Kapitel | 7

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Die Tatsache, dass meine einzigen Freunde in diesem fremden Land bald fort sein würden, trübte meine Laune immens. Ich konnte an nichts anderes mehr denken und hoffte schon sie würden mich vielleicht mitnehmen. Doch das war Unsinn. Ich schalt mich selbst für meine Dummheit. Niemals würden sie ein Mädchen mit auf Rachezug nehmen. Schon gar keine Sklavin!

Die letzten Wochen waren erstaunlich ruhig, wenn man bedachte, was hinter dem Rücken der Königin getrieben wurde. Immer, wenn ich zwei Männer flüstern hörte, fragte ich mich, ob sie über den geheimen Rachefeldzug sprachen, den die Brüder anführen würden. Lagertha selbst schien nichts davon mitzubekommen.

Oder sie ließ sich nur nichts anmerken. Da ich ihre Sklavin war, wusste ich inzwischen, dass sie ihre Augen und Ohren überall hatte. Oftmals kam eine ihrer Schildmaiden und raunte ihr etwas ins Ohr. Lagertha war über alles informiert was in ihrer Stadt passierte - jedoch nicht darüber, was Ragnars Söhne taten.

Es war ein sonniger Morgen, was ungewöhnlich war, wenn man bedachte, dass es bald auf den Herbst zuging.

Hier im Norden war das Wetter sogar im Spätsommer rauer als Zuhause. In Deutschland hatte man sogar noch im September schöne Sommertage, aber hier war ich glücklich wenn ich nur den hellen Schein durch die Wolken sah. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, ich wusste nicht welcher Tag heute war, ganz zu schweigen von welchem Monat. Vielleicht war es bereits September?

Manchmal redeten die Leute vom Odinstag, oder sie priesen Frigg und Thor an verschiedenen Tagen. Doch ob die Wikinger Wochentage hatten, daran konnte ich mich nicht erinnern.

Generell hatte ich vieles, was ich zuvor über dieses Volk zu wissen glaubte vergessen. Stattdessen machte ich mir ein neues, genaueres Bild. Wenn ich wieder in die Zukunft gelangen würde, würden die Wissenschaftler sich darum reißen mit mir zu sprechen, dachte ich grimmig. Doch wer wusste schon ob ich überhaupt je wieder zurück kommen würde...

Wie gesagt, diesen sonnigen Morgen verbrachte ich in der großen Halle der Königin. Sie selbst war irgendwo hingegangen um Geschäfte zu machen, oder was Königinnen sonst so tun. Ich wischte den verschütteten Met und den Haferschleim vom Frühstück auf. In meinen Gedanken spielte sich immer wieder eine Szene ab: Wie ich Hvitserk sagte, dass ich aus der Zukunft käme.

Ich hatte nämlich beschlossen es ihm zu sagen. Und zwar nur ihm, den ihm vertraute ich am meisten. Mein Gewissen hatte mich überredet. Er war immer so nett zu mir, verbrachte sogar Zeit mit mir, obwohl ich eine Sklavin war und seine Brüder und Freunde ihn deshalb aufzogen. Und ich dankte es ihm indem ich ihn belog.

Ich spielte schon länger mit dem Gedanken es ihm zu sagen, doch jedes Mal, wenn ich drauf und dran war, siegte meine Angst. Was wenn er mich für verrückt erklärte? Wenn er mich für eine Hexe hielt und mich verbrannte? Das war zwar erst im Mittelalter so, aber wer wusste schon, ob die Wikinger nicht damit angefangen hatten? Zuzutrauen wäre es ihnen...

Ich schrak aus meinen Gedanken, als ich Schritte hörte. Ich wischte eifriger, damit Lagertha sah, dass ich ich anstrengte. Da sagte jemand: "So früh am Morgen und schon so eifrig am Aufwischen?"

Es war Hvitserk, der grinsend auf mich zukam. Ich hatte ihn zuletzt beim Frühstück gesehen, dort hatte er mich aber hauptsächlich ignoriert, so wie er es jede Mahlzeit tat. Am Anfang hatte es mich gekränkt, doch nun wusste ich, dass er sich so verhalten musste. Es gehörte sich nicht unnötig lange mit den Sklaven zu sprechen. Schon gar nicht in der Halle der Königin.
"Ich tue nur das was man von mir verlangt.", sagte ich. "Ich diene unserer Königin."

Hvitserk schnalzte mit der Zunge. "Wenn Lagertha das bloß wüsste."
Ich schlug mit dem Lappen nach ihm und er sprang lachend zurück. "Was willst du hier? Störe mich nicht bei meiner Arbeit!", kicherte ich.
"Ich bin hier, weil ich Ivar suche. Wir wollen noch einmal unsere Reise durchsprechen."

Ach ja, die Reise nach Northumbrien. Wie sehr ich diesen Ort in letzter Zeit hassen gelernt habe. Und das obwohl ich noch nie dort gewesen war. "Habt ihr das nicht schon längst?"
Hvitserk rollte mit den Augen. "Doch, aber beim Frühstück meinte Ivar wir müssten das nochmal durchgehen, ihm sei etwas Neues aufgefallen. Ubbe und ich waren schwimmen, und dann war Ivar weg."

Ich sah zu seinen feuchten Haarspitzen, die mir erst jetzt auffielen. War es nicht viel zu kalt zum Schwimmen?
"Nein, ich hab ihn nicht gesehen." Ich schüttelte den Kopf. Hvitserk seufzte. "Wie kann ein Bruder, der nicht einmal richtig laufen kann so schnell verschwinden? Aber dank dir."
Er wandte sich zum Gehen.

Jetzt oder nie, dachte ich. "Hvitserk warte!"
Er bleib stehen und drehte sich fragend um. "Ich... Ich muss dir was sagen.", stotterte ich, als er näher kam.

Ich knetete den Lappen in meiner Hand und schluckte. Er runzelte die Stirn. "Ist alles in Ordnung?"
Ich nickte beklommen, obwohl das gar nicht stimmte. "Ich... Also-"
Ich wusste nicht wo ich anfangen sollte.
"Ich hatte gar keinen Schiffbruch.", murmelte ich, und teils wünschte ich, er hätte mich nicht gehört.
"Was?"

"Ich hatte keinen Schiffbruch." Ich sah zu Boden.
"Du hast mich angelogen?" Ich hörte den Schmerz in seiner Stimme.
"Es tut mir Leid! Ich-" Ich sah ihm fest in die Augen. "Bitte, halt mich jetzt nicht für verrückt. Aber ich muss dir die Wahrheit sagen-"
Ich atmete auf. Hvitserk sah mich gespannt an und ich konnte einen Anflug von Misstrauen in seinen Augen erkennen.

"Ich komme aus der Zukunft.", brach es aus mir heraus.
Eine Zeit lang sagte er nichts, und starrte mich einfach nur an. Er sah mich an, als würde er mich zum ersten Mal sehen. Sein Blick wanderte an mir herunter und ich wurde rot.

"Deshalb die merkwürdige Kliedung?" fragte er irgendwann. Ich nickte. "Ja, es tut mir Leid, dass ich es die nicht schon vorher gesagt habe, aber ich hatte Angst, dass du mich dan hasst und dass ich dann ganz alleine hier stehe. Ich hab doch sonst niemanden außer dir und..."

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und meine Stimme brach ab. Ich eagte nicht ihn anzusehen.
"Bist du eine Seherin? Haben die Götter dich geschickt?" Ich runzelte die Stirn. Was? Die Götter? Waren sie es, die mich hergebracht hatten?
"Ich, ich weiß es nicht. Bitte, du musst mir glauben.", flehte ich und Tränen traten in meine Augen.

Hvitserk nahm meine Hände. "Ich glaube dir.", versicherte er mir. Und ich war so verblüfft, dass ich nichts erwiderte. Wieso glaubte er mir das? Wieso beschimpfte er mich nicht als Lügnerin oder Hexe?

"Es tut mir Leid.", murmelte ich. Hvitserk lächelte und trat auf mich zu, sodass ich mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Erschrocken schluckte ich.

"Ist schon gut. Die Götter haben manchmal merkwürdige Pläne, aber wir müssen ihnen vertrauen. Manchmal sind ihre Absichten auch gar nicht so schlecht."

Ich wollte etwas erwidern, doch kam nicht dazu. Er beugte sich zu mir hinab und küsste mich. Der Lappen fiel mir aus der Hand und Die Zeit schien still zu stehen. Seine Lippen waren weich und schmeckten leicht nach Salzwasser. Er legte seine Hände an meine Wangen und ich entspannte mich.

"Hvitserk!", drang Ivars Stimme zu uns herüber. Hvitserk ließ abrupt von mir ab und seufzte. "Bin gleich wieder da." Er warf mich noch einen verschmitzten Blick zu. Dann drehte er sich um und verschwand.
"Was willst du Ivar!?"

Between Two WorldsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt