Kapitel 33

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Nervös trommele ich mit meinen Fingern auf das Lenkrad vor mir. Ich konzentriere mich auf das stetige Geräusch und versuche mich ein wenig zu beruhigen. Meine Nerven spielen verrückt. Es ist der 25. August und ich betrachte das Café Kalakaua, in dem ich mich in wenigen Minuten mit meinem Vater treffen werde. Ich lasse meinen Blick umher schweifen und halte nach einem mittelalten Mann in Army-Uniform Ausschau. Dieses Bild von meinem Vater hat sich in meinen Kopf gebrannt. Ich wünschte, ich müsste diesen Weg nicht alleine bestreiten. Annabeth hat mich wieder und wieder gefragt, ob sie mich begleiten soll, aber ich habe abgelehnt. Natürlich wünsche ich mir, dass sie jetzt bei mir ist, aber ich habe auch das Gefühl, dass ich da alleine durch muss, egal wie schwer es wird. Meine Augen wandern zum Strand, der nur ein paar Meter entfernt ist. Die Wellen sind grandios und viel Surfer nutzen die guten Bedingungen. Auch ich war heute Morgen schon surfen, schließlich werde ich in wenigen Tagen meinen ersten richtigen Wettkampf bestreiten. Der Anblick des Meeres schafft es, dass ich weniger nervös bin und ich entspanne mich. Ich lasse die Leute, die unterwegs sind, nicht aus den Augen. Viele sehen beschäftigt aus, aber ein Mann sticht aus der Menge heraus. Er trägt ein Hawaiihemd und Shorts, außerdem Flipflops. Bei seinem Anblick muss ich grinsen. Er sieht aus wie der typische Tourist auf O'ahu, doch dann sehe ich ihm in sein Gesicht. Er hat schwarze Haare, einen Bart und meergrüne Augen. Ich kenne diese Farbe, denn ich sehe sie jedes Mal, wenn ich selber in den Spiegel sehe. Außerdem bewegt er sich geschmeidig und vorsichtig, wie ein echter Kämpfer. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich meinen Vater. Meine Gefühle überschlagen sich und ich fahre mir mit meiner Hand durch die Haare. Poseidon lässt sich auf einem der Stühle nieder und sieht sich nun aufmerksam um. Ich denke, dass seinem wachsamen Blick nichts entgeht und drücke mich ein wenig in meinen Sitz. So bleibe ich noch ein paar Minuten sitzen und beobachte ihn. Schließlich nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und steige, ehe ich es mir wieder anderes überlege, aus dem Pick-up aus. Sofort verwuschelt der Wind meine Haare noch mehr, als sie es ohnehin schon sind und ich seufze. Ich verschließe mein Auto und überquere die Straße. Als ich noch zehn Meter vom Café entfernt bin, entdeckt mich mein Vater. Seine Augen werden groß und ich kann Unglauben und Überraschung in ihnen sehen. Anscheinend hat er nicht damit gerechnet, dass ich wirklich beim Treffen auftauche. Langsam komme ich näher und ich kann immer mehr Details in seinem Gesicht erkennen. Lachfältchen haben sich um seine Augen gebildet und auch jetzt lächelt er. Als ich ein paar Schritte von seinem Tisch entfernt bin, steht er auf. Ich bleibe vor ihm stehen und sehe ihn unverwandt an. „Percy.", dieses einzige Wort jagt mir einen Schauer über den Rücken. In seiner Stimme schwingt so viel Stolz und Glück mit, dass ich es gar nicht fassen kann. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. „Ja.", sage ich deshalb nur. „Willst du dich setzen?", fragt Poseidon nun und deutet auf einen Stuhl vor mir. Ich nicke und so lassen wir uns beiden an dem Tisch nieder.

Schweigen. Ich weiß absolut nicht, mit was ichanfangen soll und Poseidon scheint es ähnlich zu gehen. Minutenlang sitzen wirschon still da. Wieder fange ich an, mit meinen Fingern auf den Tisch zutrommeln. Ich bin richtig erleichtert, als eine Bedienung kommt und uns frägt,ob wir etwas bestellen wollen. „Ja. Eine Cola, bitte.", sage ich erleichtertund mein Vater bestellt ein Wasser. Als sie wieder weg ist, betrachtet er mich.Sein Blick bleibt nicht an meinem Stumpf hängen, vielmehr scheint es so, alspräge er sich mein Gesicht genau ein. Ich bin froh, dass er mich bis jetzt nochnicht darauf angesprochen hat. „Äääähhh...", werde ich aus meinen Gedankengerissen. Ich sehe auf und Poseidon redet weiter. „Ich weiß nicht, wie du dassiehst, aber ich denke, wir sollten das alles nicht unangenehmer machen alsnötig. Vielleicht sollten wir einfach von vorne anfangen.", meint er und ichnicke erleichtert. „Ist es in Ordnung, wenn ich dich Poseidon nenne?", will ichunsicher wissen. „Natürlich.", erwidert er. Die Serviererin kommt und bringtuns unsere Getränke. Ich nehme einen Schuck von meiner Cola. „Was hältst dudavon, wenn wir abwechselnd Fragen stellen? Damit können wir versuchen, so vielwie möglich übereinander herauszufinden.", schlägt er vor und ich stimme ihmzu. „Ich fange an.", setze ich noch hinterher und kurz lehne ich mich zurück.Ich ordne meine Gedanken und überlege, was mich am meisten interessiert. Dagibt es eine Frage, die seit meinem Geburtstag in mir brennt. „Wie hast duherausgefunden, dass es mich gibt? Von meiner Mom hast du es ja nichterfahren.", frage ich und sehe ihn gespannt an. Poseidon blinzelt kurz. „Naja...das war mehr ein Zufall. Von Januar bis Juni war ich auf einem Kampfeinsatz undda habe ich nicht wirklich viel, von dem, was hier in Amerika passiert ist,mitbekommen. Das heißt, als ich wieder zu Hause war, lagen in meinemBriefkasten jede Menge von meinen Zeitschriften. Ich habe ein wenig gebraucht,bis ich alles durchgelesen habe, aber dann habe ich einen Artikel überNachwuchstalente im Surfen gelesen. Du wurdest vorgestellt und außerdem gesagt,dass du seit dem Vorfall bei den Nationals von der Bildfläche verschwundenbist. Ich habe mich in dir wieder erkannt und als ich dann erfahren habe, dassSally deine Mutter ist, hatte ich keinen Zweifel mehr.", erzählt er und ichstaune. „Du interessierst dich fürs Surfen?", setze ich an, doch er unterbrichtmich mit einer Handbewegung. „Hey, du musst dich schon an die Regeln halten.Zuerst bin ich dran.", meint er und grinst schief. Ich kann nicht anders undlächle zurück. Poseidon überlegt wie ich einen Moment lang. „Wie kommst dudamit klar?", will er wissen und nickt in die Richtung von meiner rechtenSchulter. Ich seufze. Anscheinend hat er sich vorhin nur zurückgehalten. „Ichhabe mich daran gewöhnt.", erkläre ich ehrlich. „Warum frägst du das? Vorhinhatte ich das Gefühl, dass so ein Anblick für dich normal ist. Aber jetzt...",Poseidon unterbricht mich. „Percy, du musst mich verstehen. Ich bin ein Soldatund glaube mir, ich habe schon meine Freunde und Bekannte unter Amputationen leidensehen. Ich weiß, wie schwierig es ist, sich daran zu gewöhnen. Ich weißvielleicht noch nicht lange von dir, aber du bist trotzdem mein Sohn und ichmache mir Sorgen um dich.", er sieht mich traurig an. In seinen Augen kann ichsehen, dass er es absolut ehrlich meint und ich seufze noch einmal.  Ich weiß nicht, ob ich schon dazu bereit bin,mit ihm darüber zu reden, denn ich vertraue ihm einfach noch nicht.Andererseits könnte er einer der wenigen sein, die diese Situation wirklichverstehen können. „Poseidon?". „Hm?". „Können wir dieses Thema vielleicht einbisschen nach hinten verschieben?", sage ich leise. Er nickt. „Was willst dunoch über mich wissen?", fragt er anschließend. Wieder überlege ich, fange dannaber an zu Grinsen. Sofort verschwindet die bedrückte Stimmung. „Wieso der NamePoseidon? Er ist sehr ungewöhnlich.",will ich wissen. Mein Vater fängt an zu Lachen. „Mein Vater warGeschichtsprofessor. Er hat die griechische Mythologie geliebt und er und meineMutter haben sich einen Spaß daraus gemacht, mich Poseidon Fisher zu nennen.", erzählt er amüsiert. „DeineGeschichtslehrer waren bestimmt irritiert.", erwidere ich und stimme in seinLachen mit ein. Als wir dann anfangen uns über das Surfen zu unterhalten, istdas Eis endgültig gebrochen und das Treffen beginnt mir Spaß zu machen. Esstellt sich heraus, dass er fast jeden großen Surfwettkampf verfolgt, aberseinen Erzählungen zu Folge ist er selber sehr schlecht.

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