Kapitel 58

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Ich spüre, wie ich mein Gleichgewicht verliere und von dem Brett falle. Meine Füße kommen auf dem Gras auf und ich taumle ein paar Schritte weiter. Während ich das tue, knicke ich mit meinem linken Fuß um und gehe zu Boden. Das erste was ich mache, ist das Gras, das in meinem Mund ist, auszuspucken. Dann registriere ich den dumpfen Schmerz in meinem Knöchel. Ich rolle mich auf den Rücken und Pauls Kopf taucht mit besorgter Miene über mir auf. „Alles in Ordnung?", fragt er. Ich setze mich auf und meine Hand wandert automatisch zu meinem Fußgelenk. „Nein.", antworte ich leise. Als ich das gesagt habe, scheinen meine Innereine zu gefrieren. Paul lässt sich vor mir auf den Boden fallen. „Was ist passiert?", hakt er weiter nach. „Ich bin umgeknickt.", murmele ich und nehme meine Hand vom Fuß weg. Paul legt eine seiner Hände auf den Knöchel und sieht in sich an. Dann blickt er auf. „Wie sehr tut es weh?" Ich bewege meinen Fuß ein bisschen und zucke ein wenig zusammen. „Geht schon.", antworte ich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Frage. „Das muss ich mir drinnen ansehen. Kannst du gehen?", will er wissen und steht auf. Er reicht mir seine Hand und hilft mir zum zweiten Mal heute auf. Zuerst belaste ich meinen linken Fuß nicht, doch dann setze ich ihn vorsichtig auf und versuche zu Laufen. Der pochende Schmerz verschlimmert sich ein bisschen und ich verziehe das Gesicht. Paul stützt mich und so humple ich ins Haus zurück.

Meine Mom sieht uns mit offenem Mund an, als sie uns bemerkt. „Was ist passiert?", fragt sie sofort und kommt auf uns zu. „Ich bin umgeknickt.", erzähle ich erneut und lasse meinen Kopf hängen. Sie reißt die Augen entsetzt auf und hilft mir, mich auf die Couch zu setzen. Ich lasse mich gegen die Kissen sinken und warte, während Paul meinen Knöchel untersucht. Zu dem Trainerschein, den er gemacht hat, gehört auch immer eine gewisse medizinische Grundbildung dazu. Die Sekunden ziehen sich in die Länge und ich werde immer nervöser. Was, wenn ich mich ernsthaft verletzt habe? Endlich blickt Paul auf. „Ich denke nicht, dass du dir die Bänder gerissen hast. Da hättest du gar nicht mehr laufen können. Außerdem würde es schon jetzt anschwellen. Meine Vermutung ist eine Zerrung, aber wir müssen trotzdem warten, wie es morgen ist. Wenn es nicht besser wird, oder sogar schlechter, dann fahren wir zu einem Arzt.", diagnostiziert er. Dann fügt er noch etwas hinzu. „Doch so, oder so, du wirst mindestens ein paar Tage mit dem Training aussetzen müssen." Er sieht mich traurig an, aber ich schaffe es gerade einmal, zu nicken. Meine Mutter verschwindet in der Küche und kommt kurz darauf mit etwas Eis zum kühlen zurück. Ich lege den Fuß auf ein paar Kissen hoch und spüre die Kälte, die den Schmerz in meinem Knöchel ein bisschen dämpft. Ich weiß nicht, wie lange ich einfach nur da sitze und vor mich hinstarre. Abwechselnd balle ich meine Hand zu einer Faust und öffne sie wieder. Meine Finger sind verkrampft, genauso wie meine Schultern, da ich gekrümmt da sitze. Doch das ist mir im Moment egal. Wieso musste das passieren? Die Kälte in mir breitet sich weiter aus und es gibt nur einen einzigen Satz, der meine Gedanken beherrscht. Ich werde nicht rechtzeitig für die Nationals wieder fit werden. Nun kommt auch Hoffnungslosigkeit zu meinem Gefühlswirrwarr hinzu. Aber auch Wut ist in mir zu finden. Ich habe es geschafft, einen Haiangriff zu überleben, habe mich zurück aufs Board gekämpft und mich für die Nationalen Meisterschaften qualifiziert. Und das alles nur, damit ich mich jetzt im Training verletze und nicht an den Nationals teilnehmen kann? Am liebsten würde ich meinen ganzen Frust hinausschreien, aber ich bleibe ruhig und balle nur wieder meine Hand zur Faust. Meine Fingerknöchel treten weiß hervor und ich muss mich daran hindern, nicht auf die Kissen einzuschlagen. Ich richte meinen Blick hinaus in den Garten. Paul hat die Sachen vom Training aufgeräumt und sie ordentlich im Schuppen verstaut. Ich verziehe meine Mundwinkel. Für wie lange werden sie dort bleiben?

Die Zeit vergeht und ich sitze einfach nur da, starre durch die Gegend und mache nichts. Meine Eltern versuchen zweimal, ein Gespräch mit mir anzufangen, aber ich antworte nur einsilbig und lustlos, sodass sie bald verstehen, dass sie mich in Ruhe lassen sollen. Am frühen Nachmittag klingelt es an der Tür, doch ich reagiere nicht darauf. Ich bekomme nur am Rande mit, wie Mom die Haustür öffnet und jemanden freundlich begrüßt. Ich sehe aus dem Fenster und versuche an nichts zu denken. Doch dann kommt jemand ins Wohnzimmer und als ich aus dem Augenwinkel ihre blonden Haare sehe, drehe ich den Kopf. Annabeth ist mitten im Zimmer stehen geblieben und sieht mich nun verwirrt an. Ihr Blick bleibt an meinem hochgelagerten Fuß hängen und ich kann regelrecht sehen, wie sie Eins und Eins zusammenzählt. Ohne ein Wort zu sagen, kommt sie zu mir und schließt mich in die Arme. Ihre Lippen treffen auf meine und in mir löst sich der Knoten aus Gefühlen ein bisschen. Der Kuss vermittelt mir so viel. Sie ist für mich da und egal was auch passiert ist, sie wird nicht gehen und es zusammen mit mir durchstehen. Wie schon einmal. Wir lösen unsere Lippen voneinander, doch sie hält mich noch einen Moment fest. Ich klammere mich an sie, wie ein Ertrinkender und vergrabe mein Gesicht an ihrem Hals. So sitzen wir ungefähr fünf Minuten da. „Was machst du hier?", flüstere ich schließlich leise. Wir haben uns erst gestern, bei dem Treffen mit den Anderen gesehen und soweit ich weiß, hat sie davon geredet, heute nach Honolulu zu fahren. Annabeth lächelt mich an. „Keine Ahnung. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es gut wäre, bei dir vorbeizuschauen.", gibt sie ebenso leise zurück. „Und wie du siehst, hatte ich einen guten Riecher. Wie ist das passiert?", will sie wissen und deutet auf meinen Fuß. Sie setzt sich ordentlich neben mich. „Erinnerst du dich an die Trainingsmethode für mein Gleichgewicht?", frage ich und Annie nickt. „Ich bin runtergefallen und umgeknickt.", erkläre ich, dann bin ich wieder still. „Und was ist jetzt? Warst du schon bei einem Arzt?", hakt sie nach. „Nein. Paul meinte, dass die Bänder nicht gerissen sind, aber wenn es morgen nicht besser, oder sogar schlechter ist, dann fahren wir zu einem Arzt, der es sich ansehen soll. Aber ich muss auf jeden Fall mit dem Training aussetzen.", meine Gedanken schweifen wieder zu den Nationalen Meisterschaften und plötzlich fangen meine Augen an zu brennen. Meine Verzweiflung ist größer als zuvor. „Was, wenn ich nicht an den Nationals teilnehmen kann? Dann war alles umsonst!", ich schüttele den Kopf und vergrabe mein Gesicht in meiner Hand. Ich will nicht anfangen zu weinen, das kommt mir so schwach vor, aber ich kann nicht verhindern, dass sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löst und auf meine Handfläche tropft. Außerdem ist es Annabeth und wenn ich ihr nicht meine Gefühle zeigen kann, dann niemanden. „Hey, Percy, sieh mich an.", sagt sie sanft und zwingt mich, sie anzusehen. „Nichts war umsonst.", flüstert sie eindringlich. „Du wirst schon sehen. Bis zu den Nationals sind es noch gute drei Wochen und selbst wenn du jetzt eine Woche aussetzen musst, dann hast du noch zwei weitere Wochen Zeit, um wieder zu trainieren. Und wenn jemand so etwas schaffen kann, dann bist das du." Ich lasse ihre Worte kurz sacken. „Aber was, wenn ich mich doch schwerer verletzt habe und einfach keinen Sport machen kann?", während ich das sage, sinke ich unwillkürlich wieder ein bisschen in mich zusammen. Ich spüre Annabeths Hand auf meiner Schulter. „Dann war es trotzdem nicht umsonst. Du hast es sowieso schon allen gezeigt, du hast bereits bewiesen, dass du nicht aufgibst und auch nie aufgeben wirst. Die Nationals wären doch nur dazu da, das der ganzen Welt zu zeigen, aber du brauchst das doch für dich gar nicht mehr. Dir selber hast du es doch schon bewiesen und das ist das Wichtigste."

Ich lasse ihre Worte einen Moment sacken. Dann seufzeich auf und lächle sie schief an. „Wahrscheinlich hast du Recht.", sage ich.Annabeth drückt meine Hand. „Natürlich habe ich Recht, was hast du denngedacht?", gibt sie grinsend zurück. Ihre Antwort bringt mich trotz meiner Lagezum Lachen. „Womit habe ich dich nur verdient? Du bist doch viel zu schlau fürmich.", bemerke ich. „Algenhirn, diese Frage hast du mir schon so oft gestellt,aber ich habe immer noch keine Antwort darauf.", sie grinst „Aber bevor du dirüber solche Sachen Gedanken machst, küss mich lieber.", fordert sie mich auf.Und das tue ich dann auch.

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