Die Enthüllung

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„Also ich glaube ja, dass sie entkommen konnten", flüsterte Stella zum mindesten zehnten mal mit einer Bestimmtheit in der Stimme, als würde sie selbst versuchen, sich zu überzeugen.

Ich hatte das Pech - oder Glück, je nachdem, wie man es sah - neben Stella festgebunden zu sein. Und Stella liebte es, jeden ihrer Gedanken auszusprechen. Auch wenn sie es hier im Leisen tun musste. Sicherlich störte es Valtor nicht weiter, aber die anderen - besonders Mandragora - konnten recht launenhaft sein und wir brauchten nicht noch mehr ärger.

Stella hatte mir auch davon erzählt, wie sie all gefangen genommen worden waren. Sie hatte gesagt, dass ohne mich und durch Sorge um mich ihnen der Teamgeist und der Wille gefehlt hatte. Zwar hatte Bloom, die neben Stella stand und zugehört hatte, sofort korrigiert, dass ich keine Schuld daran trug, doch noch im selben Moment spürte ich das Schuldgefühl in mir aufblühen.

Eigentlich war es nichts gewesen. Riven war nichts gewesen. Und doch hatte ich damit meine Freunde und vermutlich die gesamte magische Dimension an den Rand eines Abgrundes gedrängt. Es gab nur wenige, die wussten, dass etwas nicht stimmte. Und diese würden es nicht wagen, eine Rettungsmission einzuläuten.
Der Hohe Rat und die Templer von Lichtfels hielten sich schon immer aus dem Kampf zwischen Gut und Böse heraus und die Verbindung des Lichts würde zu große Hoffnung in uns legen. Und selbst wenn sie bemerken würden, dass wir diesmal versagt hatten, konnten sie uns nicht zu Hilfe kommen. Denn das war sicherlich genau das, worauf Valtor und die anderen hinauswollten. Ihre größten Widersacher einsperren, um dann den Weg frei zu haben.
Natürlich könnten auch Helia und Riven wieder auftauchen, aber was könnten sie schon bezwecken. Selbst Helia, hinter dem sicher mehr steckt, als er zeigt, könnte es nicht mit allen aufnehmen.

Ich seufzte. Es gab keinen Ausweg. Sie würden hier sterben. Man konnte nur hoffen, dass Helia und Riven klug genug waren, dies zu erkennen und nicht wiederzukommen, so sehr ich es auch irgendwo in mir hoffte.

„Traurig?", sagte eine leise Stimme aus dem Schatten neben mir. Er schien ungewöhnlich dunkel. „Liebeskummer? Hat dich Riven schon wieder hintergangen."

Hinaus aus den Schatten trat Darcy mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen.

Schon immer fand ich, dass Darcy die gefährlichste der drei Hexen war. Womöglich war es noch von Vorteil, dass sie alles mit ihren Schwestern zusammen tat und nicht alleine loszog. Denn sie war gerissen und clever genug, um zu wissen, dass es besser ist, unentdeckt zu sein und unterschätzt zu werden. Aber vor allem wusste sie, dass es nicht nur auf die Stärke ankam. Hinterlist und Tücke und manchmal auch Kontakt zu Menschen bringen einen weiter.

„Was geht dich das an, Darcy", sagte ich nur abweisend und vermied es, sie anzusehen.

„Mehr als du denkst", sagte sie. Nun sah ich doch zu ihr.

„Wie meinst du das?", fragte ich verwundert.

„Was sollte dich Musas Beziehung zu Riven angehen", meinte Stella neben mir. „Ihr habt doch schon vor Jahren Schluss gemacht. Du interessierst dich doch kein Stück mehr für ihn."

„Da hast du recht", gab Darcy zu. „Ich interessiere mich nicht für Riven. Er ist langweilig geworden, nun, da er mit euch Feen abhängt. Aber", fuhr sie fort, „er hat noch immer recht viel negative Energie in sich. Zumindest mehr als ihr. Deshalb ist es so einfach, ihn zu manipulieren. Es ist beinahe so, als würde es ihm gefallen."

Mit einmal änderte Darcy ihre Gestalt zu einer etwas jüngerer, hübschen Frau. Dann wurde sie wieder normal.

„Was sollte das denn jetzt?", fragte Stella. „Ich meine, wär ich du, würde ich auch ab und zu mal meine Gestalt verändern, aber..."

Doch ich hörte ihr nicht mehr zu. Denn Stella konnte nicht ahnen, was Darcy eben damit gezeigt hatte. Denn sie war nicht dagewesen, an dem Tag, an dem Riven diese Frau geküsst hatte. Sie hatte sie nicht gesehen. Aber ich hatte es. Und sie hatte genauso ausgesehen wie Darcy eben. Dasselbe Haar, dieselbe Statur, sogar dasselbe Gesicht.

Darcy schien bemerkt zu haben, dass ich es kapiert hatte.

„Weißt du, es war sogar meine Idee gewesen", sagte sie. „Valtor hatte nach einer Möglichkeit gesucht, um euch zu schwächen. Er wollte, dass ihr hier her kommt, doch nur mit euren Körpern. eure Gedanken sollten woanders sein. Er wollte, dass eine von euch sich verletzt, sie somit nicht vollständig seid und zudem noch verwirrt und besorgt."

„Unsere liebe Darcy jedoch hatte eine bessere Idee", sagte die kalte Stimme Valtors, der auf sie zukam. „Sie meinte, nichts kann einen stärker verletzen als die Liebe."

„Und da Riven sowieso schon etwas negatives an sich hat", fuhr Darcy fort, „und eure Beziehung alles andere als perfekt ist, dachte ich, ihr wärt am besten dafür geeignet. Das du so einen Drang hattest, dich selbst umbringen zu müssen, war uns nur eine Hilfe."

„Aber damit du dich nicht vollkommen von uns gedemütigt fühlst", sagte Valtor, „können wir dir immerhin versichern, dass wir Riven nicht verzaubert haben. Er hat die liebe Darcy aus freiwilligen Stücken geküsst. Damit lagst du zumindest richtig."

Valtor lachte, als wäre es der beste Plan, den er je gehabt hatte. Und vielleicht war er es sogar. Gab es eine bessere Möglichkeit, jemanden zu verwunden?

Valtor hatte recht. Ich fühlte mich gedemütigt, ich fühlte mich benutzt. Aber vor allem spürte ich Leere in mir. Als wäre etwas aus mir hinausgezogen worden. Mein Herz, womöglich.
Das alles war also nur ein Spiel gewesen. Ein Spiel, in dem ich kein Spieler, sondern nur eine Spielfigur war. Ich durfte nicht selber mitspielen und über bestimmte Spielzüge entscheiden. Nein, andere entschieden über mich und ich musste mit den Konsequenzen leben.

„Musa, alles okay?", hörte ich Stella zaghaft fragen.

Ich nickte nur.
Als ich die Blicke der anderen bemerkte, versuchte ich zu lächeln, doch ich wusste, dass es nichts brachte. Sie waren meine Freunde. Sie konnten hinter die Maske blicken.

„Valtor!", rief Mandragora plötzlich aufgebracht und so laut, dass auch wir es hörten.

„Was ist denn nun schon wieder?", fragte Valtor recht entnervt.

„Ich spüre etwas merkwürdiges", sagte sie. „Eine Welle von magischer Energie."

„Unmöglich", sagte Valtor. „Diese Fesseln hindern die Mädchen daran, Magie auszuüben."

„Ich glaub auch nicht, dass sie es waren", sagte Madragora bestimmt.

Plötzlich war ein Funkeln in Valtors Augen zu sehen, auch wenn er recht weit entfernt stand. Ich bildete mir sogar ein, ein Lächeln zu sehen.

„Sie kommen", flüsterte er und im selben Moment explodierte mit einem lauten Knall die rechte Höhlenwand.

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