir kitschig", flüsterte sie atemlos, als ihre Lippen sich voneinander lösten. 

"Und wie", pflichtete James ihr bei. "Hab ich aber nichts gegen." Noch lange hielt er sie fest in seinen Armen und Lily spürte seinen schnellen Herzschlag an ihrer Brust. Ihr Herz raste genauso.

"Ich würde dich am liebsten nicht mehr loslassen", murmelte James irgendwann in ihre Haare. "Aber ich hab Hunger."

Lily lachte und ließ ihn los. "Dann gehen wir zum Abendessen?", fragte sie. 

James nickte. "Das war mein indirekter Vorschlag."

Später am Abend stand Lily, bereits im Schlafanzug, vor ihrem Schrank und betrachtete ihr Kleid für den morgigen Ball. Der dunkelblaue Stoff floss wie Wasser durch ihre Hände, als sie es berührte. Vor knapp einem Monat hatte sie beim Gedanken an diesen Ball noch die Augen verdreht und überhaupt keine Lust gehabt. 

Jetzt war sie der Überzeugung, dass er großartig werden würde.

Das Experiment | Ein Jily-AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt