Richie Tozier war einer der Letzten, die das Klassenzimmer an jenem Tag verließ. Mit gesenktem Kopf lief er den Korridor zum Pausenhof entlang, ohne darauf zu achten, wo, oder an wem er während dessen vorbei ging. Schließlich kannte er den Weg zum Pausenhof mittlerweile. Schließlich kannte er das ganze Schulhaus mittlerweile, zumindest gut genug, um sich auch darin zurecht zu finden, ohne sich groß darauf konzentrieren zu müssen, um welche Ecke er denn nun biegen müsse, um dort anzukommen, wo er wollte.
Und das war gut so, denn Richard Tozier's Gedanken hätte man in jenem Moment vermutlich auf keine erdenkliche Art dazu bringen können, sich auf den Weg zum Pausenhof zu beschränken. Warum auch? Momentan gab es genug andere Dinge, über die er sich Gedanken machen könnte, oder besser gesagt, sich Gedanken machen müsste. Denn auch, wenn er nicht darüber hätte nachdenken wollen, wären jene Gedanken vermutlich früher oder später aufgekommen.
Richie seufzte, während seine dunkelbraunen Augen weiterhin die braunen, kalten Fliesen auf dem Boden des Schulflures fixierten. Es war wieder einer dieser Tage, an denen er sich wünschte, gar nicht erst aufgestanden zu sein. Vielleicht sogar, gar nicht erst zu existieren, zumindest nicht als Richie Tozier. Nicht als Richie Tozier, der seit etwas mehr als vier Jahren bereits in seinen besten Freund verliebt war. In den besten Freund, den er heute vermutlich vergrault hatte.
In den besten Freund, in den er eigentlich nicht verliebt sein sollte. Schließlich konnte es wohl kaum sein, dass Eddie Kaspbrak das Gleiche für ihm empfand. Oder? Und selbst wenn, Sonia Kaspbrak wäre damit vermutlich alles Andere als einverstanden. Alles andere als einverstanden damit, dass ihr Sohn Gefühle für einen Jungen hätte. So, wie der Großteil der Bewohner von Derry mit so etwas nicht einverstanden war. Das zeigten die Schmierereien an der Kussbrücke. Die Schmierereien, die Richie selbst oft genug gesehen hatte. Zuletzt, als er einmal mit Beverly dort gewesen war.
Als er ihr davon erzählt hatte. Sowohl von seinen Gefühlen für Eddie, als auch von seiner Sexualität. Es war vielleicht ungefähr ein Jahr her, seit er es ihr erzählt hatte. Wie falsch er sich damals gefühlt hatte. Falsch wegen seinen Gefühlen. Falsch, weil er jene Gefühle für seinen besten Freund hatte, und sich fast schon sicher war, dass diese nicht erwidert wurden. Und auch falsch, weil er anders war. Nicht, dass es Richie wirklich etwas ausmachte, anders zu sein als die meisten anderen Schüler. Es machte ihm nichts aus, aufzufallen, oder hin und wieder auch einen komischen Blick zu ernten.
Schließlich zog er jene Blicke nicht selten mit seinem eigenen Verhalten, oder mit seinen Sprüchen, die ihm noch immer hin und wieder über die Lippen glitten auf sich. Doch in jener Hinsicht war es anders gewesen. In jener Hinsicht, in der er das Gefühl gehabt hatte- und noch immer hatte- nichts ändern zu können. Er wusste, dass er daran nichts ändern könne, doch er wüsste auch, dass es diesen Menschen, die für die Schmierereien an der Kussbrücke verantwortlich waren, vermutlich egal war, ob er etwas daran ändern könnte, oder nicht.
Beverly jedoch gehörte nicht zu jenen Leuten. Sie hatte ihn nicht davor verurteilt, als er es ihr erzählt hatte. War nicht angeekelt oder abgestoßen gewesen, während er ihr unter Tränen erzählt hatte, dass er in seinen besten Freund verliebt war. Unter Tränen. Richie weinte nicht sonderlich oft, und wenn doch, dann meistens nicht aus einfachen Gründen. Er hatte einmal geweint, als er wieder einmal einige Beleidigungen und Schläge von Henry Bowers und seinem Gefolge eingesteckt hatte.
Er hatte geweint, als ihm wieder einmal klar geworden war, dass seine Eltern sich nicht sonderlich um ihn scherten. Und damals, damals als er mit Bev gesprochen hatte, da war einfach zu viel zusammen gekommen, als dass er sich die Tränen noch verkneifen hätte können. Zu viele Gefühle auf einmal. Verwirrung, Trauer, Angst. Doch allem vorran vermutlich die Trauer und die Angst. Die Angst, seinen besten Freund zu verlieren, wenn dieser jemals von seinem Geheimnis erfahren sollte.

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Stay ( Reddie)
Fanfiction" 'Cause all my life I felt this way, but I could never find the words to say..."