Kapitel 55

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Ich sitze in meinem Pick-up und sehe gespannt zu Annabeths Haustür, in der Hoffnung, dass sie gleich kommt. Heute sind wir mit Jason, Piper, Leo, der Kalypso mitbringt, sowie Hazel und Frank verabredet, da wir alle für Weihnachten wieder auf der Insel sind. Es ist das erste Mal, dass wir seit dem Beginn unserer Studien wieder zu acht unternehmen. Eigentlich ist es nicht weit, schließlich haben wir uns hier in Pupukea verabredet, aber dennoch sind es nur noch fünf Minuten und es sieht Annie gar nicht ähnlich, so spät dran zu sein. Endlich öffnet sich die Tür und sie stürmt auf das Auto zu. Ihre blonden Haare sind zerzaust und sie blickt hektisch umher. Annabeth erreicht mein Auto, öffnet die Beifahrertür und lässt sich auf den Sitz fallen. Zur Begrüßung drückt sie mir einen Kuss auf die Lippen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal pünktlicher sein werde, als du.", stichele ich und grinse. Sie verzieht entnervt das Gesicht. „Bobby und Matthew haben sich in den Kopf gesetzt, alle Küchenschränke durcheinander zu bringen. Helen ist ein wenig gestresst.", sie rollt mit den Augen und ich kann mir denken, dass dies die Untertreibung des Jahrhunderts ist. „Macht doch nichts. Aber ich kann mir denken, dass du froh bist, erst einmal weg zu kommen.", sage ich, während ich losfahre. „Ja, da hast du Recht. Auch wenn du dir bestimmt nicht vorstellen kannst, wie es im Moment in unserer Küche aussieht."

Es dauert gerade einmal fünf Minuten, bis wir unseren Treffpunkt erreichen. Ich stelle das Auto auf einem Parkplatz am Straßenrand ab und steige anschließend aus. Annabeth tut es mir gleich. Ich lasse meinen Blick umherschweifen, aber anscheinend sind die anderen noch nicht da. Meine Hand stiehlt sich in die von Annie und so setzen wir uns auf eine kleine Mauer, die den Strand vom Gehweg abtrennt. Ich streiche mit meinem Zeigefinger immer wieder über ihren Handrücken. „Ich bin echt gespannt, was sie zu erzählen haben. Vor allem Jason und Piper. Die Zwei waren ja am weitesten entfernt.", überlege ich laut und unterbreche somit die entstandene Stille zwischen uns. Durch einen leichten Druck mit ihrer Hand signalisiert mir meine Freundin, dass sie mich verstanden hat. „Sieh mal, da sind Hazel und Frank!", ruft sie plötzlich. Mein Kopf schnellt hoch und kurz darauf entdecke auch ich sie. Die Zwei sind vielleicht hier auf der Insel geblieben, doch sie haben sich nicht für das Hawaii Pacific College entschieden. Hazel hat eine Ausbildung als Juwelierin begonnen und Frank studiert Zoologie an der University of Hawaii at Manoa. So ähnlich läuft es auch mit Leo ab. Obwohl wir alle auf der Insel geblieben sind, laufen wir uns nicht mehr oft über den Weg, da wir einfach alle sehr mit den Studien beziehungsweise mit der Ausbildung beschäftigt sind. Gerade deswegen freue ich mich so sehr auf das Treffen heute. Meine Freunde haben mir gefehlt. Inzwischen sind Hazel und Frank bei uns angekommen. Zur Begrüßung umarmen wir uns alle einmal. „Es ist schön, euch mal wieder zu sehen.", meine ich und lächle. „Gleichfalls.", erwidert Frank. Seine Stimme ist in den vergangenen Monaten ein bisschen tiefer geworden und allgemein sieht sein Gesicht erwachsener aus, nicht mehr wie ein Baby-Panda-Kopf, der auf einen viel zu großen Körper gesetzt wurde. Kurz darauf kommen auch die Anderen. Es ist ein Wirbel aus Umarmungen, Begrüßungen und dem Austausch von Neuigkeiten. „Leute, so schön es auch gerade ist, vielleicht sollten wir uns irgendwo hinsetzen, in ein Café, oder so. Dann kann jeder ganz in Ruhe alles erzählen.", schlägt schließlich Jason vor, nachdem schon einige Passanten mit verärgertem Gesichtsausdruck um uns herumgegangen sind. „Gute Idee.", sagt Piper. Sie hakt sich bei ihrem Freund unter und zieht ihn die Straße entlang. Ihre Haare sind zu Zöpfen geflochten und es wurden auch Federn eingearbeitet. Wir folgen den Beiden, die vorgehen und nur wenig später sitzen wir in einem kleinen Café, direkt am Strand. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich sehe, wie Leo immer wieder Kalypso anlächelt. Die Zwei sehen immer noch genauso verliebt aus, wie am ersten Tag. „Meinst du, wir sehen auch so frisch verliebt aus?", flüstere ich und beuge mich zu Annabeth, die neben mir sitzt. „Ich hoffe es doch.", kommt es zurück. Sie kommt mir entgegen und drückt ihre Lippen sanft auf meine. Ein wohliger Schauer läuft über meinen Rücken. Ja, ich hoffe es auch.

Als wir endlich alle bestellt haben, ist es einen kurzen Moment lang still. Dann beugt sich Jason mit zusammengekniffenen Augen vor. Sein Blick fixiert mich. „Also, Percy.", beginnt er. Bei seinem strengen Tonfall frage ich mich unwillkürlich, was jetzt kommt. „Ich bin fast ein bisschen beleidigt, dass wir über Annabeth erfahren mussten, dass du dich für die Nationalen Meisterschaften qualifiziert hast.", sagt er. Auf seine Worte folgt ein allgemeines Luftholen und alle, auch Annie, Piper und Jason sehen mich an. „Ich stimme Jason absolut zu. Du hättest es sagen sollen.", ruft Frank aus. Hazel legt ihm eine Hand auf den Arm. „Alter, warum erzählst du so etwas nicht?", will nun auch Leo wissen. Tatsächlich habe ich es wirklich komplett vergessen. Natürlich ist es etwas Besonderes, aber irgendwie habe ich nicht gedacht, dass meine Freunde es so wichtig finden, darüber informiert zu werden. Schlechtes Gewissen meldet sich in mir und ich verziehe das Gesicht. „Tut mir Leid.", murmele ich mit hochgezogenen Schultern. „Ich hätte es bestimmt noch erzählt." Hazel winkt beschwichtigend ab. „Das macht doch nichts und ich bin mir sicher, dass die Anderen es genauso sehen.", meint sie. „Aber wie hast du das geschafft? Nichts für ungut, aber du hast doch erst im September wieder mit den Wettkämpfen angefangen. Das waren doch dann nur drei Monate und in dieser Zeit hast du dich so weit nach oben gearbeitet?", ihr Gesichtsausdruck ist ein bisschen ungläubig. „Ich habe eben viel trainiert.", gebe ich zurück. „Und glaubt mir, Paul hat sich ein paar echt fiese Trainingsmethoden ausgedacht.", ich verziehe mein Gesicht gespielt gequält und sehe in die Runde. Meine Freunde grinsen mich wenig mitleidig an und Annabeth drückt meine Hand. „Sag mal, wann sind denn dann die Nationals?", fragt Piper. „Am 23. Januar." Sie scheint einen Moment nachzudenken, bevor sich Enttäuschung auf ihrem Gesicht ausbreitet. „Da sind wir leider schon wieder in San Francisco, das heißt, wir werden nicht da sein können.", teilt sie bedauernd mit. „Im Internet gibt es bestimmt einen Livestream.", meint nun Kalypso. Es ist das erste Mal, dass sie sich aktiv bei einem Gespräch beteiligt und ich sehe sie überrascht an. Sie zuckt mit den Schultern. „So war es doch letztes Jahr auch, oder?", redet sie weiter. „Du hast Recht.", Jasons Gesicht hat sich ein bisschen aufgehellt. „Leute, ich finde es echt toll von euch, wie ihr mich unterstützt.", bedanke ich mich bei ihnen. Plötzlich schleicht sich ein Lächeln auf Pipers Gesicht. „Das ist doch selbstverständlich. Aber warte es noch ab, es kommt noch besser.", kurz huscht ihr Blick zu Jason, der geistesabwesend in seinem Kaffee rührt. „Jason!", zischt sie und stößt ihm ihren Ellenbogen in die Seite. Ihr Freund schreckt hoch und sieht sie verwirrt an. „Was?", will er wissen. „Wir haben doch noch etwas dabei!", sie sieht ihn vielsagend an und nun scheint auch ihm ein Licht aufzugehen. „Jaja, das hättest du ja gleich sagen können, du hättest mich nicht schlagen brauchen.", brummt er und verschwindet einen kurzen Moment mit dem Kopf unter dem Tisch. Dann taucht er wieder auf und stellt ein kleines Päckchen auf den Tisch. „Seit wir von deiner Qualifikation erfahren haben, haben wir uns Gedanken darüber gemacht und entschieden, dass du eine Art Glücksbringer brauchst.", teilt sie mit und schiebt das Geschenk zu mir. „Es ist von uns allen.", bemerkt sie. Stille kehrt ein und ich spüre die Blicke der Anderen auf mir. Zuerst noch zögernd fange ich an, die Schleife zu lösen. Ich habe nicht damit gerechnet, ein Geschenk zu erhalten. Schließlich hebe ich den Deckel an und sehe hinein. In der Schachtel liegt ordentlich zusammengerollt eine schlichte, schwarze Leash. Doch dann fallen mir die weißen Linien auf, die ich aus meinem Winkel nicht lesen kann. Meine Hand zittert leicht, als ich sie herausnehme und in meiner Hand betrachte.

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