Kapitel | 23

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Nein! Nein, nein, nein!
Bitte nicht!
Er riskierte mein Leben für mich! Unter anderen Umständen hätte ich das süß gefunden, doch ich hatte gesehen, wie Ivar kämpfte. Und dass er querschnittsglähmt war, schien ihn überhaupt nicht zu hindern. Im Gegenteil - irgendwie machte ihn das nur zu einem noch verbissenerem Kämpfer.

Ich zerrte an meinen Fesseln, doch sie zogen sich nur noch enger zusammen. Der Kerl hinter mir, riss an meiner Kleidung, um mich zur Ruhe zu zwingen. Ich gab mich geschlagen und sah nach vorne. Ivar und Hvitserk standen kampfbereit vor einander. Ivar immer noch auf Krücken gestützt.
Der Jarl holte teif Luft und verkündete dann die Regeln.

"Jede Waffe darf benutzt werden. Beide Kämpfer haben ein Anrecht auf einen Schild. Wird dieser zerstört, können sie nicht ersetzt werden. Mögen die Götter dem Besseren beistehen!"

Zwei Männer drückten Ivar und Hvitserk einen Schild in die Hände. Als Ivar den Schild ergriff, musste er eine Krücke loslassen. Er schwankte kurz, fing sich dann aber wieder und stand aufrecht da, als hätte er normale Beine. Er musterte den Rundschild kurz. Dann warf er einen Blick auf Hvitserk und schmiss seinen Schild an den Rand des Platzes. "Ich brauche keinen Schild."

Die Leute murmelten und Ivar sah Hvitserk beinahe überlegen an. Hvitserk grummelte und warf seinen Schild ebenfalls beiseite. Die Brüder sahen sich feindselig an, als wären sie nie verwandt gewesen. Ihnen wurde Äxte gegeben, sodass jeder nun nur mit einer Axt kämpfte.

Jemand blas in ein Horn und der Kampf begann. Zuerst umrundeten sie sich nur. Die beiden bewegten sich langsam im Kreis, behielten ihren Gegner dabei immer genau im Blick. Ivar grinste, doch es sah eher aus wie ein Zähneblecken. Hvitserk ruckte mit den Schultern seinr Rüstung zurecht. Er festigte seinen Griff um den Axtstiel und führte seine Runde im Kreis weiter.

Mein Herz klopfte bis zum Hals, obwohl es noch nicht einmal begonnen hatte. Dann machte Ivar den ersten Schlag. Er holte aus und wollte seine Axt auf Hvitserk schleudern. Dieser wich aus, doch Ivar hätte ihn eh nicht getroffen. Die Krücke rutschte weg und Ivar knallte zu Boden. Er schlug hart auf und man hörte alle Luft aus seiner Lunge entweichen.

Einige Leute lachten auf, verstummten jedoch schnell wieder, als sie Ivars blick sahen. Hvitserk zögerte. Man sah ihm förmlich an, wie sehr es ihm widerstrebte gegen seinen eigenen Bruder zu kämpfen. Doch Ivar hatte sich schnell wieder erholt. Er hatte sich auf den Rücken gedreht und schlug mit der Axt auf Hvitserk Beine ein. Dieser wich aus und machte einen halbherzigen Schlag auf seinen Bruder zu.

Ivar parierte den Schlag mühelos und setzte sich auf. Die Menge hatte inzwischen angefangen zu jubeln, doch ich wusste nicht, wen sie anfeuerten. Ich zog noch einmal kräftig an meinen Fesseln und da merkte ich, wie sie sich lösten.
Das Krachen von Metall ertönte das gesamte Dorf und obwohl Ivar nur saß und sich auf dem Boden herumwarf, hielt er seinen Bruder ordentlich in Schach.

Sie hatten sich unabsichtlich immer weiter nach links bewegt, auf eine niedrige Steinmauer zu. Ivar stieß mit dem Rücken dagegen und ich sah Triumph in Hvitserk Augen aufblitzen. Er dachte schon er hätte gewonnen. Da schwang sich Ivar mit einem Ruck seines freien Armes auf die Mauer, sodass er nun auf Hvitserks Brusthöhe war.

Sie liederten sich noch einige haarsträubende Schläge und ich sah mit Schrecken zu, wie Ivar Hvitserk an der Schulter verletzte. Es war nicht schlimm, aber sein schmerzverzerrtes Gesicht brannte sich in mein Gehirn.
Die losen Fesseln hatte ich in meinen geballten Fäusten versteckt. Meine Bewacher waren eh zu abgelenkt um auf mich zu achten.

Es sah beinahe so aus, als hätte Ivar die Oberhand gewonnen, als sich ihre Äxte plötzlich verhakten. Mit einem Ruck riss Hvitserk Ivars Axt aus dessen Hand. Die Waffe schleuderte davon und wirbelte Sand auf. Doch ehe Hvitserk seine Klinge an Ivars Kehle legen konnte, packte dieser ihn an der Schulter und riss ihn herum. Hvitserk war so überrascht, dass er nicht ausweichen konnte.

Irgendwie gelangt Ivar auf Hvitserks Rücken, sodass er Huckepack saß. Irgendwie sah es witzig aus, obwohl es ein Kampf war.
Da fuhr Ivars Hand plötzlich zu seinem Gürtel und er zückte ein Messer. Das Messer, das mich seit Beginn der Resie verfolgte. War das überhaupt erlaubt? Die einzigen Waffen waren doch ihre Äxte. Doch der Jarl sagte nichts. Er stand nur mit verschränkten Armen am Rand des Platzes und sah den Kämpfenden finster zu.

Da wurde ich plötzlich von einer übermächtigen Entschlossenheit ergriffen. Sie würden bis aufs Blut kämpfen, wenn keiner aufgab. Und ich hatte die zwei inzwischen gut genug - es würde niemand freiwillig aufgeben. Sie würden bis zum Tod kämpfen, wenn ich nicht eingriff. Ich musste etwas tun!

Hvitserk schüttelte sich und versuchte Ivar abzwerfen, doch dieser klammerte sich fest. Er ergriff Hvitserks rechten Arm und verdrehte ihn so, dass er den Griff um die Waffe lösen musste. Hvitserk schrie vor Schmerz auf und die Axt fiel dumpf auf den Boden. Das war unfair!, dachte ich. Die beiden rangen mit einander und Hvitserk beugte sich ruckartig nach vorne, sodass Ivar über seine Schultern herunter fiel.

Dabei packte Hvitserk Ivars Hand und schleuderte ihm das Messer aus der Hand. Es flog durch die Luft und landete einige Meter von mir entfernt. Ich konnte die Schnitzereien im Griff deutlich erkennen. Plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte. Die beiden Brüder rangen nun mit bloßen Fäusten miteinander und beide hatten bereits dunkle Flecken im Gesicht. "Gib auf Hvitserk!", lachte Ivar. "Du kannst nicht gewinnen!" Hvitserk knurrte und sein Kopf wurde zur Seite geschleudert, als Ivars Faust ihn traf.

Da riss ich mich aus dem schlaffen Griff meines Bewachers los und rannte. Der Kerl rief erschrocken auf, doch ich achtete nicht auf ihn. Ich achtete auch nicht auf die empörten Laute der Zuschauer oder Ubbes Schrei. Alles was ich wahrnahm war das Messer vor mir. Ich ergriff es und der Holzgriff schmiegte sich in meine Hand, als wäre er extra dafür geschnitzt worden. Ich sah auf zu den Brüdern, wollte losrennen und Hvitserk helfen. Doch meine Beine waren plötzlich wie aus Eis.

Ivars Blick traf meinen und zum ersten Mal seit langer Zeit war er nicht hasserfüllt. Er sah mich verwirrt und auch ein bisschen ehrfurchtsvoll an. Das verwirrte mich total. Meine Augen trafen Hvitserks und er sah nicht viel besser aus. Nur dass in seinen Augen unendlicher Schmerz und Zuneigung stand. Ich wollte etwas sagen, doch ich konnte nicht. Plötzlich zogen aller Erinnerungen, die ich mit Hvitserk erlebt hatte an mir vorbei.

Wie ich auf dem Marktplatz gegen ihn gestoßen war, wie ich ihm die Wahrheit über mich erzählt hatte, die Fahrt nach England, der Kampf. Und dazwischen unsere Küsse. Als wäre alles vorherbestimmt worden. Als wäre alles nur deswegen passiert, dass wir uns treffen und uns verlieben. Hvitserks Lippen formten einen Namen, doch ich hörte ihn nicht. Ich hörte gar nichts mehr. Noch einmal sah ich ihm in die Augen, legte alle meine Gefühle in diesen einen Blick. Dann waren sie verschwunden.

Ich keuchte nach Luft und hörte plötzlich meinen Namen
"Eivooor!" Es klang herzzerreißend und mein Herz setzte aus. Ich wollte antworten, doch meine Stimme hatte mich verlassen. Sie waren fort. Alle! Und ich war plötzlich nicht mehr in Hedeby. Wieder war da eine Leere, wie ich sie schon einmal gespürt hatte und eine schreckliche Ahnung beschlich mich.

Ich tauchte in Wasser ein, doch es war kein wirkliches Wasser. Geräusche einer Schlacht hallten zu mir herüber und instinktiv sah ich mich nach meinen Freunden um. Ein Rabe krächtze und ich hörte eine raue Stimme: "Die Zeit kann dein Freund sein, genauso wie dein Feind."
Der Seher! Ich sah mich um, sah jedoch nichts außer grauen Nebel. "Verlust begleitet deinen Weg" Immer wieder trafen Wortfetzten mein Ohr. "Verrat"

"Du wirst eine schwere Entscheidung fällen müssen"
Dann hörte ich Hvitserks Stimme. "Wenn Götter auf der Erde erscheinen, glaubst du nicht, dass sie auch Menschen durch die Zeit schicken können?"
Tränen liefen mir über die Wange. Der Seher hatte Recht. Mit allem! Ich hatte alles verloren!

Plötzlich kam ich ruckartig irgendwo auf. Meine Schulter stieß auf harten Boden. Ich hielt einen Schlutzer in der Kehle zurück. Vorsichtig öffnete ich die Augen und blinzelte gegen das helle Licht. Verblasste Holzplanken, Glaswände, Steinboden. Ich begann zu zittern und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Irgendwo hörte ich Stimmen wie einen Bienenschwarm murmeln. Mir wurde schlecht.

Ich packte den Holzgriff des Messers fester und schrie lauthals auf als ich es realisierte. Ich war wieder in der Zukunft. Meine Kehle schnürte zu und ich würgte. Grellender Schmerz durchfuhr mich. Ich hatte alles verloren.

"HVITSERK!"

___

Na, was meint ihr? Ist sie echt wieder in der Zukunft?

Between Two WorldsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt