Die Spieluhr (Kurzgeschichte)

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Drüben im Hof spielten die Kinder. Und ich saß am Fester, beobachtete sie. Fangen war ihr Lieblingsspiel und es gefiel mir als Zuschauer genauso gut wie ihnen. Aber etwas gab es, das ich noch mehr mochte, als die freundlichen Nachbarskinder, denen ich manchmal eine Mark oder ein Stück Schokolade gab, wenn sie mir beim Tragen der schweren Einkaufstüten halfen. Nämlich meine kleine Spieluhr.

Jetzt ging nur mehr selten außer Haus, aber alle aus dem Tal kannten mich. Für meine Klavierkünste war ich bekannt gewesen, ja. Man möchte es nicht für wahr halten, aber früher war ich Komponist gewesen. „Wann spielt Karl Zapfer wieder im Wirtshaus?”, wurde in der ganzen Gegend gefragt. „So gut spielt er!”, hatte Frau Gramel mit den roten Haaren dem Metzger immer ganz begeistert erzählt, nachdem ich wieder ein Konzert gegeben hatte. Alle waren begeistert von mir. „Mit welcher Leichtigkeit du spielst und immer so flott unterwegs. Aber es wird Zeit, dass du dir mal eine Madl zulegst”, hatte Frau Madrer, die Kellnerin vom Wirtshaus Gasslbrunn einmal gelacht. Damals war ich auch noch ein Bursch im Alter von 18, 19 Jahren gewesen, der keine Zeit für ein Mädchen hatte, da das Klavierspielen immer vorging.

Lange hatte ich Spaß am Spielen. Probierte die kompliziertesten Akkorde und Läufe aus und erfand wieder ganz neue Melodien, Rhythmen und Begleitstimmen. Doch dann machte mir das Alter zu schaffen. Und ich zog mich immer mehr zurück. Eine Pause war das, was ich gebraucht hatte, eine lange! Das Leben als Klavierspieler war nicht das einfachste. Die tägliche Nachfrage nach neuen Lieder machte mir mit der Zeit mächtig zu schaffen. Es war mir zu viel Druck, zu viel Geklatsche und Gejubel von morgens bis abends und die Ideen gingen mir langsam auch aus. Ich wollte einfach wissen, wie es sich ruhiger und gemütlicher anfühlte. Und deswegen verkaufte ich mein Klavier und besorgte mir stattdessen etwas Kleines und Zierliches. Ein Musikinstrument natürlich, denn die leidenschaftliche Liebe zur Musik hatte ich noch immer im Blut.

Erst am späten Abend machte ich mich meistens auf den Weg zum alten Turm am Helens-Hügel. Sie in meiner Hand. Meine kleine Spieluhr, die ich so sehr liebte und deren Musik mir nie langweilig wurde. Auf der Ruine saß ich dann die ganze Nacht und sah ins Tal hinunter. Ich fühlte mich wie der Wächter über alle Berge und Täler, die ich kannte. Viele waren es nicht. Denn ich war nicht weit herum gekommen. Ich hatte keine Zeit dazu, auch nicht für eine Frau. Aber meine Spieluhr brachte mich zum Lächeln in meinen alten Tagen.

(425 Wörter)

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