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Endlich war ich allein.
Nicht, dass ich die Gesellschaft von Kailee nicht genossen hätte, es war nur so, dass ich die Stille bevorzugte.

Die meisten Strände ich Jacksonville waren überfüllt mit kleinen Kindern, die im flachen Wasser spielten, Schwimmkursen, die im Meerwasser ihre Übungen vollzogen oder weiter draußen am Horizont Surfer die ihre Tricks übten.

Es gab nur ein paar Buchten die noch als Geheimtipp unter den Bewohnern galten. An denen keine Touristen ihre Haut in der heißen Sonne bräunten und keine Kinder schrien, weil sie sich beim Spielen verletzt hatten.

Eine davon war diese hier.

Ich ließ meinen Blick über den Sand gleiten. Er war fast weiß, glitzerte im Sonnenlicht jedoch golden. Da wo die Wellen die Körner überspülten waren sie dunkler, vom Wasser durchnässt, doch nicht weniger schön.

Der Strand war nicht lang und lag versteckt hinter einem kleinen Wäldchen aus Palmen und ein paar anderen Bäumen, die ich keiner Baumart zuordnen konnte. Da ich bis vor kurzem in Deutschland gelebt hatte, hatte ich sie zuvor noch nie gesehen.

Nur ein paar andere Menschen lagen entspannt verteilt auf ihren Handtüchern und schienen zu schlafen oder redeten miteinander.

Im Wasser zählte ich nur zwei Surfer.

Es war die perfekte Zeit. Ich konnte noch ein paar Stunden Surfen, bevor ich zurück nach Hause musste.
Wobei ich davor noch einkaufen sollte, da es niemand sonst in meiner zerbrochenen Familie für nötig hielt.

Ich ließ mein Skateboard in den Sand fallen und gleich daneben das Surfboard, was ich den ganzen Weg hierher getragen hatte. Zum Glück war es nicht allzu groß.

Vor noch nicht ganz so langer Zeit war ich mit Malik hier jeden Tag surfen gegangen.
Dann aber war Dad von einem auf den anderen Tag verschwunden und er hatte sich komplett verändert. Er war zu einem dieser Typen geworden, die von jedem Mädchen angehimmelt wurden. Nur seine Freunde aus dem Football-Team, würde ich als noch schlimmer bezeichnen.

Allerdings konnte ich es Malik noch nicht einmal verübeln. Für uns beide war Dad immer der wichtigere Teil unserer Eltern gewesen. Er hatte uns Football spielen beigebracht. Zudem auch das surfen. Er hatte Malik mit 14 Jahren das erste Mal an das Steuer seines Jeeps gesetzt und mir die Funktionsweise eines Motors erklärt. Er hatte uns alles gegeben, was Mum nicht einmal im Traum eingefallen war. Mum war nie jemand gewesen, der sich viel um uns gekümmert hatte.

Und jetzt war Dad weg. Und Mum, die nicht einmal mit ihrem eigenen Leben klar kam, musste sich allein um uns kümmern. Was sie nicht tat.

Um diese negativen Gedanken los zu werden, streifte ich mir meine weißen Sneakers ab und hob mein Board hoch.

Die Wellen waren heute hoch und ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen. Vorfreude keimte auf.

Ich liebte Herausforderungen.

Die erste Welle war einfach und ich nahm sie mit links. Eine einfache Aufwärmübung, bevor es schwieriger wurde.

Kleine, erfrischende Wassertröpfchen trafen mich, als ich mich durch die Wellen schlängelte. Ich schloss meine Augen halb und genoss das Rauschen, was meine Sinne vernebelte.

Je mehr Zeit verstrich, desto höher wurden die Wellen und desto mehr Energie erlangte ich. Mit jeder Welle, die ich surfte stieg die Freude.
Ich hätte ewig so weiter machen könnten.

Ich hätte mir ewig den reinen, weißen Schaum an den Füßen ansehen und das wilde Klatschen der Wellen anhören können.

Ich vergaß meine Probleme und lebte für diese Minuten meinen einzigen Traum.
Der allerdings relativ schnell endete, denn die Wellen türmten sich mit jeder Minute zu höheren Wasserbergen auf. Sie wurden gewaltiger und rauer.
Langsam schwang auch das Wetter um.
Die goldene Sonne wurde von riesigen dunklen Wolkentürmen verdeckt und mit einem Mal war diese wunderschöne Wärme von eben verschwunden.

Das geschah oft gegen Abend, wenn die Strömungen stärker wurden und der Wind zu nahm.

Malik hatte mich früher schon eine halbe Stunde vorher aus dem Wasser geholt. Und wenn ich nicht wollte, hatte er mich gezwungen.

Auch der Ozean konnte gefährlich werden.
Auch wenn man es dem trüben marineblauen Wasser selten ansehen konnte, es konnte dich mitreißen in die schwarzen Fluten, dich töten, wenn man nicht darauf achtete, sicher zu sein.

Vor allem gegen Abend.
Ein dunkles Donnern kündigte die nächste Welle an. Ein Blick nach hinten zeigte mir, dass sie riesig war. Größer als die anderen. Viel größer.
Solche Wellen fand man selten, denn es gab sie nicht häufig.

Ich hatte keine Angst.
Wer vor dem Ozean Angst hatte, wäre schon lange vom Wasser verschluckt worden.
Ich hatte höchstens Respekt.

Ich konzentrierte mich. Obwohl ich mich so stark, wie am Anfang fühlte, wusste ich, dass ich es nicht war. Surfen nagte an den Muskeln.
Diese Welle würde für heute die letzte sein. Vielleicht würde sie sich zu einer Tube formen. Dann könnte ich durch sie hindurch fahren.

Das hatte ich noch nie geschafft.
Dad hatte es uns einmal gezeigt und seitdem versuchte ich es. Immer und immer wieder.
Und immer und immer wieder war ich fehl geschlagen.
Malik hatte es einmal geschafft, wodurch mein Ehrgeiz geweckt worden war.

An den Rails des Boards schäumte das Wasser inzwischen, wie eine wilde Bestie, die mich töten wollte und ich spürte wie es anstieg.
Ich wendete das Brett ein wenig zur Seite.

Ich spürte sie.
Die Welle hatte sich hinter mir aufgetürmt und ich wusste, dass sich ihre Spitze auf der Wasseroberfläche brechen und nur eine seitliche Öffnung übrig lassen würde.
Dort musste ich hin.
Überall um mich herum war das zornige Wasser. Schäumend, lauernd, wild.
Und nur ein paar Meter entfernt sah ich vor mir die Öffnung.

Die Öffnung, die sich langsam zu schließen begann. Sie war weit weg.

Zu weit weg.

Ich ahnte schon, dass ich es nicht schaffen würde.
Verbissen beugte ich mich noch weiter in die Knie und verlagerte mein Gewicht nach vorne. Das war wahrscheinlich der größte Fehler, den ich hatte begehen können.

Das Board schien sich in der Welle zu verharken, stoppte abrupt, als würde ein Auto hart gegen einen Baum prallen, ein Ruck ging durch meinen Körper und ich wurde weiter gerissen. Ich stürzte schneller ins Wasser, als mir lieb war.
Ich konnte mein Board gerade noch packen, bevor ich spürte wie ich herum geschleudert wurde und unter tauchte. Ich dachte kurz ich würde das Brett fest halten können, aber die Ströhmung war deutlich zu stark.

Ich ließ es los.
Wasser umschloss mich und zerrte an meinen Beinen, riss an meinen Armen. Ich spürte wie die Welle über mir hinweg rauschte und ich wurde noch tiefer gedrückt. Abermals wurde ich zur Seite geschleudert, ein weiterer Ruck und endlich wurde das Wasser ruhiger.

Ich öffnete meine Augen vorsichtig.
Ich war immer noch unter Wasser, weswegen meine Sicht verschwommen war.
Das Wasser brannte wie glühende Flammen in meinen Augen. Ich biss die Zähne zusammen und suchte nach Licht, dass ich schließlich auch fand, mein Blick richtete sich nach oben. Ich erkannte dass es dort heller wurde und drückte mich mit zwei kräftigen Zügen an die Wasseroberfläche.

Keuchend und nach Luft ringend tauchte ich aus den Wassermassen auf und legte husten den Kopf in den Nacken.
Mein Board schrammte gefährlich nahe an mir vorbei und reflexartig griff ich danach.

Wenigstens war ich noch am leben.

Ocean PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt