Kapitel | 9

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Es dämmerte bereits, als ich wütend aufs Meer hinaus starrte. "Sei nicht albern, es ist viel zu gefährlich für eine Frau.", versuchte Hvitserk mich zu überreden. Ich sah ihn trotzig an.
"Helga kommt auch mit!"
Er unterdrückte ein Seufzen. "Ja aber sie ist auch Flokis Frau. Du bist-", er brachte den Satz nicht zuende, aber ich wusste auch so, was er sagen wollte.
"Nur eine Sklavin?", antwortete ich bissig. Dass er darauf nichts erwiderte versetzte mir einen Stich. "Eivor", er griff nach meinen Schultern. In seinen Augen spiegelte sich die Sonne. "Ich will nur, dass dir nichts passiert. Sie Sachsen kennen keine Gnade. Auch nicht Frauen gegenüber." Ich biss die Zähne zusammen und vermied ihn anzusehen.

"Wir fahren kurz nach Mitternacht, falls du uns verabschieden willst." Damit ging er zu seinen Brüdern, die am Hafen die Schiffe kontrollierten und ließ mich stehen. Ich schluckte wütend. Als ich ihm vorgeschlagen hatte mich mitzunehmen, hatte er mich nur ungläubig angestarrt. Als ob das so unüblich wäre Frauen mitzunehmen! Ich hatte gehofft, dieser Stadt und der Langeweile entfliehen zu können. Hatte gehofft keine Sklavin mehr sein zu müssen. Niedergeschlagen sah ich ihm hinterher, wie er auf eines der Schiffe kletterte und mit Floki sprach. Dann fasste ich einen Entschluss: Ich würde doch mitfahren!

Kurz vor Mitternacht stopfte ich meine alte Kleidung, die ich noch aus der Zukunft hatte, in einen Seesack. Ich hatte es bisher nicht über mich gebracht sie wegzuschmeißen und nun könnte sie vielleicht noch einmal nützlich sein. Ich streifte meine Turnschuhe über und schlich mich leise aus der Hütte. Draußen schien der Mond und erhellte die Gassen. Ich duckte mich in den Schatten und hoffte nicht gesehen zu werden. Bei den Docks angekommen hielt ich mich erst einmal bedeckt. Ich sah eine Gestalt an Bord des Schiffes, welches die Brüder am Nachmittag heimlich vorbereitet hatten. Die Person war groß und eine Axt hin an dem Gürtel. Ich fluchte lautlos. Wie sollte ich an dem vorbei kommen?

Doch dann fiel mein Blick auf eine Gruppe Fässer. Meine Gedanken rasten. Ich wartete, bis der Kerl hinter dem Mast verschwunden war, dann sprintete ich los. Bei den Fässern angekommen, atmete ich erst einmal tief durch. Sie waren groß genug, dass ich mich dort verstecken könnte. Es war eine absurde Idee. Aber auch meine einzigste.
Also hob ich lautlos den Deckel und kletterte hinein. Ich landete auf etwas weichem und es stank nach Fisch. Ich zog eine Grimasse und verschloss den Deckel über meinem Kopf. Dann wartete ich.

Ein Ruckeln riss mich aus dem Schlaf. Die Fische unter meinen eingeschlafrnen Beinen schwankten. Von draußen hörte ich gedämpfte Stimmen. "Bei Odin, ist das schwer. Welcher Idiot hat so viele Fische eingepackt!?"
"Still!", zischte ein anderer. Vorsichtig lugte ich durch ein Astloch, doch ich sah nur dunkelbraunen Stoff.
Das Fass wurde abgestellt und die Männer entfernten sich. Ich holte erleichtert Luft, wusste nicht einmal, dass ich den Atem angehalten hatte.
Einige Stimmen gaben gedämpfte Anweisungen und ich glaubte Ivars dängende Stimme zu hören.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schienen wir auf dem Meer zu sein, denn der Wind pfiff nun stärker und der Boden schwankte deutlich mehr. Ich wartete noch eine Weile um ganz sicher zu sein, dann spähte ich vorsichtig durch das Astloch. Zuerst sah ich nur nasses Holz, dann erkannte ich in einiger Entfernung, wie Menschen hin und her liefen. Ich atmete noch einmal tief durch, fasste mir ein Herz und hob den Deckel des Fasses.

"Dachte ich's mir doch!" Der Deckel wurde abgerissen, ehe ich ihn komplett öffnen konnte. Es war immer noch dunkel, nur der Mond spendete fahles Licht. Wir waren mitten auf dem Wasser, kein Festland weit und breit. Die dunklen Segel flatterten im Wind und hinter uns fuhren fünf weitere Schiffe. Und da wurde mir erst bewusst, welchen Einfluss Ragnar gehabt haben musste, wenn sechs Schiffe aufbrachen um Rache an den Sachsen zu üben.
Ich schluckte. War das wirklich so eine gute Idee gewesen mitzukommen? Ich wusste doch gar nichts über die Schiffahrt und übers Kämpfen.

"Dich können nicht einmal die Götter von etwas abbringen, huh?"
Ich zuckte erschrocken zusammen und sah nach oben zu Ubbe, der mich mit erhobener Braue angrinste. "Brødre!", rief er und seine Brüder Ivar und Hvitserk drehten sich zu uns um. Ich schloss die Augen, Hvitserk würde bestimmt wahnsinnig sauer sein. Aber ich hatte es darauf ankommen lassen...
"Deshalb war das Fass so schwer.", murmelte ein Mann rechts von uns und ich erkannte Halfdan, Haralds Bruder. Die beiden Brüder standen bei Floki und Hela, deren langes Haar im Mondlicht schimmerte. Ivar und Hvitserk saßen am Steuer und während Ivar mit wütend anstarrte, umspielte ein amüsiertes Lächeln Hvitserks Lippen.

"Du gibst nie auf was?"
Unbeholfen und mit Ubbes Hilfe kletterte ich aus dem Fass. Floki hielt sich die Nase zu als ich an ihm vorbeikam. Bei den Brüdern angekommen ließ ich mich auf eine der Holzbänke nieder. Ich vermied ihren Blick. Hvitserk sagte erst einmal gar nichts, aber Ivar brach hervor: "Was in Hels Namen hast du dir dabei gedacht!?"
Ich sah ihn an. Seine blauen Augen glühten vor Zorn. "Ich-"

"Nein!", unterbrach er mich und richtete sich auf. "Hvitserk hat dir ausdrücklich verboten mitzukommen. Und was tust du?" Er fuchtelte wild mit den Händen herum.
"Ivar", versuchte Hvitserk seinen Bruder zu besänftigen. "Du hast seine Befehle missachtet.", fuhr dieser jedoch unbeirrt fort. "Ich weiß nicht, was das in deiner Kultur bei Gehorsamsverweigerung passiert, aber bei uns bedeutet das Folter." Ich starrte ihn entsetzt an. Meinte er das jetzt ernst? Was war in ihn gefahren!? "Ivar!", seine Brüder sahen ihn ebenso geschockt an. "Sie hat sich nur mit auf's Schiff geschmuggelt, das ist doch kein Gehorsamsverweigerung!", meinte Ubbe erreget. "Wir können es nicht mehr ändern.", fügte Hvitserk hinzu. Ivar sah sie mit stechenden Augen an.

Dann fuhr sein Blick zu mir herüber und ich fühlte mich plötzlich nackt. Als ob er direkt in meine Seele sah und plötzlich jagte er mir Angst ein, wie schon bei unserem ersten Treffen. Ich konnte seinem Blick nicht standhalten und sah weg.
"Ich weiß nicht.", sagte Ivar zornig und schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht was du bist, aber du bist anders! Schon seit du angekommen bist kommst du mir seltsam vor. Und dass du aus Hedeby kommst, kann ich nicht glauben. Ich kenne die Leute dort."

Ich sog scharf die Luft ein. Ahnte er etwas? Hvitserk legte eine Hand auf Ivars Schulter. "Ich auch Ivar und sie ist nicht anders." Ivar schnaubte und warf seinem Bruder einen bedeutungsvollen Blick zu. "Sicher"
"Ich finde es auch nicht toll, dass sie sich aufs Schiff geschlichen hat. Aber wir können nicht ändern, dass sie hier ist. Und vielleicht kann sie uns ja sogar helfen."
"Sie kann mir helfen.", meldete sich Helga zu Wort. "Siehst du", sagte Hvitserk und sah Helga dankbar an. Die junge Frau würde sich um das Lager und das Essen kümmern. Total die Hausfraurolle. Aber was hatte ich erwartet, schließlich war mir eigentlich verboten worden mitzukommen.

Ivar sah mich noch einmal durchdringend an, dann zog er sein Messer und begann es zu säubern. Beim Anblick der Waffe zog sich alles in mir zusammen und ich erinnerte mich an das Museum. Wie um alles in den neun Welten war ich hergekommen?

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Hey, tut mir echt super Leid, dass so lange kein Update kam. Mir war irgendwie die Kreativität ausgegangen...

Aber vielen Dank an Shantikiri für die vielen Votes 😘
Und danke SometimesGwen und Cocolothbrok3 dass ihr diese Story zu eurer Leseliste hinzugefügt habt 💕

Between Two WorldsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt