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Ich war in der tiefen dunklen Hölle angekommen.
Nur das die Hölle anders aussah, als angenommen.
Es war keine finstere, unheimliche Höhle mit einem Thron auf dem Satan saß, nein, es war eine Umkleidekabine in einem Strandhaus, in dem man all die Rufe und Schreie der tosenden Menge so laut wie draußen hören konnte.

Und verdammt bei Gott, ich hatte Angst. Unglaubliche Angst.
Mit hämmerndem Herzen schloss ich die Augen und atmete tief ein und aus.
Wieso? Wieso hatte ich mich hierauf eingelassen? 

Ich glaube mir wurde schwindelig.
Alles fing an sich zu drehen, Schweiß trat mir auf die Stirn.
Ich würde dort draußen sterben.
Ich konnte das nicht!

Ich bekam größere Panik als je zuvor. Es fiel plötzlich viel zu schwer zu atmen, die Luft fehlte. Mein Hals brannte, Tränen traten mir in die Augen.
Ich hörte mein Herz schlagen, als würde es meine Brust zerreißen wollen, meine Lungen schrien nach Luft, doch ich war zu schwach um nach Luft zu schnappen. Ich taumelte, griff zur Seite um irgendwas zu fassen, was mich stützen konnte, da war nur die Wand.
Ich lehnte mich an sie, starrte panisch nach oben und schloss dann die Augen, um mich zu beruhigen.
Ich durfte mich nicht in die Panik hinein steigern, dann würde es schlimmer werden.
Das Stechen in meiner Brust klang ab und das Zittern meiner Finger wurde weniger.
Das war nicht meine erste Panikattacke gewesen, aber eine der schlimmsten bis her.

"Thea?"
Es klopfte energisch an die Tür der Umkleide.

Ich konnte nicht aufmachen.

Valentin hatte mir so oft gesagt, dass ich das schaffen würde. Owen hatte mich hundert mal umarmt. Malik wollte mich nicht einmal gehen lassen.
Aber all das Gerede, sie wussten es nicht. Diese Panik vor der Aufmerksamkeit, diese Panik vor all den grauenhaften Blicken auf mir, all die Rufe, all die Augen. Ich hatte solche Angst. Wie sollte ich dort raus gehen, zwischen all die wachsamen Blicke und mein Ding durchziehen?
Mir wurde schlecht.

"Thea? Komm bitte, mach die Tür auf!" Nur Cillian konnte es sein, der diese dunkle Stimme besaß.
Was machte er hier? Was wollte er hier? Niemand würde mir helfen können. Ich musste hier weg. Weg von diesem schlimmen Ort.

Er würde stolz aus dem Gebäude treten, mit seinem Surfbrett in der Hand und allen zu winken.
Cillian würde es schaffen. Cillian konnte das. Er hatte Talent und er brauchte diese Aufmerksamkeit.

"Was ist bei dir los, Thea? Los mach diese scheiß Tür auf!"
Er hämmerte mehrmals fest gegen die Tür und endlich hatte ich die Kraft dazu, sie auf zu schließen. Er drängte sich unmittelbar danach in die kleine Kabine und kniete sich direkt vor mich.

"Scheiße," fluchte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen, und umfasste meine Hände.

"Geht es wieder? Du musst das hier nicht tun, ich hoffe du weißt, dass dich niemand zwingt."

"All diese Menschen...," zitternd kauerte ich hier an der Wand und malte mir die schrecklichsten Momente aus.

"Ich bin immer da, und Malik ist immer da. Und Valentin, wird jeder deiner Entscheidungen akzeptieren, denn er liebt dich, mit allem was er hat. Du musst da nicht raus."
Cillian strich mir ein, zwei Haarsträhnen hinter das Ohr und sah mich an.
Sein Blick war sanft, ganz und gar nicht abweisend oder kalt.

"Cillian, ich kann das nicht..." flüsterte ich und kniff die Augen fest zusammen.
Ich wollte, dass all das hier endete.
Die Angst lähmte mich, wie kaltes Gift, verhinderte klare Gedanken und anstrengende Bewegungen.

"Hör auf das zu denken, wenn du eine Sache kannst, dann das hier. Du kannst das hier gewinnen. Du wirst hier gewinnen."
Cillian lächelte.
"Du bist die beste von allen dort draußen. Wenn ein Mädchen es schaffen sollte, dann du."
Ich schüttelte entsetzt den Kopf, murmelte 'nein' vor mich hin und krallte meine Finger um seine Hände.

"Cillian ich kann das nicht!" Wie dieser Satz durch meine Gehirn rauschte, so endgültig, so kräftig, ließ all meine anderen Gedanken verstummen, sie zu einem nichts werden.

"Hör auf damit, Thea, dieser Satz bringt dich dazu alles auf zu geben, wofür du in letzter Zeit gearbeitet hast. Wir alle glauben an dich. Wir alle wissen, du schaffst das. Ich weiß wie du dich fühlst, ich kenne das, glaub mir. Aber wenn du es nicht versuchst, wirst du nie sagen können, dass du es probiert hast. Pass auf. Du gehst dort raus. Du schaust sie nicht an. Du fährst. Du gewinnst. Und danach kannst du wunderschöne Tage mit Valentin verbringen. Du schaffst das. Wir schaffen das. Gib nicht auf, Thea. Ich gebe auch nicht auf."

Cillian hatte ebenfalls Angst.
Vielleicht brachte mich die Tatsache, dass ich Angst hatte dazu, darauf zu achten, wie es anderen ging. Es war das erste mal, dass ich sah, dass auch seine Augen so viel zu sagen hatten.
Er war nicht nur dieser kalte Junge, den ich am Anfang kennen gelernt hatte. Das hätte mir schon auffallen müssen, nachdem er mir seine Vergangenheit anvertraut hatte. 
Wenn er nicht anders konnte, dann versteckte er seine Gefühle nicht weiter. Die Angst zu versagen, ließ auch ihn in Panik verfallen.

"Jeder steht hinter dir. Valentin und Leo, Ali und Faye, Willow, ich, all deine Freunde. Sie glauben an uns. An dich. Und an mich. Glaub ihnen, glaub mir, wir schaffen das."

Seinen Worten zu lauschen tat gut. Sie ließen diese Angst in den Hintergrund treten und mein Atem normalisierte sich langsam.
Er musste Recht haben. Ich durfte nicht mehr ans Versagen denken.
Cillian hatte Recht.
Er hatte Recht.
Ich stand auf und straffte meine Schultern. 
Ich nahm mein Surfboard, was vorher locker an der Wand gelehnt hatte, in die Hand und öffnete die Kabinentür.

"Du hast Recht, ich muss dir wohl glauben, Cillian. Ich verspreche dir, ich werde das schaffen."

Entschlossen drängte ich all die Panik, die Angst, die Sorge zurück. Zurück in den aller, aller letzten Teil meines Bewusstseins. 
Niemand, nicht einmal ich selber konnte mich jetzt noch aufhalten das durchzustehen, was uns bevor stand.
Ich trat aus der geöffneten Tür hinaus und warf einen Blick zurück zu dem schwarzhaarigen Jungen, dessen Mundwinkel nach oben zuckten.

"Ich schaffe das."

Ocean PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt