Zweiter Dezember

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Im Nachhinein ärgerte Lily sich tierisch über ihre Entscheidung, mit Potter zum Weihnachtsball gehen zu wollen. Im Nachhinein - also einen Tag später, denn James wurde noch viel aufdringlicher als vorher, bis Lily am Abend der Kragen platzte.

"Hör zu, Potter", sagte sie mühsam beherrscht und versuchte, ihn nicht anzubrüllen. "Ich kann und werde nicht mit dir zu diesem Ball gehen, wenn du dich so verhältst. Merkst du überhaupt, wie sehr du nervst? Du rennst mir schon den ganzen Tag hinterher, allein das fühlt sich schon an, als würde ich verfolgt werden. Du fragst mich alle paar Minuten, ob ich mit dir ausgehe, und kannst ein einfaches 'Nein' nicht akzeptieren. Wann hörst du endlich auf, dich wie ein kleines Kind zu verhalten?" Jetzt war ihre Stimme doch laut geworden und ein paar Schüler sahen zu ihnen hinüber. James starrte betreten auf seine Schuhe. 

"Es tut mir leid, Lily", murmelte er. "Es ist nur so ... ich habe mich so gefreut, dass du wirklich mit mir zum Ball gehen willst, und da dachte ich - na ja, ich dachte ..." 

Lily verdrehte die Augen. "Und da dachtest du, ich würde vielleicht vorher noch mit dir auf ein Date gehen wollen? Oder zwei oder fünf oder zwanzig?" James sagte nichts. "James, ich kann mich auf so etwas nicht einlassen, wenn du so aufdringlich bist. Benimm dich einfach ganz normal, okay? Verhalte dich mir gegenüber einfach wie bei deinen Freunden. Du bist mit Marlene befreundet, und da sie meine beste Freundin ist, kann es für dich nicht so schwer sein, auch mit mir wie mit einer Freundin umzugehen. Vielleicht können wir dann irgendwann Freunde sein." 

James hob endlich den Kopf und sah sie an. "Du bist nicht Marlene, Lily. Du bist ... nun ja, du bist Lily. Aber ich verstehe schon, was du meinst. Ich ... ich werd's versuchen", sagte er und versuchte ein kurzes Lächeln, dann drehte er sich um und ging langsam wieder zu seinen Freunden. Lily sah irritiert zu Mary und Marlene.

"Hab ich was falsch gemacht?", fragte sie. 

Marlene seufzte. "Schätzchen, du bist gerade zum Klischee geworden", sagte sie.

"Was? Wieso?" Lily nahm sich eine Scheibe Brot und Käse. 

"Das war wie 'lass uns Freunde bleiben'", erklärte Mary Marlenes Aussage. "So etwas signalisiert, dass er sich keine Hoffnungen machen soll. Er hat das jetzt so verstanden, dass du ihn maximal als einen Freund siehst und das aus euch nie mehr als das werden kann." 

Lily zuckte mit den Schultern. "Das will ich doch auch gar nicht", sagte sie. "Ich sehe dieses 'Date', wie ihr es nennt, als reines Experiment an."

"In Bezug worauf?", fragte Marlene und schob sich eine Gabel voll Salat in den Mund.

"In Bezug auf Severus", antwortete Lily und ignorierte, dass ihre Freundinnen die Augen verdrehten. "Ich will nur sehen, wie er reagiert, wenn er mich und Potter zusammen bei diesem Ball sieht." 

"Und um zu sehen, ob er deine Zuneigung nicht doch wert ist", ergänzte Mary scharf. "Das ist es doch, was du uns verschweigst. Lil, der Kerl ist ein Arschloch. Er ist es nicht wert." Marlene nickte heftig. 

"Falls es um Snape geht: Ihr habt meine volle Zustimmung, ohne dass ich genau weiß, was das Thema ist", meinte Alice und ließ sich neben Lily fallen. "Oh Mann, hab ich Hunger. Arithmantik ist echt Energieverschwendung." 

Lily sah sie an. "Gestern hast du noch behauptet, es sei dein Lieblingsfach", sagte sie. Alice nickte und stopfte sich ein Stück Kürbispastete in den Mund. 

"Lenk sie nicht vom Thema ab, Al", sagte Mary streng. "Unsere liebe Miss Evans hier hat gerade 'lass uns Freunde bleiben' auf James angewandt und jetzt ... na ja, guck mal nach rechts." Lily wandte ebenfalls den Kopf und sah, dass James vor seinem unberührten Teller saß und das Gesicht in den Händen vergraben hatte. Remus hatte ihm tröstend einen Arm um die Schultern gelegt und warf Lily einen vorwurfsvollen Blick zu, als er merkte, dass sie zu ihnen hinüber sah.

"Oh Lily, was hast du angestellt", seufzte Alice. 

"Ich verstehe es nicht", sagte Lily. "Was soll daran so schlimm sein? Das war eine viel freundlichere Abfuhr als sonst immer. Ich hab ihm gesagt, dass ich mit ihm befreundet sein kann, wenn er sich Mühe gibt. Und wenn er sich dann noch mehr Mühe gibt, könnte daraus doch auch mehr werden, oder nicht?" 

Alice stöhnte auf. "Lily. Er liebt dich, wie kein anderer deiner Idioten es bisher getan hat, und das schon seit Jahren, obwohl du ihn immer wieder abblitzen lässt. Er will nicht mit dir befreundet sein, er wünscht sich, dass du dich irgendwann auch in ihn verliebst. Aber was du ihm gesagt hast, ist doch dieses typische Trennungsklischee: 'Wir können ja befreundet sein', das ist nie das, was Leute wirklich meinen. Was sie meinen, ist 'aus uns wird nie etwas'. Aus einer guten Freundschaft sollte keine romantische Liebe werden, das kann die Freundschaft kaputt machen, verstehst du?" 

Lily blickte betroffen auf ihr Essen. Plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr. "Das heißt, James ist wirklich verletzt, oder?", fragte sie. Sie hatte James nicht wehtun wollen. Klar, er nervte sie, sogar sehr, und sie mochte ihn nicht gerade sehr gern, aber sie wollte nicht, dass er ihretwegen traurig war. 

"Nicht unbedingt verletzt", sagte Marlene. "Aber das war jetzt für ihn die endgültige Abfuhr."

"Woher willst du das wissen?", fragte Lily. "Er hat schon unzählige Abfuhren von mir bekommen und sich nie davon aufhalten lassen." 

Mary schüttelte resigniert den Kopf. "You friendzoned him, sweetie", sagte sie. "Das ist endgültig, jetzt lässt er dich in Ruhe. Verlass dich drauf." Sie stibitzte ein Stück Käse von Lilys Teller. "'You friendzoned him, sweetie' könnte der Anfang eines ziemlich guten Songs werden." 

"Nicht abschweifen", warnte Marlene. "Das Ding ist, Lily, wenn du ihm nur diese Abfuhr gegeben hättest, wäre das Drama vielleicht nicht ganz so groß. Aber du hast ihm gestern zugesagt, mit ihm zum Weihnachtsball zu gehen, und das hat er definitiv als Date verstanden. Ehrlich, er war so gut drauf wie schon lange nicht mehr. Dass jetzt das dazu kam, hat ihn von diesem Hoch in ein Tief geworfen, das viel tiefer ist, als es ohne deine Zusage gewesen wäre, mit ihm zum Ball zu gehen. Das soll jetzt nicht heißen, dass du zu ihm gehen und dich entschuldigen sollst", fügte sie hastig hinzu, denn Lily hatte bereits empört den Mund geöffnet. "Aber denk doch mal drüber nach. James ist dir gegenüber viel einfühlsamer und freundlicher geworden in letzter Zeit, hast du das nicht gemerkt? Als er dich letztens um ein Date gefragt hat, war er ganz verlegen. Er hat diesen Blick drauf, wenn er dich ansieht ... den nimmst du gar nicht wahr. Früher stand er auf dich und dachte, das geht irgendwann vorbei - du weißt doch noch, wie euch im ersten Jahr gehasst habt. Jetzt ist ihm aber klar geworden, dass er dich wirklich aus ganzem Herzen liebt, und er will dir das signalisieren." 

Lily sah Marlene aus großen Augen an. "Woher weißt du das alles so genau?", fragte sie. "Oh Gott, wenn ich gewusst hätte ... ich hätte mehr aufgepasst, was ich sage. Ich kann ihn immer noch nicht wirklich leiden, aber ich will nicht, dass es ihm meinetwegen schlecht geht." 

"Du willst gar nicht wissen, wie oft er sich bei mir beklagt hat, dass du ihn immer abblitzen lässt", sagte Marlene. "Ich liebe dich sehr, Lils, aber auch James gehört zu meinen besten Freunden und ich mache mir Sorgen um ihn." 

Lily nickte, langsam verstand sie. "Du meinst, ich soll das Ganze auch von seinem Standpunkt aus sehen", fasste sie Marlenes Vortrag zusammen. 

"So kann man es auch sehen, ja", antwortete diese. "Denk ein bisschen an seine Gefühle, wenn du mit ihm sprichst, auch wenn du ihn nicht leiden kannst. Und wenn er dich mal wieder ärgert, dann tu es für mich." Lily stand auf, ging um den Tisch herum und umarmte Marlene. 

"Ich werde mich bemühen", versprach sie.

Feedback sowie Kommentare wie immer erwünscht! Einen halbwegs erträglichen Restmontag euch noch -
Eure Blacky

Das Experiment | Ein Jily-AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt