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Sie wich meinen Blicken aus und senkte dann den Kopf.

"Komm schon, sag mir, wer ist es?"

"Ich-" ihre Stimme versagte schon bevor sie den Namen aussprechen konnte.

Und ich ahnte auch schon bevor sie endlich weitersprach, wer der Junge warm von dem sie geredet hatte.

"Ich denke sein Name ist Cillian."

"Du denkst?" Meine Stimme war kaum mehr ein Hauch, jegliche Kraft, jegliche Stärke war daraus verschwunden.

"Ich weiß nicht die Namen, von allen hier-" sie stockte, brachte es nicht über sich in meine Augen zu schauen.
"Aber es ist der, mit dem du so oft geredet hast. Der mit den dunklen Haaren. Und wenn mich nicht alles täuscht, ist er auch der einzige von deinen Freunden, der hier angetreten ist."

Ihre Worte schnitten wie scharfes Papier in zarte Haut.
Hallten wie ein Paukenschlag in meinem Kopf nach, immer und immer wieder.

"Es tut mir so leid-" sie brach den Satz ab und schluckte hart.

"Mir auch," flüsterte ich und taumelte ein paar Schritte weiter.

Natürlich war es ungerecht, Addy mit solch harschen Worten stehen zu lassen, aber einzig und allein Cillian übernahm meine Gedanken, sein Lachen, seine Augen, sein Mut. Nur Cillian war wichtig, nur er existierte in meinem Kopf, er war fast Familie, er war mir so wichtig wie mein Bruder. So wichtig wie Valentin.

Die Angst kehrte zurück, in kalten Wellen eroberte sie sich meine Aufmerksamkeit zurück, übernahm mein Handeln und mein Denken.
Mein Herz pochte, und immer wieder zuckte ich zusammen, als es ähnlich wie Hammerschläge, gegen meine Brust donnerte.

Zitternd ballte ich meine Hände zu Fäusten, bohrte meine Nägel in meine Haut.
Ich biss mir auf die Lippe um das keuchen zu verhindern, holte tief Luft, um mich zu beruhigen, doch etwas großes, etwas schweres, drückte auf meine Brust, machte es unmöglich zu atmen.

Ich richtete meinen verschwommenen Blick auf das schäumende Wasser, selbst der Ozean schien unruhig zu sein.

Ich musste ihn doch irgendwo dort sehen, ich musste mir das alles einbilden, vielleicht war ich eingeschlafen vor Müdigkeit.
Doch nur der helle, weiße Schaum auf den majestätischen Wellen, spritzte auf, in den blauen Himmel, nirgendwo war ein einziger Surfer zu sehen.

Cillian war nicht dort auf dem Wasser, höchstens unter den blauen Fluten, doch wirklich?
Cillian?
Ausgerechnet er, sollte dort irgendwo gestürzt sein, hinunter in die Tiefe gedrückt worden sein?
Der talentierteste Junge, den ich je kennen gelernt hatte, war noch nie gestürzt, nicht seitdem ich ihn kannte.

Er hätte niemals einfach so aufgegeben, er wäre aufgetaucht, hätte sich hoch gezogen. Er hätte weiter gemacht.
Cillian hätte niemals aufgegeben.
Niemals.

Ich schob die Schuld auf den Wind, dass mir Tränen in die Augen traten, Cillian lebte, ich wusste es.
Er konnte nicht sterben.
Nicht heute.
Nicht hier.
Nicht beim Surfen.
Nicht bei dem, was er am liebsten tat, Cillian war ein Kämpfer. Ein unendlicher Kämpfer, dieser Junge würde nicht sterben.

Mein Herz schien sich selber zu zerstören, so voller Wucht drangsalierte es meine Brust. Ich hielt den Atem an, denn Luft wollte sowieso nicht in meine Lungen gelangen.

Auf den kleinen Tribünen war es merkwürdig still geworden, als würden sie alle den Atem anhalten.
Was Valentin wohl gerade tat?
Wusste er, dass es sich hier um Cillian handelte?

Alle die Blicke lagen auf dem unruhigen Wasser, auf den stürmischen Wellen, auf dem leeren Ozean.

Unten am Strand regte sich etwas, nah am Wasser, sammelten sich ein paar der Surfer, doch von hier konnte man nicht sehen, was sie gefunden hatten.

Ich löste mich aus meiner Starre, bewegte mich allerdings weiter wie in Trance über den feinen Sand in Richtung der Stelle.

Nur ein paar Sekunden danach zerstörte dieser eine Satz die erdrückende Stille, ein Ruf, der mein Blut gefrieren ließ, wie ein Teich im eiskalten Winter.

"Ruft einen Krankenwagen! Oh mein Gott, einen Notarzt! Sofort!"

Einer der Versammelten bewegte sich ein Stück nach rechts, sodass der Blick frei wurde, auf das Wasser am Ufer.

Es hatte sich hellrot gefärbt, erinnerte an blasse rosarote Rosen.
Kühles, klares Wasser, dass langsam die Farbe änderte.

Ich sah ihn halb im Wasser liegen, die Versammelten zogen ihn gerade komplett auf den Strand.
Sie hatten ihn kurz darauf im Sand abgelegt, und schrien durcheinander, wie auf einer Highschool Party. Das hier war keine Party es war bitterer Ernst.

Tränen rannen mir über die Wangen, als ich los rannte, nur Cillian sehend, verletzt auf dem Boden liegend.
Wie hatte das passieren können?

Ich spürte nichts, als ich mich rücksichtslos durch die Menschen drängelte. Ich spürte nichts, als ich mich in den Sand stürzte und seinen Puls fühlte. Ich spürte nichts, als ich diesen fühlte.
Ganz schwach.
Cillian hatte die Augen geschlossen.
Als ich das ganze dunkle Blut an seinem Körper sah, wurde mir übel. Als ich die Wunde, die sich von seinem Becken bis zu seinem rechten Knöchel weiter zog, erkannte, schloss ich nicht meine Augen.
Cillian musste unglücklich gefallen sein und sich die Wunde an einem Felsen zu gezogen haben. Diese Bucht war bekannt für ihre tückischen Riffe. 
Die spitzen Steine.
Die Verletzungsgefahr.

Ich hörte mein eigenes Schluchzen nicht.
Ich bekam nicht mit, wie auf den Rängen der Tribüne plötzlich Panik aufkam.
Warum hatten sie Angst?
Nicht sie hätten Angst um sich haben sollen.
Sie hätten Angst um Killian haben sollen.

Aber Menschen hatten in solchen Situation nur diese egoistische Angst, und wollten sich selbst in Sicherheit bringen.
Auch wenn ihnen nichts passieren konnte, brach diese Massenpanik aus.

Die Sanitäter waren so schnell wie möglich gekommen, zogen mich von ihm weg und luden ihn auf eine Trage.

"Möchten sie uns begleiten?" Wurde mir die Frage gestellt und ich nickte hastig.

Sie gaben mir eine Decke und führten mich ebenfalls zum Krankenwagen, bei dem kurz darauf die Türen zugeknallt wurden und sich der Wagen in Bewegung setzte.

Cillian. Der immer für mich da gewesen war.
Cillian. Der so viel erlebt und das hier niemals verdient hatte.
Ausgerechnet ihm, musste das hier passieren?

Ich hörte das Piepsen der Geräte wie durch einen Schleier. Ich sah Cillian vor mir auf der Liege nur schemenhaft.
Der Krankenwagen fuhr in atemberaubender Geschwindigkeit.
Cillian würde verbluten. Er würde vielleicht sogar sterben.
Ich wusste nicht, wie viele Tränen ich schon vergossen hatte und es wurden nicht weniger. Ich konnte nicht aufhören zu weinen.
Aber irgendwann setzte mein Denken aus und ich tat nur noch das, was man von mir verlangte.
Warten, ob Cillian überlebte.

Ocean PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt