Heute ist es soweit, heute werde ich erfahren, wer ich sein werde, wer ich schon immer war. Ich schaue noch ein letztes Mal in den Spiegel, bevor ich mich nach unten begebe. Ich habe immer noch langes, leicht gewelltes, braunes Haar. Braune Augen. Spitze Nase. Schmale Lippen. Nichts verändert sich mehr an mir. Was schade ist, denn ich wäre gerne nicht ich. Was ist daran gut, ich zu sein? Ich bin träge, mürrisch und habe den, wie ich ihn nenne „Zuchtraum“ öfter gesehen, als so mancher andere. Das Brot rühre ich oft schon nicht mehr an, es sei denn, ich will glücklich sein. Denn was niemand weiß, in das Brot werden Drogen gemischt, die dich glücklich machen. Eine abgewandelte Form des Friedensserums, was einem gespritzt wird, wenn man sich „untadelig“ verhalten hat. Aber was macht das, ich werde gehen. Und nicht nur, um wiederzukommen – Gehen für immer.
Meine Eltern sitzen schon am Tisch, als ich unten ankomme. Wenn ich mir sie so ansehe, tut es mir leid, dass ich sie verlassen werde. Es wäre halb so schlimm, wenn jedenfalls einer meiner Geschwister hier geblieben wäre. Aber sie alle gingen fort, mein ältester Bruder Kail ging zu den Candor, der nächste war mein anderer Bruder Will. Er ging zu den Ferox, aber es war uns von vornerein klar, dass er einer von ihnen wird, denn er hatte immer einen gewissen Drang zum Mut. Meine ältere Schwester verließ uns vor sechs Jahren und ging zu den Altruan. Dort heiratete sie einen Mann und hat ihr erstes Kind bekommen. Es heißt Lucy. Wir erfuhren es schließlich, als wir sie zufällig vor einem Jahr im Feld trafen, sie war dabei einige Bekanntschaften zu uns Amite zu pflegen, denn ihr Mann ist der Ratsführer. Andrew. Denn eigentlich darf man die Fraktionen, in der man nach der Entscheidung in der Zeremonie eingelebt hat, nicht verlassen. Unser oberstes Gesetz heißt nämlich Fraktion vor Blut.
"Lucinda, spielst du bitte nicht mit dem Essen.", ermahnt mich meine Mutter, sie ist eine ehemalige Candor, deswegen ist sie mit Kails Entscheidung nie im Einklang gekommen. Denn Mutter meint, die Candor haben kein Mitgefühl und sehen alles zu passiv, woraufhin sie sie verließ. Aber vielleicht sehnen sie sich nur nach der Wahrheit, denn sie bringt einem Vertrauen. Wer ehrlich ist, dem vertraut man.
Mein Vater war schon immer Amite und ich weiß, dass er hofft, ich werde auch eine. Doch ich verstehe, was mir mein Bruder, Kail, damals, als ich gerade drei geworden war, gesagt hatte. Er war sechzehn und kurz davor uns zu verlassen. Ich erinnere mich, als wäre es erst gestern, als er mich in sein Zimmer bat und mir sagte: "Luc, kleine Schwester, eines Tages musst auch du dich entscheiden. Eines Tages wirst du dich für deine wahre Fraktion entscheiden müssen. Aber vergiss nicht, es lohnt sich nicht, denen nachzutrauern, die in deiner Vergangenheit sind, sondern denen zuzurufen, die in deiner Zukunft auf dich warten. Auch wenn das heißt, unsere Eltern zu verlassen. Denk immer zuerst an dich."
Ich weiß genau, was er mir damit sagen wollte. Er wollte mich vorbreiten darauf, dass er uns verlassen wird und dass ich sie verlassen werde. Denn ihm war bestimmt schon klar, dass ich nie genug Amite wäre, um hier zu leben. Schon damals kämpfte ich lieber, als Lieder zu singen. Habe das Werfen von faulen Äpfeln, dem Tanzen vorgezogen. Wollte Bücher lesen, wenn andere beten. Konnte es nicht lassen zu rennen, klettern und zu schrien, wenn andere lieber lachten. Ich war stets anders und das gefiel den Leuten nicht. Deswegen bin ich eine verhasste Persönlichkeit bei den Amite. Deswegen sagen Mütter, dass die Kinder sich von mir fern halten sollen, wenn es keinen Grund dazu gibt. Deswegen bin ich anders.
Ich pule geistesabwesend im Essen, als plötzlich mein Vater zu mir schaut: "Bist du aufgeregt?" Er reißt mich aus meinen Gedanken. Ich gucke ihn leicht verunsicherte an, aber streite ab. Doch in Wirklichkeit, klemme ich meine eine Hand zwischen meine Beine, damit sie nicht zu sehr zittert. Mit anderen Worten, ich habe eine riesen Angst.
Doch ich erkenne direkt, wie meine Mutter mich ungläubig ansieht. Sie wusste immer, wenn ich log, denn ihre geschärften Candor-Sinne konnte sie nie richtig überwinden. Doch ich versuche es zu ignorieren und mache mich lieber dran, dass letzte Frühstück mit meinen Eltern zu genießen. Jede einzelne Sekunde, die mir noch bleibt, abzupassen.
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Die Bestimmung - Verhängnisvolle Liebe
FanfictionDas ist eine FF und spielt nach dem dritten Teil der Divergent-Reihe. Doch statt, dass das Fraktionssystem abgeschafft wurde, ist Tris gestorben und das Fraktionensystem wieder in Kraft gesetzt worden. Eric wurde nicht erschossen und ist wieder eine...